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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

weiße Mann an einen Baum und tödtete ihn. Wir thun das nicht. Wir ehren den großen Geist, und wir sehen ihn in der Sonne, welche niemals stirbt.“ –

Ein günstiger Zufall wollte, daß ich dem großartigen Pau-wau, das heißt dem Friedensconcile beiwohnen durfte, in welchem Mac Laughlin, der an Stelle des abgehenden bisherigen Agenten neu eintretende Beamte, sich den versammelten Dacotahhäuptlingen vorstellte.

Auf den 6. October 1881 anberaumt, war dieses Concil das weitaus zahlreichste und wichtigste von allen, die seit Jahren abgehalten worden. Um ein Uhr Mittags war fast die gesammte Bevölkerung der benachbarten Indianerlager auf dem Berathungsplatze versammelt; denn mehr als tausend Krieger saßen hinter ihren Häuptlingen rings im Kreise, während eine noch weit größere Anzahl von Weibern und Kindern außerhalb des Ringes stand.

Die wilde Größe des nun beginnenden Schauspiels ist kaum zu beschreiben. Da saßen sie, die unheimlichen Gebieter der Prairie, dieselben, die einst den tapfern General Custer zu Boden geworfen. Jedes Gesicht war bedeckt mit bunten Farben; jede Gestalt prangte im vollen Kriegerschmuck; von allen Köpfen ragten die mächtigen Adlerfedern empor; jeder Arm hielt die todbringenden Waffen, den Tomahawk, die Kriegskeule, den Speer oder das Scalpirmesser, fest umschlungen. Alles verharrte in tiefstem Schweigen; keine Miene verziehend, bronzenen Statuen gleich, standen oder saßen die Rothhäute auf den ihnen angewiesenen Plätzen.

Alle Großen waren versammelt. Nur Einer grollte und hielt sich fern. Seitab von der Versammlung hielt Ite-o-magayu („Regen im Gesicht“), in eine blaue Decke gehüllt, unbeweglich auf seinem Gaule. Er galt allgemein für den am meisten verrätherisch und kriegerisch gesinnten aller Häuptlinge, und man sagte ihm nach, er habe nach Beendigung des furchtbaren Custer-Massacres am Little Horn River das Herz und die Leber Thomas Custer’s, eines Bruders des Generals, gekocht und gegessen.

Als ich in Begleitung eines Dolmetschers und eines New-Yorker Zeitungscorrespondenten mich dem wilden Krieger näherte, beantwortete er die Frage, ob er sich nicht an der Berathung betheiligen wolle, mürrisch und finster mit folgenden Worten: „Die Narrenspossen (‚the joke‘), die der Große Vater in Washington mit uns treibt, sind entwürdigend. Ich bin ein Häuptling und Krieger. Wakan-tanka, der Große Geist, wird sorgen und wachen über mein Volk. Ich mag nicht behandelt werden gleich einem Ochsen oder einem Kinde. Das Land, in welchem meine Väter lebten und in dem ich geboren ward, ist angefüllt mit Büffeln und vielem andern jagdbaren Wild, ich aber bin gezwungen, hier zu leben gleich einem Weibe, während die Bleichgesichter jagen dürfen nach Herzenslust. Ich bin ein Krieger und werde nicht auf eine Farm gehen, so lange ich eine Möglichkeit sehe, durch die Jagd mein Leben zu fristen. Ich liebe nicht die Männer, die der Große Vater zu uns sendet; ihre Zungen sind krumm; sie sind meine Feinde. Blumen entsprießen ihrem Munde, während ihre Herzen angefüllt sind mit Haß und sie mein Volk um sein Recht betrügen. Sie versprachen mir, ich solle ein Gespann Pferde, Vieh und Wagen bekommen, aber sie haben mich zum Narren gehalten.“

Mit diesen Worten stieß er seinem Pony die Fersen in die Rippen und sprengte davon, den Tomahawk mit der nervigen Faust fester umschließend. Mittlerweile hatte sich der neue Agent eingefunden und die Verhandlungen des Pau-wau konnten beginnen. Dreißig mit scharfgeladenen Büchsen bewaffnete Indianerpolizisten waren vorsichtshalber an verschiedenen Punkten des Kreises postirt, und wirklich ließen die mehrere Stunden währenden Verhandlungen, bald von beifälligem „Hau, hau“ („Bravo“), bald von unwilligem Murren unterbrochen, mitunter an Erregtheit Nichts zu wünschen übrig. Endlich aber war alles glücklich vorüber; der Agent versprach, die Wünsche der Häuptlinge betreffs Ländereien, Jagden, Häusern, Waffen, Pferden, Kleidern etc. dem Großen Vater in Washington „zu unterbreiten“, und als er hieran die Mittheilung knüpfte, er werde zur Feier des Tages eine Extra-Ausgabe von Rationen vertheilen lassen, da waren alle wenn auch noch so begründeten Beschwerden der Indianer plötzlich vergessen, und der wilde Jubel der Naturkinder kannte schier keine Grenzen.

Und die Zukunft der Dacotahs? Vielleicht sind die vorstehenden Zeilen die letzten, welche das interessante Volk in seinen nur noch mühsam bewahrten Eigenthümlichkeiten darstellen. Mit rapider Schnelligkeit geht es mit ihnen, wie mit allen schon früher erloschenen Indianerstämmen, zu Ende; auch ihnen, den tapfersten, zähesten und widerstandsfähigsten von allen, bringt die unaufhaltsam vorschreitende Civilisation den unvermeidlichen Tod. Schon verlernen die Dacotahs den Gebrauch von Schild, Speer und Lanze; schon haben sie viele ihrer althergebrachten Gebräuche aufgegeben. Ihre malerischen Costüme aus Hirschhaut werden vertauscht mit Gewändern, welche die Regierung ihnen liefert; ihre an poetischer Schönheit so reichen Sagen und Ueberlieferungen vermischen sich mehr und mehr mit den Historien der Bleichgesichter oder den Erzählungen der Bibel und gehen, unaufgezeichnet, ewiger Vergessenheit entgegen. Ist das jetzt noch lebende Geschlecht in’s Grab gestiegen, so wird die Fluth der Civilisation auch über dieses Volk hinweggerauscht und hiermit die Menschheit abermals um eine ethnographische Specialität ärmer geworden sein. So will es die Geschichte.




Etwas von dem Heermännchen.

In gewisser Beziehung ist es jetzt ganz gemüthlich in dem civilisirten Europa. Mit Menschen muß sich zwar der Mensch noch immer herumplagen und Steuerzettel und böse Kriegszeiten über sich ergehen lassen. Aber mit wilden Bestien brauchen wir modernen Europäer gottlob! nicht mehr zu kämpfen, wie dies einst das Loos unserer Vorfahren war. Ausgerottet oder nach den russischen Steppen, in entlegene Schlupfwinkel rauher Gebirge zurückgedrängt sind heutzutage die bösen Sippschaften der Wölfe und der Bären, und wenn die Parlamente in diesen Zeiten fortgeschrittener Cultur aufgefordert werden, gewisse Thierarten für vogelfrei zu erklären, so sind es meistens nicht gerade besonders gefährliche Geschöpfe, gegen die der Vernichtungskreuzzug gepredigt wird.

Erst vor Kurzem zog man in einem der deutschen Staaten gegen den Straßenjungen der Vogelwelt, den berüchtigten Sperling, zu Felde, aber in der öffentlichen Meinung wurden Stimmen genug laut, die den angeblichen Missethäter in Schutz nahmen, und man kann wohl behaupten, daß die Proceßacten in Sachen des „weisen Menschen“ gegen den „geräucherten Spitzbuben“ noch lange nicht abgeschlossen sind.

Nicht anders verhält es sich mit der Existenzfrage eines durch seinen Körperbau und seine Lebensweise zum Raubthier gestempelten Vierfüßlers, welchen die heutige Abbildung der „Gartenlaube“ den Lesern in einer Situation vorführt, die als echt räuberisch und durchaus nichtswürdig bezeichnet werden muß. Wir meinen das kleine Wiesel, vom Volke das Heermännchen genannt, dessen naturgeschichtliche Beschreibung schon in einem der früheren Jahrgänge der „Gartenlaube“ (1870, S. 148) gegeben wurde. Es ist staunenswerth, welche Raublust dieses winzige, einschließlich des Schwanzes nur etwa zwanzig Centimeter lange Geschöpf beseelt. Daß es von Zeit zu Zeit unsere Hühnerställe und Taubenschläge plündert, indem es seinen Opfern das Blut aussaugt und alsdann den Cadaver liegen läßt, ist allgemein bekannt. In der freien Natur greift es Hasen, Rehkälbchen, Auerhühner etc. an und schont nicht der kleinen Vögel des Waldes; Eier sind ihm ein Leckerbissen, und auf Fische macht es Jagd; ja, selbst das Reich der Amphibien wird im Nothfalle von seinen Raubzügen nicht verschont. Mit wahren Meisterstrichen hat der vortreffliche Thiermaler F. Specht auf seinem diesem Artikel beigegebenen Bilde ein Wieselpaar dargestellt, wie es auf einem ähnlichen Raubzuge vor dem Neste einer Kohlmeisenfamilie anlangt und eben im Begriffe steht, dasselbe zu plündern. Die Elternliebe verleiht dem zierlichen, sonst scheuen Vöglein ungewöhnlichen Muth; es will den Räuber abschrecken, und fast geht es zum Angriff über. Schier überrascht erhebt sich das eine Wiesel auf seinen Hinterpfoten und betrachtet spöttisch den merkwürdigen Gegner. Aermstes Ding, du! Noch eine Weile, und blutend wirst du unter den scharfen Zähnen der Räuber verenden.

Ueberhaupt kennt die echte Raubritternatur des kleinen Schwerenöthers

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_368.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)