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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


und hob sie hinein. Dann erkletterte er den Bock, fuhr noch eine kleine Strecke, um Raum zum Wenden zu gewinnen, und lenkte den Wagen rückwärts.

Reginens Blicke suchten Sergius; mit bleichen, wuthverzerrten Zügen stand er noch an derselben Stelle, wo sie ihn verlassen; er starrte dem Wagen nach. Doch schien ihm eine abermalige Begegnung mit der energischen, schönen Cousine nicht wünschenswerth – er wandte sich rasch um und ging auf demselben Wege, auf welchem Benning gekommen war, in den Wald hinein.

Regine verband sich mit ihrem Taschentuch den verletzten Knöchel, ohne daß die Schmerzen darum viel geringer wurden.

Benning fuhr, so rasch es anging, auf dem Waldwege zurück. Die Aufregung, die Schmerzen ließen Regine nicht zur Besinnung über ihre Lage kommen. Sie fühlte nur in sich das Fortzittern des Zornes. Nun wollte sie auch ganz das sein, wozu Alles sich verschworen zu haben schien, sie zu machen. Halbheit lag nicht in ihrem Charakter. Mußte sie nun einmal die Erbin, die Herrin von Dortenbach sein, war es nun einmal wie ein unentrinnbares Schicksal, ein dämonisches Muß – nun wohl denn, so hatte sie die Kraft, es ganz zu sein, und es zu zeigen, es empfinden zu lassen, daß sie es war.

Die Schmerzen, welche die Stöße des Wagens ihr verursachten, steigerten nur die Bitterkeit, mit der sie solchen Entschlüssen nachhing. Zum Glücke zeigte sich nach etwa einer Viertelstunde Fahrens rechts vom Wege eine Wasserquelle, die unter den Wurzeln einer alten Buche hervorquoll und einen winzigen, aber klaren Teich zwischen Gestein, Moos und Farrenkräutern bildete. Sie ließ halten. Benning mußte ihr beistehen, auszusteigen; dann ließ sie sich neben der Quelle auf dem Wagenkissen, das Benning herbeibrachte und auf das feuchte Moos legte, nieder und begann, während Jener, discret abgewendet, bei den Pferden stand, ihren Fuß zu kühlen.

Im Anfange schien Herr Benning nicht recht den Muth zu finden, mit dem aufgeregten Fräulein eine Conversation zu beginnen. Endlich aber, nachdem er sich mehrmals geräuspert, siegte sein Mittheilungsbedürfniß.

„Sie waren da in einer üblen Lage, Fräulein,“ begann er, „mit diesen verwogenen Herrn Sergius. Daß er sich flüchten müsse, flüchten wegen eines Duells, von dem doch noch Niemand etwas gehört haben kann, das war nur …“

„Eine Lüge!“ unterbrach ihn laut Regine.

Ganz sicherlich eine Lüge! Wir haben weder Gerichte noch Polizei hier so dicht in unserer Nähe. Können’s dem lieben Gott danken, Fräulein, der mich just im rechten Augenblick dahersandte. War wahrhaftig, als ich ausging, nicht darauf gefaßt, daß ich das Glück haben würde, Ihnen einen solchen Dienst zu leisten.“

„Das schienen Sie allerdings nicht. Gefaßt auf eine Dienstleistung für mich! Es bedurfte viel Zeit, ehe Sie zu so viel Fassung gelangten!“

Benning überhörte den Vorwurf, der in diesen Worten lag, und fuhr nach einer kurzen Pause fort:

„Lassen Sie mich Ihnen noch einen Dienst leisten, Fräulein, wenn man mit einem guten Rathe das kann! Darf ich? Wenn etwas an dem ist, was Andreas mir gesagt hat, daß Sie von Dortenbach nichts wollten, so kann es nur sein, weil man Sie geflissentlich irre geführt und Ihnen die Angst erweckt hat, Sie würden mit den anderen Verwandten theilen und wegen der Theilung dann lange kostspielige, ärgerliche Processe führen müssen. Das könnte doch nur der Grund sein. Lassen Sie sich aber auf solche Reden nicht ein, Fräulein, hören Sie nicht darauf – das ist mein Rath, Fräulein Horstmar! Es ist ganz gewiß nicht an dem. Dortenbach ist ein ganz freies Gut. Wenn der alte Herr, Ihr Onkel, die Augen schließt, so fällt es Ihnen als der allernächsten Verwandten zu. Daran ist ganz und gar kein Zweifel. Und wenn Sie es haben, so können Sie damit machen, was Sie wollen. Können es behalten, können es verpachten, können verkaufen …“

Benning, der noch immer abgewandt bei den Pferden stand, hielt eine Weile inne. Da er aber vergeblich auf eine Antwort wartete, fuhr er fort:

„Sie werden es wohl verkaufen wollen. Natürlich! Was soll eine junge Dame hier sich in unserer Einsamkeit vergraben! In der Stadt, wenn man Geld hat, wohnt es sich so viel plaisirlicher. Da sieht man Menschen, hat Vergnügen; jeden Tag ein neues. Werden ein hübsches rundes Sümmchen sich zahlen lassen können für Dortenbach, Fräulein – ein hübsches Sümmchen; ich weiß, was es werth ist. Ich hoffe auch, Fräulein …“

„Was hoffen Sie, Herr Benning?“ fragte Regine kühl, während sie jetzt ihr Tuch, zu einer Compresse gefaltet und von dem kalten Naß triefend, um ihren Knöchel band, „was hoffen Sie von mir?“

„Daß Sie, wenn Sie es verkaufen, mich dabei nicht übergehen –“

„Sie – übergehen – Sie, Benning? Haben Sie denn Lust, Dortenbach zu kaufen? Sind Sie im Stande dazu?“ fragte Regine überrascht aufschauend.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Die „Gartenlaube“ und der deutsche Lehrerstand. Seit ihrem Bestehen hat die „Gartenlaube“ sich einer Reihe von Widersachern und Angriffen – wir sagen mit vollem Ernste –: zu erfreuen gehabt; denn gerade sie stellten uns unsern Lesern gegenüber das Zeugniß aus, daß wir mit unserem Streben auf dem rechten Wege seien. Da werden in jüngster Zeit brieflich und in der Presse Stimmen aus einem Berufskreise gegen uns laut, den wir vorher nur auf unserer Seite sahen und den die „Gartenlaube“ seit nun fast einem Menschenalter in allen seinen Bestrebungen unablässig unterstützt hat: Stimmen aus dem deutschen Lehrerkreise!

Und warum? Warum dieser plötzliche Wandel? Warum diese offen und schroff ausgesprochene Feindseligkeit gegen unser Blatt? – Weil die „Gartenlaube“ eine humoristische Erzählung abgedruckt hat, in welcher ein Mitglied des Lehrerstandes eine komische Rolle spielt: die Erzählung, „Ein Friedensstörer“ von Victor Blüthgen[1], im Jahrgang 1881.

Wir wollen nicht des Breiteren die am nächsten liegende Frage erörtern: wie man sich die Möglichkeit einer humoristischen Literatur vorstellen könne, wenn aus keinem Stande eine Figur genommen werden dürfte, welche die besonderen komischen Seiten, an denen es bekanntlich keinem Stande fehlt, zur Darstellung bringt. Man nenne uns einen Stand, der dazu nicht seine Opfer für den Volkswitz wie für die mannigfache poetische Gestaltung zu liefern hätte! Und wird ein Stand dadurch an seiner Ehre verletzt, dadurch in der wahren Würdigkeit der ganzen Berufsclasse herabgesetzt, wenn man einer ihm entnommenen Romanfigur eine komische Rolle anweist? Die Verständigen aller Classen gönnen der Heiterkeit ihren Spielraum, wenn es auch auf Kosten ihres Standes geschieht, und die Klugen lachen mit.

Oder halten die Lehrer ihre Ehre für so besonders leicht verletzbar, daß der harmloseste Scherz einer Erzählung sofort die Würde des ganzen Standes beeinträchtigt, das Ansehen desselben im ganzen Volke gefährdet? Unglaublich! Und doch stellt der von einer Lehrerzeitung zur andern wandernde Anklage-Artikel „Die ‚Gartenlaube‘ und der Dichter Victor Blüthgen“ dieser Annahme ein offenkundiges Zeugniß aus. Da steht mit dürren Worten: „mit solchen Veröffentlichungen verleumdet man einen ehrenwerthen, gebildeten Stand und schädigt mit dessen Ansehen die hohe Sache der Volksbildung.“

Und so etwas thut die „Gartenlaube“, die seit nun fast dreißig Jahren unablässig und oft zu ihrer eigenen Gefahr und mit manchen Opfern für diese hohe Sache der Volksbildung gearbeitet! Gewiß wohl auch unglaublich! – Wir enthalten uns jedes Wortes über und gegen diese Behauptung eines Lehrers; wir können das Urtheil darüber unserm Leserkreise innerhalb und außerhalb des Vaterlandes ruhig anvertrauen. Dagegen dürfen wir eine andere Stelle der Anklage nicht ohne Anmerkung lassen. Bezüglich des unterthänigen und unterwürfigen Gebahrens des in der Erzählung geschilderten Dorfschullehrers behauptet der Verfasser:

„Wer vor hundert Jahren so etwas schrieb, hatte dazu eine gewisse Berechtigung; denn er war nicht weit neben die Wahrheit gerathen und erreichte einen sittlichen Zweck, wenn er die Sonde an die socialen Schäden seiner Zeit legte. Beide Momente jedoch müssen solchen Veröffentlichungen heutzutage abgesprochen werden.“

Dieser stolze Satz ist leider nicht ganz richtig. Allerdings ist es durch die Hebung der Allgemeinbildung der Nation seit hundert Jahren in allen Ständen besser geworden und haben namentlich die Riesenfortschritte auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit in den letzten Jahrzehnten viele alte Schwächen und Mängel der einzelnen Stände beseitigt. Trotzdem ist auch diese Regel nicht ohne Ausnahmen und kann kein Stand behaupten, daß er in allen seinen Gliedern nun unantastbar dastehe, und das gilt auch für den Lehrerstand. Wir bitten unsere ehemaligen Freunde und jetzigen

  1. Die Angabe der „Mecklenburgischen Schulzeitung“, daß Victor Blüthgen „Mitredacteur der ‚Gartenlaube‘“ sei, beruht auf einem Irrthum. Herr Blüthgen war längst aus der Redaction freiwillig ausgeschieden, als er die Erzählung einsandte, die wir abdruckten.
    D. R.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_387.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)