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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

veröffentlicht. Die Insel ist erst seit dem Jahre 1797 bekannt, wurde durch den Capitain Cook gelegentlich seiner Weltumsegelung entdeckt und seither von mehreren Entdeckungsreisenden nur flüchtig besucht. Die Küstenstriche sind durch Franzosen, Engländer und Amerikaner, von letzteren freilich erst seit nicht langer Zeit, erforscht und bekannt geworden. Das Innere derselben ist aber noch immer unbekannt und mit Ausnahme einer sehr engen Stelle am westlichen Ende der Insel noch von Niemand bereist worden.

Seinen Höhenverhältnissen nach ist Süd-Georgien ein Gebirgsland von vier- bis fünftausend Fuß Höhe, eine Reihe einst mächtiger, jetzt todter Vulcane, die nur noch in den spitzen Kegelformen und den großen Lavabecken ihre einstige Thätigkeit bekunden. Zwischen dem südwestlichen und nordöstlichen Theil der Insel besteht ein großer klimatischer Unterschied. Der Höhenrücken von Süd-Georgien steigt, einer Felswand gleichend, am südwestlichen Theil der Insel nahe der Seeküste auf und bricht wie ein Schutzwall die mächtigen Wogen, welche die Südweststürme auf ihn werfen. Die Meeresströmung, die Luftströmung, der Zug des Masseneises, alles kommt von Südwesten her, läßt seine Elementarkräfte gegen diesen Theil der Insel spielen, und die natürliche Folge dieser Vorgänge ist, daß der niedere nördliche Theil ein viel freundlicheres und milderes Klima aufzuweisen hat. Zahlreiche Gletscher steigen von dem hoch mit Eis überdeckten Gebirgsrücken des unerforschten Innern auf allen Seiten der Insel bis direct in’s Meer hinab; der Wind heult fast ununterbrochen durch die Schluchten der Felsen; jeden halbwegs schönen Tag bezahlt der Reisende hier mit einer ganzen widrigen Woche. Plumpe See-Elephanten, die Walrosse des südlichen Polarmeeres, See-Leoparden, Albatrosse, Pinguine, Cap Horn-Tauben und Ratten sind die einzigen Bewohner der Insel.

Hier wird die zweite deutsche Polarstation errichtet werden. Da das Meer bis Süd-Georgien eisfrei ist, so bedarf es keines besonderen Expeditionsschiffes, welches sich unter Gefahren bis zu seinem arktischen Ziele hindurcharbeiten müßte; es können vielmehr die ganze Hin- und Rückreise der Expeditionsmitglieder und der Transport der Sachen auf beliebige Weise erfolgen, und in Bezug hierauf hat die deutsche Polarcommission die Unterstützung der kaiserlich deutschen Admiralität sowie der Hamburg-Süd-Amerikanischen Dampfschiffs-Gesellschaft gefunden. Die letztgenannte wird in diesen Tagen, Anfangs Juni, die gesammte Expedition nebst Ausrüstung bis nach Montevideo schaffen, wo die Corvette „Moltke“ den Transport bis Süd-Georgien weiterführen und, am Ziele angelangt, den Expeditionsmitgliedern noch kurze Zeit bei Errichtung der Station behülflich sein wird, um alsdann wieder abzufahren.[1]

Außer diesen beiden Stationen wird noch an der Labrador-Küste eine dritte errichtet werden, welche jedoch nicht den Charakter einer vollen Station im Sinne des Programms der internationalen Polarforschung besitzen, sondern ausschließlich meteorologischen Forschungen dienen wird. Diese Station soll eine der Hauptfragen der Wetterkunde von Europa der Lösung nahe führen.

Es ist allgemein bekannt, daß unser Erdtheil sein Wetter meist vom atlantischen Ocean her empfängt, und in gewisser Beziehung könnte man die Insel Island geradezu für die „Sturm- und Wetterfabrik von Europa“ halten; denn von hier aus werden jene Wirbelstürme entsendet, welche die Küsten Großbritanniens so oft verheerend heimsuchen, welche die Nordsee zu einem nicht ungefährlichen Meere machen und das Wasser der Elbe oft viele Fuß hoch in Hamburg aufstauen. Dieser Stürme wegen drängt sich an unseren deutschen Küsten Rettungsstation an Rettungsstation; sie sind es auch, welche vor der Nordseeküste ein Eiland nach dem andern mit gierigen Wellen überfluthen und das Bestehen unserer ohnehin bescheidenen Inselwelt gefährden.

Durch sorgfältige meteorologische Beobachtungen an der Küste von Labrador hofft man nun, eine Erklärung für das Entstehen dieser Wirbelstürme zu finden.

Die Nebenstation an der Labrador-Küste wird nur durch eine einzige Person versehen werden (und zwar durch den Privatdocenten Dr. Koch aus Freiburg im Breisgau), welche sich, dank der von der Herrnhuter Brüdergemeinde freundlichst gewährten Unterstützung, auf einem der Schiffe dieser Gemeinde mit einer größeren Anzahl vortrefflicher meteorologischer Instrumente zunächst nach der Missionsstation Nain in Labrador begeben und dort längs der Küste an die Missionäre, deren gütige Mithülfe erwartet wird, die Beobachtungsinstrumente und kurze Instructionen vertheilen wird. Es gehört zum Beobachten nämlich keineswegs ein fachwissenschaftlicher Meteorologe, sondern nur ein gewissenhafter Ableser der Instrumente.

So genau sich nun auch die beiden Hauptstationen Cumberland-Sund und Süd-Georgien an das Programm der internationalen Polarconferenzen anschließen, so werden sie doch bezüglich ihres Arbeitsgebietes jede für sich noch ein besonderes charakteristisches Gepräge erhalten. Cumberland-Sund wird vorwiegend eine magnetische, Süd-Georgien hauptsächlich eine meteorologische Station sein. Zu diesem Zwecke wird die nördliche Station auch mit einer vollständigen Einrichtung zur Beobachtung der ganz neuerdings in den Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses getretenen sogenannten (magnetischen) „Erdströme“ versehen werden. Zum Studium dieser Frage war aus dem Elektrotechnischen Verein im vorigen Jahre ein „Erdstrom-Comité“ zusammengetreten, welches die so häufig durch sogenannte Erdströme hervorgerufenen Störungserscheinungen in elektrischen Drahtleitungen (Telegraphen etc.) zu untersuchen bestrebt ist, und auf dessen Anordnung die nördliche Polarstation zweckentsprechend ausgerüstet werden wird. Außerdem werden natürlich die Polarlichter einen sehr bedeutenden Gegenstand der Untersuchung bilden, namentlich wird die neueste geistvolle Hypothese A. E. von Nordenskiöld’s geprüft werden, laut welcher unsere Erdkugel fast beständig von einem geschlossenen Nordlichtring umkränzt ist, der einfach, doppelt oder vielfach sein kann.

Aber nicht nur diese Hypothese wird die Polarstation Cumberland-Sund zu prüfen haben, sondern auch die Richtigkeit der überraschenden, erst vor Kurzem vom Ingenieur Fritz gemachten Angaben über die Höhe, in welcher die Erscheinung des Nordlichtes stattfinden soll. Fritz berichtete nämlich im Gegensatze zu den bisher bekannten Beobachtungen an die internationale Polar-Commission, daß am 15. März 1872 zu Toigtat in Süd-Grönland – also in der Nähe von Cumberland-Sund – ein Nordlicht nur 650 Fuß über dem Wasserspiegel und 1700 Fuß vom Beobachter entfernt stand; ein anderes Mal fand er die Höhe eines Nordlichtes gar nur 170 Fuß über dem Wasserspiegel und seine Entfernung vom Beobachter nur 350 Fuß.

Die Südstation wird ihr Augenmerk natürlich auf die Südlichter zu richten haben; denn für letztere gilt Alles, was über die Nordlichter gesagt ist. Die Gleichzeitigkeit der Beobachtungen wird zugleich eine sehr gute Controlle über die Gleichzeitigkeit beider populären Phänomene geben. Auch wird auf der Südstation der diesjährige Venusdurchgang beobachtet werden. Ueberhaupt ist unserer guten Mutter Erde noch niemals mit solcher Gründlichkeit an den Puls gefühlt worden, wie dies in der bevorstehenden internationalen Polarcampagne der Fall sein wird.

Natürlich ist die Ausrüstung unserer beiden Hauptpolarstationen eine den großen wissenschaftlichen Aufgaben, zu deren Lösung sie beitragen sollen, entsprechende, und es ist an den ausgezeichnetsten Instrumenten, wie sie mit Hülfe unserer hervorragendsten Präcisionsmechaniker hergestellt werden können, nichts gespart worden. Somit dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, daß derjenige Theil der Polarforschung, welcher innerhalb der meteorologischen und magnetischen Gebiete fällt, in ausgezeichneter Weise erledigt werden wird. Ganz anders sieht es dagegen mit den übrigen naturwissenschaftlichen Disciplinen aus; denn es verlautet noch nichts darüber, ob für die Forschungszwecke derselben genügende Vorkehrungen getroffen worden sind. Hoffen wir indessen, daß es gelingen wird, diesmal unserer Mutter Erde mehr als eines ihrer Geheimnisse abzulauschen!

A. Woldt.

  1. Das Personal dieser Stationen ist aus den wissenschaftlichen Kreisen verschiedener Theile Deutschlands gewählt worden. Es setzt sich folgendermaßen zusammen: Für die nördliche Station in Cumberland-Sund: Chef der Expedition Dr. Giese aus Colberg, ferner Astronom Leopold Ambronn aus Meiningen, Astronom Dr. Ludwig Rösch aus Oettingen, Dr. Abbes aus Bremen als Physiker und Mathematiker, Dr. Böckler aus Eßlingen als Ingenieur, Dr. Schliephacke aus Wiesbaden als Naturforscher, K. Seemann aus Hamburg als Mechaniker. Für die südliche Station auf Süd-Georgien: Chef der Expedition Dr. Schrader aus Braunschweig, Assistent an der kaiserlichen Sternwarte in Hamburg, ferner Studienlehrer Dr. Vogel aus Uehlfeld in Franken, Lehrer der Physik Dr. Will aus Erlangen, Lehrer der Physik Dr. Klauß aus Mannheim, Ingenieur Eugen Mosthof aus München, Dr. med. von den Steinen aus Berlin als Arzt und Naturforscher, Adolf Zschau aus Dresden als Mechaniker. Außerdem wird noch jede der beiden Stationen je vier gediente Leute der Marine zur Bedienung erhalten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_380.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)