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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

wird ja bald hier sein und uns sagen, was es mit der Verwundung auf sich hat.“

Regine gab Andreas den Rath, jetzt fortwährend nasse Tücher auf die Wunde zu legen. Dann sprach sie einige beruhigende Worte zu Frau von Ramsfeld, die endlich wieder zur Vernunft zu kommen schien und zu jammern aufhörte, und sagte ihr, daß sie weiter nichts zu thun und zu rathen wisse, daß der Doctor ja wohl bald da sein würde, um zu helfen; dann ging sie rasch wieder, in der Angst, Leonhard zu begegnen, der also jeden Augenblick hier eintreten konnte. Sie ging, um , wie sie sagte, dem alten Herrn zu berichten und seiner Spannung ein Ende zu machen.

Der schreckhafte Anblick des blutüberströmten Damian’s hatte sie heftig erschüttert. Halb Mitleiden, halb Empörung fühlte sie wider diese wüsten und dabei so thörichten Menschen. Es war offenbar, Damian hatte an Sergius den begangenen Verrath rächen wollen; sie waren sich mit Mordwaffen entgegengetreten – Alles nur in der Gier nach ihrem, nach Reginens Erbe, einem Erbe, das sie ja gar nicht wollte. Es war so verächtlich und doch so schrecklich! Dennoch dankte Regine fast dem Himmel dafür, daß diese häßliche Episode ihres Aufenthalts auf Dortenbach, wenn sie einmal eintreten sollte, gerade in diesem Augenblick eingetreten war, wo sie nahe daran gewesen, aus Rührung über ihres Oheims flehentliches Bitten und um des alten Mannes willen, der in ihrem Gehen ein solches Unglück für sich zu erblicken schien, ihrem festen Entschlusse untreu zu werden. Tief und stürmisch aufathmend, sagte sie sich: Nun ist’s genug. Was meine Eltern hier erlebt haben, das weiß ich ja – und nun habe auch ich genug erlebt in dem alten stolzen Hause meiner Väter. In diesem hochmüthig mit seinen Thürmen aufragenden wappengeschmückten Ahnenschloß! Welch Friedensasyl für seine Angehörigen es ist, welcher Geist der Eintracht an seinem Herde waltet, habe ich nun selbst gesehen. Freilich, Blut ist darin schon seit Jahren nicht mehr geflossen. Es wurde Zeit – es mußte einmal wieder fließen; fast könnte ich sagen um meinetwillen, damit das alte Schloß mir noch im rechten Augenblick zurufe, daß ich ihm fern bleiben solle, fern allen den Menschen, die mit ihm zusammenhängen und daher gekommen!

Daher gekommen! Daher gekommen war ja vor Jahren auch Leonhard. Sie hatte es anfangs nicht gewußt. Hätte sie es gewußt, vielleicht hätte sie dann eine innere Warnung empfunden wider diesen Mann und ihr Herz behütet. Aber sie hatte es erst erfahren aus seinem Munde, als es zu spät gewesen, als sie ihr Vertrauen, ihr Herz, ihr ganzes Seelenleben schon an ihn weggegeben hatte. Und nun war das Unglück geschehen, das fürchterliche Unglück; dieser wühlende, zur Verzweiflung treibende Schmerz in ihr mahnte sie, daß ein fortgegebenes Seelenleben sich nicht zurücknehmen läßt – das Gefühl beherrschte sie, daß es für immer an ihn fortgegeben blieb, an einen Mann, den sie doch hätte hassen, verabscheuen, tief, tief verachten müssen.

War es denn möglich – konnte ein Herz denn lieben, wo es nicht achtete? Half denn das Recht, das helle sonnenklare Recht, zu verurtheilen und zu verdammen, gegen eine solche verächtliche Liebe nicht? Selbst bei einem Wesen wie dem ihrigen nicht? Hatte sie doch immer ein starkes, ausgeprägtes Gefühl für das Recht empfunden; hatte er selbst sie doch oft neckend eine „rechtwinkelige Natur“ genannt! Es war so empörend, daß man sich selbst verachten könnte – – aber Regine riß sich gewaltsam von diesem Gedanken los, sie mußte ja eilen, dem Oheim ihr letztes Adieu zu sagen – auch das, fühlte sie, würde ihr trotz des Rechtes, das sie hatte, schwer und schmerzlich werden; auch an den schwachen, willenlosen alten Mann schon fühlte sie sich gebunden; auch für ihn schon empfand sie etwas von einer Liebe, welche sie neben ihm festhielt – aber sie mußte zu ihm hinüber, damit sie bei ihm nicht Leonhard begegnete, wenn dieser von Damian kommend zu ihm hinaufgehen würde.




13.

Als sie bei ihrem Onkel eintrat, fand sie diesen wie in einem Halbschlummer in seinem Sessel liegend. Er schlug müde sein mattes Auge zu ihr auf.

„Du kommst, Kind,“ sagte er, „mir zu melden, daß Damian’s Verwundung nicht so arg ist, wie sie aussah – nicht gefährlich – mir hat es schon Andreas hinterbracht, Gottlob … obwohl die Alteration für mich die gleiche bleibt – ich bin sehr, sehr angegriffen.“

„Ich bedauere es um so mehr,“ versetzte Regine, „als ich zu Ihrer Pflege nun nichts mehr beitragen kann, lieber Onkel. Aber Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich nun gehe, werden mir glauben, wenn ich Ihnen sage: ich kann auf Dortenbach nicht bleiben, kann es nun einmal nach allem, was in mir ist, nicht; es ist in mir etwas Unwiderstehliches, was mich forttreibt.“

Der alte Herr seufzte tief auf.

„Ja, ja,“ sagte er matt, „ich glaube Dir. Weshalb sollte ich Dir nicht glauben, Kind, wenn Du so zu mir sprichst? Wenn Du bleiben könntest, es wäre so schön gewesen! Ich hätte Jemand neben mir gehabt, der mir gehörte, der mich liebte, mein Blut, fast meine Tochter. Ich habe nie Jemanden gehabt, der mir gehörte, nie. Als ich verheirathet war, gehörte ich einer Frau, die mich so lange glücklich machte, bis wir’s Beide nicht mehr ertrugen. Und nun finde ich eine Nichte, eine Tochter, ein schönes, liebes Geschöpf, das aber nur zu mir kommt, um mir zu sagen: Oheim, ich gehe wieder! Also Du gehst wieder und läßt den alten Onkel so einsam, so verlassen, wie er war. Du willst nicht bleiben, ihm seine wenigen letzten Tage zu verschönern? Du willst Dir nicht von ihm erzählen lassen, wie farblos trübe sein Leben dahinfloß? Nun ja, Du bist jung, und was geht’s Dich an! Du willst Dir auch nicht von ihm erzählen lassen von Deiner Mutter, von der armen Sabine, wie sie als Kind war, als heranwachsendes Mädchen – ach, sie war so reizend damals! – willst nicht hören, wie sie spielte und sich tummelte, wo sie ihren kleinen Garten angelegt hatte, wo ihr Pony im Stalle stand, und dann – aber Du willst es ja nicht, Du willst auch dem alten Onkel, wenn nun seine letzte Stunde kommt, nicht den Schweiß von der Stirn trocknen –“

„O, hören Sie auf, hören Sie auf,“ rief in Thränen ausbrechend Regine, „ich kann, ich kann ja nicht hier bleiben, wo … Gott ist mein Zeuge, daß ich es nicht kann.“

„Nein, nein,“ fiel der alte Mann, leise mit dem Kopfe nickend, ein, „Du kannst es nicht – Du hast Recht, o so Recht, daß Du gehst. Was solltest Du hier Deine schönen Tage vertrauern in diesem Hause des Unglücks unter hadernden Menschen? Dortenbach! Du hast Recht, daß Du nichts davon wissen willst. Ich wollte, mein Bruder wäre am Leben geblieben und ich nie an dieses Haus gefesselt worden. Dortenbach hat mir das Leben traurig verödet, trauriger als Du Dir ausdenken kannst … Geh, geh, und bleibe fest bei Deinem Willen, nie wieder mit Deiner unglückseligen Verwandtschaft zu schaffen haben zu wollen! Beim Himmel, könnte ich mit Dir gehen …“

„Mit mir gehen?“ fragte Regine, „mein Gott, welche Eingebung! Gewiß könnten Sie zu uns kommen, zu der Tante und mir in die Stadt – die sorgsamste Pflege würde Sie umgeben; die Tante ist so gut, und das Leben in der Stadt so erleichtert – aber Eins, Eins freilich …“

„Was stockst Du, Kind?“

Regine athmete schwer auf, ehe sie antworte:

„Es ist nur … daß Sie auf die Behandlung durch Leonhard Klingholt, als Ihren Arzt, verzichten müßten …“

„Verzichten? Weshalb? Er wohnt ja in Eurer Stadt?“

„Und dennoch … sehen Sie … ich muß es Ihnen gestehen … und warum sollte ich es nicht, warum sollte ich nicht ganz offen gegen Sie sein? … ich war Klingholt’s Braut … und Klingholt hat mich getäuscht … bitter, bitter getäuscht … ich habe hier sehen müssen, daß er nur um mich warb, weil er die Erbin von Dortenbach in mir sah.“

Der alte Herr sah sie höchst betroffen an.

„Klingholt war – er war Dein Bräutigam?“ fragte er, als ob er Mühe habe, sich in das Gehörte zu finden. Dann schüttelte er den schwankenden Kopf. „Und er hat Dich getäuscht? Darin irrst Du, Kind,“ sagte er. „Du irrst. Leonhard Klingholt? Nein, Leonhard Klingholt betrügt nicht.“

„Sind Sie dessen so sicher?“ antwortete Regine mit bitterem Lächeln. „Ich habe es aus seiner eigenen Mutter Munde, daß er sich mir genähert, mich aufgesucht hat, nur weil er wußte, wie nahe ich Ihnen stand … während ich nach gar nicht ahnte, daß er von hier, von Dortenbach gekommen.“

„Siehst Du darin ein Verbrechen? Wenn ein Mädchen entdeckt, daß ihr Bräutigam sie nicht blos ihrer Schönheit willen

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