Seite:Die Gartenlaube (1882) 392.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Der Hausschlüssel steckt in der Thür, und dies ist der zu der Truhe“ – sie zog einen seltsam geschweiften Schlüssel hervor und erhob sich – „nun komm – in zwei Minuten ist Alles abgethan; dann will ich Dich nicht weiter stören.“

Gemeinsam mit Knut schritt sie nach einer mit eisernen Schnörkeln beschlagenen, blau und roth angestrichenen großen Kiste hinüber. Leicht öffnete sich das Schloß unter ihren Händen. Etwas mehr Mühe verursachte es ihr, den gewölbten schweren Deckel zurückzuschlagen. Als sie sich Knut wieder zukehrte, entging ihr nicht, daß derselbe sie mit einer gewissen ehrerbietigen Scheu betrachtete, und in dem Gefühle, daß ihr das Blut ungestümer in die Wangen stieg, neigte sie sich, befangen, über die offene Truhe hin. Ein Weilchen tastete sie unter Wäsche und Kleidungsstücken – Alles war mit duftendem Kraut durchschossen – umher; dann reichte sie Knut einen straff verschnürten ledernen Beutel.

„Hier ist Dein Geld,“ sagte sie, „es sollen über zwölfhundert Kronen sein – ich zählte sie nicht, aber der Olaf nannte diese Summe. Ein Zettel liegt dabei; darauf steht geschrieben, wie das Geld einkam, was der Verkauf der Ziegen und der Kuh, was jedes Huhn brachte, was er an alten Forderungen einzog und um welchen Preis er Dein Boot verkaufte. Willst Du das Geld jetzt zählen, ist mir’s recht. Thust Du’s lieber, wenn ich gegangen bin, ist mir’s ein Beweis für Dein Vertrauen.“

„Ich brauch’s überhaupt nicht zu zählen. Höchstens die Summen, die ich davon ausgebe,“ sagte Knut und warf den Beutel nachlässig auf den Tisch.

„Auf alle Fälle reicht’s aus, um Dich wieder mit Allem zu versehen, was zu einem ordentlichen Hausstande gehört,“ bemerkte Engelid wie beiläufig, „von Deinen anderen Sachen kann nichts fehlen. So oft ich hier war, streute ich beim Hinausgehen aus dem Hause Sand auf den Flur, und nie entdeckte ich bei meiner Wiederkehr eine menschliche Fußspur. Weißt ja, Knut, es liegt nicht in der Natur der Norweger, sich um anderer Leute Eigenthum zu kümmern oder gar die Hand darnach auszustrecken. Die lose eingeklinkte Thür wird geachtet, wie zehn Schlösser und Riegel, die sie halten. Solltest Du sonst noch Auskunft über etwas wünschen, so schreib es auf, damit Du es nicht vergißt! Ich gehe jetzt in’s Dorf, um alte Bekannte zu begrüßen. Dann segle ich in meinem Boot von dannen, kehre aber, bevor ich die Reise nach der Schärenhütte antrete, noch einmal zurück. Ist Dir bis dahin Dieses oder Jenes eingefallen, so magst Du mich fragen, so viel Du willst.“

(Fortsetzung folgt.)




Der erste Pürschgang.

Von O. von Riesenthal.

Der Nordwest brauste von der See her über die Dünen, als wollte er jegliches Leben vom Strande wegfegen; er hatte offenbar seinen Aerger an drei Gestalten, welche im Küstensande dahinschritten und dem Sturme trotzten; er warf ihnen von Zeit zu Zeit einen so eindringlichen Sprühregen nach und die sich an den Dünen brechenden Wogen unterstützten seine Bosheit mit solchen Ladungen feuchten Dunstes, daß selbst die philosophische Anschauung unserer Wanderer: kein Regen dringe tiefer ein als bis auf die Haut, hinfällig zu werden schien; denn sie bogen in den einigermaßen schützenden Wald ein, und wenn dieser auch nicht der „schöne Wald“ sein mochte, „aufgebaut so hoch da droben“, sondern vielmehr ein recht ärmlicher, durch den Kampf mit den Elementargeistern arg heimgesuchter und verschobener Kiefernwald war, so gewährte er doch immerhin anerkennenswerthen Schutz; die drei Gestalten athmeten sichtlich auf und nahmen ein behaglicheres Tempo an.

Es waren zwei junge Waidmänner in dem köstlichen Alter, welches die Sorgen noch kaum kennt, und ein alter verwitterter Hund, der aber so selbstbewußt zwischen ihnen einherschritt, als zweifelte er keinen Augenblick an seiner Ebenbürtigkeit mit den neben ihm Gehenden.

„Wohin wollen wir eigentlich?“ fragte der Eine, indem er stehen blieb, „der Abend bricht herein, und wir haben drei Stunden nach Hause.“

„Nach der Pürschhütte!“ bedeutete der Andere, „wir trocknen uns dort und bleiben daselbst über Nacht. Ich wenigstens danke bestens, bei solchem Hundewetter in stockfinsterer Octobernacht ohne Noth durch den Wald zu tappen, wenn ich ein anderes Obdach haben kann; wir können dann morgen früh gleich weiter unser Heil auf den capitalen Vierzehner, den gewaltigen Burschen drüben im Rohrbruch, versuchen.“

So ging es denn rasch vorwärts, der Pürschhütte zu. Ordentlich melodisch kreischte nach einer Weile der Schlüssel im verrosteten Schloß, und war es auch nur Kiengeruch, der die Eintretenden empfing – er duftete ihnen sicher köstlicher als Ambra; denn er verhieß ihnen ein sicheres, schützendes Obdach gegen die Tücken des draußen tobenden Boreas.

Die Pürschhütte war ausschließlich für das Forst- und Jagdpersonal des sehr ausgedehnten Reviers erbaut und bot die Bequemlichkeiten, welche dem Jünger Sylvan’s und Dianens nach rechtschaffenem Tagewerk genügen: ein Lager auf weichem, trockenem Moos, einen Herd, einige Decken, Pantoffeln, die nothwendigen Vorräthe an Kien, Holz, Speck, Rum, Zucker, die nöthigen Gläser, Kasserole, Teller, und was sonst dazu gehört, das irdische Jammerthal erträglich zu machen.

Lustig flackerte das Feuer; die alte Wetterfahne auf dem Dach kreischte förmlich vor Vergnügen über die unterbrochene Einsamkeit, und der alte Hund saß halb träumend da, behaglich die Nase dem Feuer entgegenstreckend, oder dem Duft des bratenden Specks – wußte er doch, daß ihm sein Antheil davon sicher war. Er war ein ausgezeichneter Schweißhund, der alte Söllmann, weit und breit in Ehren genannt und bekannt; er hätte auf einer Hunde-Ausstellung zwar wohl schwerlich den ersten Preis errungen; denn es fehlten ihm verschiedene Schönheitspoints, aber was zu leisten war, das leistete er; freilich wußte er das auch und ließ sich kein Titelchen von seinem Rechte nehmen; er hatte seinen herkömmlichen Platz am Feuer; die Decke, die dort am Nagel hing, gehörte ihm, und da verschiedene deutliche Blicke auf dieselbe und einige Drehungen im Kreise mit verdrießlichem Knurren nicht zum Ziele führten, so schritt er gravitätisch zu seinem Herrn und stieß ihn mit der Nase an.

„Was will der Alte?“ fragte dessen Begleiter.

„Ach, ich weiß schon,“ erwiderte dieser, „na, Alter, sei gut; ich dachte nicht gleich daran,“ begütigte er das Thier und breitete ihm die Decke an seinem Platze aus, auf welche sich der alte Hund befriedigt und tief aufathmend streckte.

Das einfache Mahl war verzehrt, und ein heißer Grog dampfte im Verein mit dem nicotianischen Kraut.

„Was musterst Du da an Deiner Büchsflinte?“ unterbrach der Eine das Schweigen, „sie ist ja nachgerade genug abgewischt, und knüpfen sich besondere Ereignisse an sie, so schieß’ los! Wir haben Zeit und Muße genug zu einer kleinen Geschichte, und waltet der Humor in ihr, dann desto besser, aber lüge nicht allzusehr!“

„Was mich jetzt in der Erinnerung beschäftigt, will ich Dir gern erzählen; an Münchhausen wird es Dich schwerlich erinnern, und den Humor magst Du selbst herausfinden! Also aufgepaßt! Diese Büchsflinte ist das erste Kugelgewehr, welches ich in die Hand bekam; mit ihr machte ich meinen ersten Pürschgang auf Hochwild, und der erste Schuß auf dasselbe ist es, weicher sich mir unvergeßlich eingeprägt hat. Du kannst Dir denken, wie das ausgezeichnet schöne Gewehr mich zu einem Schuß auf Wild reizte, nachdem ich mich auf der Scheibe genügend von seiner Vorzüglichkeit wie von meiner eigenen Geschicklichkeit überzeugt hatte; aber die Gelegenheit wollte und wollte nicht kommen, bis ich endlich die Erlaubniß erhielt, in dem Gräflich X’schen Thiergarten einen Hirsch oder Spießer zu schießen, der gerade gebraucht wurde; ich sollte mich beim Parkförster melden, um dessen Anweisungen nachzukommen.“

„Ein mäßiges Vergnügen solcher Pürschgang auf Parkwild, besonders in so kleinem Thiergarten! Das Wild ist in solchem zu vertraut.“

„Ganz richtig! Heute gehe ich auch nicht mehr nach solcher Beute aus, aber wie gesagt, der Jagdteufel hatte mich damals am Ohr, und ich suchte eiligst die Bekanntschaft des Parkförsters, um ihm mein Glück zu verkünden. Er hörte mich mit säuerlicher

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_392.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)