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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Wohin man blickt, überall buntes, farbenprächtiges Leben und kindliche Fröhlichkeit der Rothhäute, und während Männer wie Weiber sich geschäftig mit Säcken und Fässern, Kisten und Kasten schleppen, bewachen sogenannte Indianerpolizisten die Zugänge zu dem Ausgaberaum, in welchen die Wilden truppweise nach einander eingelassen werden, um hier von den mit geladenen Revolvern ausgerüsteten Beamten ihr Zukömmliches zu empfangen. Diese Indianerpolizei, welche im Dienste der Regierung steht, rekrutirt sich aus den verschiedensten Indianerstämmen und bildet den Schrecken aller roth- und weißhäutigen Uebelthäter; ihre erfolgreich bewährte Einführung verdankt sie unserem deutschen Landsmanne Karl Schurz.

Ein anderes, im Sommer allmonatlich zweimal wiederkehrendes freudiges Ereigniß ist der „Schlachttag“ oder, wie man in Leipzig sagen würde, das „Schlachtfest“. Bringt ein solches schon unter civilisirten Völkern eine gewisse frohbewegte Stimmung mit sich, so ist dies in ungleich stärkerem Maße bei diesen Naturkindern der Fall; alles ist an solchem Tage in rosigster Laune, und Männer wie Weiber prangen in festtäglichem Schmuck.

Als ich zu dem einige Meilen vom Fort entfernten Schlachtplatze hinausfuhr, fand ich den Agenten und seine Beamten noch mit dem Wiegen des Viehes beschäftigt. Gegen zweihundert Stück Kühe und Ochsen befanden sich in einem weiten, aus schweren Holzstämmen gezimmerten Kraale eingepfercht und gleich Hyänen hockten die Indianer rings um die Plankenzäune, ruhig, ich möchte sagen: teuflisch ruhig der Dinge harrend, die da kommen sollten. Nur in ihren zuckenden Muskeln und funkelnden Augen spiegelte sich die gierige Erwartung des Momentes, da man ihnen die Thiere überantworten würde. Endlich – nach mehrstündigem Wiegen der Thiere – nahte der große Augenblick heran; die indianischen Polizisten stellten sich rings an der Außenseite des Kraales auf, um gleichzeitig von allen Seiten in die zitternde, zusammengedrängte Heerde hineinfeuern zu können. Zuerst ertönte ein einzelner Schuß, und in dumpfem Falle stürzte ein mächtiger Ochse, sich in seinem Blute wälzend, lautlos zusammen; bald aber knatterten von links und rechts, von hüben und drüben ganze Salven, die stöhnenden und zusammenbrechenden Thierleiber häuften sich mehr und mehr, und binnen Kurzem war der ganze Raum mit um sich schlagenden, blutenden, zuckenden, röchelnden Körpern bedeckt.

Endlich war Alles vorüber; die zweihundert Stück todten Viehes lagen in großen Lachen Blutes neben, über, quer durch einander hingestreckt, und jetzt kletterten allenthalben dunkle Gestalten wie Panther an den Plankenzäunen des Kraales empor und sprangen auf der andern Seite in den Innenraum hinunter. Mit großer Geschicklichkeit wurden zunächst vermittelst weniger Schnitte die Zungen der Thiere aus den Hälsen gelöst und an Stäben aufgereiht; dann ging es an das Zerlegen der leblosen Körper selbst. Eine halbe Stunde lang hörte man nichts als das Krachen der zerschlagenen Knochen, sah man nichts als tausend rührige Hände, blanke Messer und geschwungene Beile; dann war die wilde Metzgerei beendigt, das Fleisch in Stücke zerschnitten und den Ponys und Squaws aufgeladen. Alles wurde fortgeschleppt, nichts, gar nichts blieb übrig außer den Knochen und den nicht verwendbaren Eingeweiden. Schwer beladen mit der bluttriefenden Last keuchte Jung und Alt den Zelten zu, um dort einen Theil des Fleisches in lange, dünne Streifen zu zerlegen und diese, über Stäbe gehängt, an der Sonne zu dörren; die Häute der Thiere aber wurden von den Indianern zum Preise von 3½ Dollars pro Stück an amerikanische Händler losgeschlagen.

Binnen Kurzem lag die Stätte, die soeben noch ein Bild wildbewegten Treibens dargeboten, wieder öde und leer da, und in den Nachmittagsstunden sammelten sich in den Lüften Schaaren von Aas- und Raubvögeln, um an den spärlichen blutigen Ueberresten ihren Hunger zu stillen; in den indianischen Lagern aber herrschte für die nächsten Tage heller Jubel; die Schmausereien währten vom Morgen bis zum Abend, und das Dröhnen der zum Tanze rufenden großen Trommeln drang zu uns herüber bis nach Mitternacht.

Was übrigens so ein indianischer Tanz, oder besser so ein ganzes rothhäutiges Ballfest zu bedeuten hat, das muß man gesehen haben – beschreiben läßt es sich nicht. Hier hört der Begriff des Phantastischen auf, und der des Fratzenhaften, des Satanischen tritt an seine Stelle. Scheußlich bemalte Körper, dämonisches Geschrei, verzerrte Gesichter, unheimlich sprühende Augen, weitgeöffnete Nüstern, fletschende Zähne, tobsüchtige Gesticulationen der Glieder – es ist ein Bild, als hätten tausend Höllen ihre Insassen ausgespieen, und schaudernd begreifen wir, warum Soldaten und Officiere der amerikanischen Armee im entscheidenden Augenblicke sich lieber selbst den Tod geben, als daß sie sich lebendig den Händen solcher bemalten Teufel überantworten.

Frühzeitig schon spielen Liebe und Heirath ihre Rolle im Leben der Indianer. Hat ein Dacotah-Jüngling sein Herz an eine der Schönen seines Stammes verloren, so hält er sich nicht viel mit überflüssigen Redensarten auf; die bei civilisirten Völkern so beliebte Sitte des „Süßholzgeraspels“ ist noch nicht bis hierher vorgedrungen. Schweigend betritt der Dacotah den Wigwam seiner Angebeteten; schweigend läßt er sich, kleine Geschenke bietend, neben ihr nieder; schweigend geht er von dannen. Nur von Zeit zu Zeit läßt er sich herbei, in stiller Nacht vor ihrem Zelte die „chotunka“ (eine Art Flöte) zu blasen oder einen selbstcomponirten Singsang zum Besten zu geben, durch welchen, mag der Vortrag auch noch so mangelhaft sein, die Schöne zumeist derartig gerührt wird, daß sie sich vom Feuer ihres Wigwams hinwegstiehlt, um in den Armen des Geliebten ein Schäferstündchen zu verträumen.

[„]Jung gefreit, hat nie gereut“ – dieser Spruch gilt, wie bei uns, so auch bei den Kindern der amerikanischen Steppe. Das junge Volk schließt seine Ehebündnisse schon bald nach dem zwölften und bis zum zwanzigsten Lebensjahre; Hagestolze und alte Jungfern existiren nicht, und Wittwer und Wittwen suchen so bald als möglich in eine neue Ehe einzutreten. Vielweiberei ist gang und gäbe, und zwar heirathen die Männer in der Regel ein Weib nach dem andern, mitunter aber auch zwei, drei oder vier auf einmal, wobei es den schon vorhandenen oder überzähligen passiren kann, von ihrem Herrn und Gebieter ausrangirt, das heißt anderweit veräußert zu werden.

Da der Weiberdiebstahl zu den erlaubten noblen Passionen gehört, so bringen es manche Krieger zu einer Frauenliste, welche diejenige weiland Don Juan’s beinahe erreicht. So hatte z. B. mein Freund Sunka Wanjila („der lange Hund“) laut der auf einer Büffelhaut von ihm selbst abconterfeiten Lebensgeschichte (vergl. Abbildung, S. 365) im Laufe der Zeit nicht weniger denn dreiundzwanzig Weiber zusammengestohlen, deren Namen freilich dem Gedächtnisse des Wackeren entfallen waren und deren Persönlichkeiten er sich nur noch je nach der verschiedenen Farbe ihrer Blankets zu erinnern vermochte.

Hat sich der Dacotah nicht durch Raub eines Weibes von einem Nachbarstamme zu helfen gewußt, so bleibt ihm nichts übrig, als ein solches zu kaufen. Der Preis eines Mädchens beträgt durchschnittlich ein bis drei Ponys, in baarem Gelde zwanzig bis fünfzig Dollars. Ein Weißer in Fort Randall erstand seine rothhäutige Ehehälfte sogar für ein Bund Heu.

Sonderbar ist übrigens die bei den Yanktonnai-Sioux herrschende Sitte, wonach zunächst nicht dem Vater, sondern dem ältesten Sohne das Recht des Verkaufes der „Töchter des Hauses“ zusteht. Erst, wo ein solcher nicht existirt, tritt das Veräußerungsrecht des Vaters in Kraft. Priester haben in Heirathssachen absolut Nichts zu sagen; denn die Einwilligung zur Eheschließung wird einfach durch Uebersendung des Preises der Frau eingeholt, und wird letzterer angenommen, so gilt damit der Handel und zugleich ohne weitere Ceremonie die Heirath für abgeschlossen; wenn nicht, so werden die dargebotenen Gegenstände zurück gesandt.

Entschieden falsch oder wenigstens sehr übertrieben scheint mir die in Reisebeschreibungen häufig wiederkehrende Behauptung, als sei das Weib des Indianers nur das Lastthier des Mannes; denn den Männern liegt nicht nur die Vertheidigung des Lagers, die Versorgung der Familie mit Nahrung und Wild, die Anfertigung der Waffen und häuslichen Geräthe ob, sondern bisweilen helfen sie auch den Frauen bei der Einbringung der Feldfrüchte. Andere häusliche Arbeit zu verrichten, wird, in Gemäßheit der Tradition: „Der große Geist schuf die Männer, um zu jagen und die Weiber zu beschützen, alles Uebrige ist Frauenwerk“, allerdings als des freien Kriegers unwürdig betrachtet. Aber trotzdem giebt es in einer Indianerhütte nicht allzu Schweres für die Weiber zu thun; sie haben Holz und Wasser herbeizuschaffen, die Häute und das Fleisch zuzubereiten, die Kleider anzufertigen und die Hütte aufzuschlagen, daneben aber bleibt ihnen vollauf Zeit und Muße zur Herstellung ihrer schönen und eigenthümlichen Stickereien aus Perlen und Stachelschweinsborsten, welche im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_366.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)