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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


nicht von ihm; was habe ich ihm nachzulaufen?! – sowie ich an Wild herankomme, schieße ich; er wird mich dann leichter finden, als ich ihn in diesem Buschwerke.

Ich pürschte also gleich quer durch und spähte umher, traf auch hier und da einige Stück Wild, aber keinen geringen Hirsch oder Spießer, doch endlich, dicht am Zaune – was steht da? – das muß ja ein Spießer sein; ich sah deutlich vor dem Gehörne die Kolben – er stand mir schräg von hinten und, wie es mir schien, neben einem Baumstumpf, mit dem er sich beschäftigte und den ich durch das Buschwerk nicht näher erkennen konnte. Soll ich? ‚Thue es nicht,‘ sagte zwar in mir eine Stimme – indessen, Zeit war nicht zu verlieren; mir fing das Herz an unruhig zu schlagen – ich zielte kurz und machte Dampf.

Freund – mir war, als erstarrte ich zur Bildsäule, kaum hat es geknallt, so nimmt mein Spießer einen tollen Satz, ich sehe noch ein anderes Stück Wild – ein Hund stimmt ein fürchterliches Wuthgeheul an, und an Stelle des Baumstumpfes sehe ich zwei kolossale Stiefel sich in die Luft strecken. Doch bald änderte sich die Scene; die Stiefel faßten Boden, und eine breite Gestalt, den Hund am Riemen, stürmte mit geballter Faust auf mich ein. Ich stand blaß und wortlos vor Schreck da – der Parkförster – denn das war der Heranstürmende – fuhr mich, kirschroth und sprachlos vor Wuth, heftig an:

‚Herr, Sie soll ja gleich ein Himmeldonnerwetter neun und neunzig Mal holen – was haben Sie hier auf mich zu schießen? Konnten Sie mich nicht sehen?‘

‚Nein!‘ erwiderte ich mit tonloser Stimme; ‚ich habe den Spießer deutlich erkannt, aber Sie für einen Baumstumpf gehalten, wie kann ich denken, daß Wild so vertraut neben dem Jäger steht? Nehmen Sie es nicht übel – es ist ja nach gut abgelaufen.‘

Der gutmüthig angelegte Alte ließ sich durch meine Leidensgestalt besänftigen, und ich hörte nun, daß das Wild, durch den Schuß erschreckt, ihn angerannt und der am Riemen heftig reißende Hund ihn zu Falle gebracht hatte; wir gingen an die Unglücksstätte zurück, wo wir die dicht über den Kopf des Spießers hinweg gesauste Kugel in der Planke fanden und der Alte sich überzeugte, daß nach Lage der Sache meine Unvorsichtigkeit, wenn auch nicht zu entschuldigen, so doch in Berücksichtigung meiner Jugend milder zu beurtheilen war.

‚Aber, wenn es erlaubt ist zu fragen, was that das Wild bei Ihnen, oder umgekehrt?‘

‚Na, ich fütterte es aus meiner Tasche, habe immer einige kleine Leckerbissen für meine bevorzugten Günstlinge bei mir, die ich dadurch ganz besonders vertraut mache; – armer Kaspar und meine Lise – die krieg’ ich für’s erste gar nicht wieder heran; sie werden noch lange diesen Schreck im Kopfe behalten.‘

Wir schritten weiter und fanden bald das gesuchte Wild; auch dieses kannte den Alten sehr gut und hatte Lust heranzukommen, machte wenigstens keine Anstalten zur Flucht.

‚Den Spießer da hinten können Sie schießen,‘ bedeutete mich der Alte.

‚Ich danke bestens für solche Jagd!‘

‚Warum denn?‘ fragte er überrascht.

‚Ebenso gut können Sie mir anbieten, einen Hammel aus irgend welcher Heerde zu schießen – ich finde kein Vergnügen daran!‘

Der Alte sah mich plötzlich mit anderen Augen an.

‚So, so,‘ meinte er; ‚in Ihnen steckt mehr Jägerblut, als ich glaubte; nun, ich werde Ihnen zu einem anderen Schusse verhelfen, aber, junger Herr, die Hand darauf: niemals auf etwas schießen, was man mitsammt seiner nächsten Umgebung nicht genau erkannt hat – es konnte anders kommen.‘

Ich hielt Wort und er auch.

Meine Frage, ob er das Wild abschösse, verneinte er kurz; nur im Nothfalle thäte er es; sonst hätte er immer Liebhaber dafür aus der nahen Residenz an der Hand, die dann mit einer Jagdausrüstung anrückten, als gälte es einem Bär; auch Damen betheiligten sich mitunter daran und suchten eine Ehre darin, in der Zeitung als schneidige Jägerinnen gefeiert und mit ‚Waidmannsheil‘ bedacht zu werden. So, Freund, das ist die Geschichte von meinem Pürschgang auf Hochwild. Du hast sie gehört – und nun gute Nacht, mein Junge!“

Die beiden müden Jägersleute in der Pürschhütte, die sich auf der weichen Pritsche in ihre Decken gehüllt hatten, wechselten nicht mehr viele Worte. Das Feuer auf dem Herde sank nieder; der alte Söllmann schnarchte, lang ausgestreckt, auf seinem Lager, und bald wurde es still in der Hütte – draußen aber brauste der Wind, schlug der Regen gegen die Scheiben und kreischte die alte Wetterfahne.




Recht und Liebe.
Novelle von Levin Schücking.
(Schluß.)

„Im Stande Dortenbach zu kaufen?“ fragte Benning zurück. „Nun ja, Fräulein Horstmar! Aber Sie müssen nicht denken, daß ich das Vermögen hätte, es für mich zu kaufen – das gewiß nicht; ein armer abhängiger Mann, wie ich, ist nicht so reich. Ist ein ganz leidlicher Posten, den ich hier seit sechsundzwanzig Jahren verwalte, aber mit Frau und Kindern muß man zufrieden sein, wenn man ehrlich durchkommt; vom Zurücklegen ist da keine Rede, und nun gar, um Dortenbach kaufen zu können – –! Wohin denken Sie, Fräulein! Nein, es ist nur das, daß ich es besser kenne als jeder Andere, daß ich besser weiß, was es werth und was daraus, wenn man es richtig anfängt, im Einzelnen zu lösen ist. Und weil ich das weiß, kann ich auch eine hübschere Summe dafür bieten als jeder Andere, als jeder Speculant und Güterschlächter in der Welt.“

„Also Sie denken, ich werde Dortenbach, sobald es – was noch recht lange nicht eintreten möge! – mein geworden, Ihnen verkaufen, damit Sie es in Stücke, in kleine Stücke und Fetzen zerschlagen?“

„Ich würde Ihnen dazu rathen, Fräulein, entschieden dazu rathen; denn sehen Sie: wenn Sie warten wollten, bis eine Herrschaft kommt, welche Dortenbach ankauft, um es zu bewohnen oder zu besitzen oder aus der Verpachtung des Ganzen eine Rente zu beziehen, so müßten Sie eben lange warten, und hätte sich solch ein Liebhaber endlich eingefunden, so würde er Ihnen ganz sicherlich hunderttausend Mark weniger bieten müssen, als ich es bei einer Parcellirung könnte. Auch beim besten Willen müßte er es, wenn er anders auch nur ganz nothdürftig zu seinen Zinsen kommen wollte … Freilich, ich kann mir’s denken, die Herren Klingholt werden es Ihnen wohl schon anders vorgestellt haben – ich kann es ihnen auch nicht übel nehmen; denn jeder redet eben nach seinem Profit und seinem Interesse und in seine Tasche hinein –“

Regine fiel ihm hoch aufhorchend in’s Wort:

„Was sollen mir die Klingholt vorgestellt haben? Was soll ihr Interesse sein?“

„Ihr Interesse?“ versetzte Benning. „Nun, das ist doch klar: wenn das Gut an eine Herrschaft verkauft wird, welche es zusammen hält, so behält der alte Klingholt seinen guten, einträglichen Försterposten mit dem hübschen Gehalt und den Procenten von den Holzverkäufen, so bleibt er in dem warmen Nest, das ihm ja schon von seines Vaters und Großvaters Zeiten her wie angeerbt und das nach ihm seinem jüngsten Sohne so gut wie sicher ist. Wird das Gut aber parcellirt, werden die Wälder abgeholzt und die Gründe dann versteigert – du liebe Zeit – dann brauchen wir keinen Förster mehr zu füttern, und der Alte muß sehen, wo er einen andern Posten bekommt, wenn er bei seinen Jahren überhaupt nach einen bekommt!“

„So, so!“ sagte Regine sinnend, „das wäre sein Interesse bei der Sache –“

„Sein offenbares Interesse,“ fiel Benning ein, „und Sie, Fräulein, Sie werden jetzt wissen, was es auf sich hat, wenn diese Leute aus Leibeskräften gegen mich reden und Ihnen zumuthen sollten, sich Ihr Erbe um hundert-, ja um hundertfünfzigtausend Mark verkürzen zu lassen, indem Sie ihnen folgen.“

Regine nickte nachdenklich mit dem Kopfe. Sie war eine sehr kluge Dame, das Fräulein, und praktische Dinge begriff sie.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_394.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)