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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zog aus seiner Brieftasche einen Haftbefehl und erklärte im Namen des Lord-Lieutenants Parnell für gefangen. Dieser schien sehr gefaßt – wußte er doch durch seine Gegenpolizei, daß seine Inhaftirung beschlossene Sache war. Nach wenigen Minuten rollte der Wagen die steile Anhöhe nach Kilmainham hinan.

An demselben Tage brachte die Polizei zwei parlamentarische Collegen – es waren die Herren O’Kelly und Dillon. O’Kelly ist eine der merkwürdigsten und ich möchte sagen saftigsten Erscheinungen der irischen Agitation. Sein Körperbau ist derb, fast athletisch; sein Kopf ruht auf breiten Schultern, und sein Gesicht, von einem röthlichen Bart umrahmt, hat einen grob leidenschaftlichen Ausdruck. Der energische Revolutionär spricht aus allen Zügen O’Kelly’s, und seine physische Ausstattung deutet darauf hin, daß der Mann fähig wäre, von der revolutionären Theorie zur revolutionären Praxis überzugehen. O’Kelly ist seines Berufes Journalist, ein Reporter vom Schlage Russell’s, Forbes’ und Stanley’s, wie ihn nur englische und amerikanische Zeitungen brauchen können, der stets bereit ist, heute eine Weltumsegelung mitzumachen; über’s Jahr einem Krieg in Afghanistan beizuwohnen und zu beschreiben und darauf eine Tigerjagd zu unternehmen. O’Kelly wirkte für den „New-York Herald“ und wurde von diesem Blatte nach der Insel Cuba gesandt, während die Insurrection gegen die spanischen Machthaber wüthete. Die Amerikaner waren ohnedies auf Cuba ziemlich verhaßt, und man hatte auf jener Insel für den Vertreter des großen New-Yorker Journals keine besonderen Sympathien. Als man erfuhr, daß O’Kelly sich in das Lager der Insurgenten begeben hatte, um dort authentische Nachrichten einzuziehen, wurde er verhaftet, malträtirt, vor ein Kriegsgericht gestellt, zum Tode verurtheilt und beinahe erschossen. Durch diplomatische Intervention wurde er gerettet, und nun begab er sich nach seiner Heimathinsel Irland, von wo er über die irische Bewegung nach New-York referirte, bald aber sich mit Leib und Seele in den Strudel der dortigen Wirren stürzte. Während Parnell in seinen Meetings-Vorträgen, in der Form und in seinem äußeren Auftreten wenigstens, noch immer Parlamentarier blieb und sogar manchmal den Staatsmann herausblicken ließ, war O’Kelly der in seiner ganzen Wildheit entfesselte Volkstribun. Er ertrug auch mit Unmuth das Gefängnißregime, während sein Freund Parnell die Zeit als eine Ruhepause betrachtete, die ihm gönnte, für künftige Kämpfe neue Kräfte zu sammeln, und in welcher er gegen die Gefahr, in einer äußerst schwierigen Situation Dummheiten zu begehen, geschützt war.

Der dritte Abgeordnete, der die Schärfe des Coercitionsgesetzes empfinden mußte, war Mr. Dillon. Dieser ist der richtige Irisch-Amerikaner. Jenseits des Ocean’s aufgewachsen und erzogen, hatte er sich zu einem der besten und gefeiertsten Redner in den Congressen aufgeschwungen, welche die Fenier bald in Cincinnati, bald in Chicago abhielten, und merkwürdiger Weise war er nicht einmal in Irland, als die allgemeinen Wahlen von 1879 stattfanden. Der Kabeltelegraph brachte ihm die Nachricht von seiner Wahl zum Abgeordneten. Er hatte sich gar nicht um die Ehre eines Mandats beworben, aber Dillon war bei den Amerikanern gut angeschrieben, und diese Empfehlung war die beste in den Augen der irischen Wähler. Kaum im Gefängnisse angelangt, erkrankte Dillon nicht unbedenklich, und mußte in das Krankenhaus wandern. Im Parlament von Westminster wurde sein Zustand öfters von seinen irischen Freunden zur Sprache gebracht; man interpellirte Forster, den bisherigen Staatssecretär für Irland. Dieser antwortete beständig, wenn der Kranke sich auf den Continent begeben wollte, so wären die Thore von Kilmainham ihm geöffnet, allein wolle der Gefangene Irland nicht verlassen, so könne er (der Staatssecretär) Dillon nicht freilassen, da er fürchten müsse, er werde dann im Lande weiter agitiren. Obwohl sehr leidend, wollte Dillon von einer solchen Entlassung nichts wissen und blieb lieber im Gefängniß. Es paßte ja vortrefflich in den Rahmen der nationalen Agitation, einen zum Skelet abgehärmten und von der Gefängnißluft verwelkten Märtyrer anfweisen zu können.

Der Gouverneur von Kilmainham zeigte sich anfangs den Herren aus dem Parlamente gegenüber sehr streng. Sie durften ihre Zellen nur sechs Stunden am Tage verlassen, und es wurde dafür gesorgt, daß sie nicht die Köpfe zusammensteckten, ohne daß gleich ein paar Aushorcherohren dazwischen kamen. Punkt acht Uhr wurde in den Zellen das Gas abgedreht; Zeitungen und Bücher wurden der strengsten Censur unterworfen; jedes Journal in fremder Sprache blieb ausgeschlossen, und wenn der „Freeman“, das Blatt der gemäßigten Land-Liga, etwas Scharfes gegen England enthielt, wurde es nicht ausgetheilt.

Noch drakonischer wurde die Correspondenz überwacht. In jedem ein- und ausgehenden Briefe witterte man irgend ein gefährliches Staatsgeheimniß, und der Gouverneur eröffnete oft den „vornehmen“ Gefangenen, daß er im Punkte der geheimen Correspondenz keinen Spaß verstehe. Und wirklich war die Aufsicht über die Correspondenz eine sehr strenge.

In Folge der zahllosen Reclamationen, welche die irischen Deputirten im Parlament Tag für Tag erhoben, lockerte sich nach und nach das Regime, dem die politischen Gefangenen unterworfen waren. Der alte Gouverneur wurde durch einen andern ersetzt, welcher milderen Anschauungen huldigte. So wurden die Erholungsstunden, welche die Gefangenen gemeinsam zubringen durften, von sechs auf acht erhöht; es wurde ihnen gestattet, sich mit Kartenspiel, Schach, Domino etc. die Zeit zu vertreiben, und das Gas durfte in den Zellen zwei Stunden länger brennen; nur in einer einzigen Beziehung wurde das starre Regiment aufrecht erhalten, wofern es sich um den Verkehr mit der Außenwelt handelte. Da verstand auch der neue Gouverneur keinen Spaß.

Die Besuche fanden in einem rund gebauten Badezimmer statt (wenigstens befanden sich in demselben ein Waschapparat und eine Badewanne) und wurden auf das Strengste controllirt. Der Besucher mußte sich verpflichten, in seinem Gespräche die Politik nicht zu berühren, und damit er sein gegebenes Wort nicht brechen könne, blieb ein Gefängnißwärter während des Gespräches dicht an der Seite des Conversirenden. Uebrigens durfte kein Besuch länger als fünf bis zehn Minuten dauern. Viele unter den Gefangenen protestirten gegen diese Einschränkungen, indem sie überhaupt keinen Besuch empfangen zu wollen erklärten, was dem Gouverneur das Liebste war.

Vergessen wir nicht die Kostfrage! Sie wurde unzähligemal im Parlament von Westminster angeregt, und es ging aus den Menage-Aufzählungen des betreffenden Ministers hervor, daß die den Gefangenen gebotene Nahrung hinreichend und kräftig war, wie denn von mehreren Seiten versichert wurde, daß die einfachen Pächter es oft bei Weitem nicht so gut in ihren Hütten hatten, als in Kilmainham. Nun, das Compliment verdammt eher die irländischen Verhältnisse, als daß es der Gefängnißverwaltung schmeichelt. Hungersnoth konnte man bei den zu fassenden Quantums Fleisch, Gemüse und Brod nicht leiden, aber es war doch immer ein – Gefängniß. Desto rühmenswerther ist der Beschluß der „vornehmeren“ Suspects, obgleich sie das Recht hatten, ihre Beköstigungen von draußen zu beziehen, sich mit dem gewöhnlichen vom Staate verabreichten Essen zu begnügen.

Sofort, nachdem die ersten Verhaftungen stattgefunden hatten, bildeten eifrige Patrioten, und namentlich Damen, einen Unterstützungsfonds für die Gefangenen. Mit den so aufgebrachten Geldern sollten die Familien der Inhaftirten unterstützt und die Gefangenen selbst vor Entbehrungen geschützt werden. Da diese jedoch auf die Douceurs verzichteten, wurden die Gelder für Agitationszwecke verwendet.

Während dieser Aufsatz verfaßt wurde, hat die Windrichtung in England sich plötzlich geändert. Parnell, O’Kelly und Dillon, die vierzehn Tage vor ihrer Freilassung dem Schreiber dieses mit einem tiefen Seufzer erwiderten, sie hätten keine Veranlassung eine baldige Befreiung zu erhoffen, sind heute bekanntlich in London auf ihren Sitzen im Parlamente. Herr Forster, der so viele Verhaftungswarrants unterzeichnete und der mit wüthendem Eifer den Fenianismus bekämpfte, bekam den Stuhl vor die Thür gesetzt.

Allein weder in Dublin, noch in Dundalk, noch in Galway waren damals die Bastillen geleert. Noch schien man abzuwarten, ob wirklich die „vornehmen“ Gefangenen von Kilmainham im Stande sein würden, durch ihr directes persönliches Auftreten die Wiederholung der gräßlichen Mordthaten zu verhüten. Da – schon nach wenigen Tagen – trug der elektrische Funken die erschütternde Nachricht von der Ermordung Cavendish’s und Bourke’s über Länder und Meere, und wiederum trat die irische Frage in ein neues gefährliches Stadium. So überstürzen einander die folgenschwersten Ereignisse auf dem blutgetränkten Boden Irlands, und unabsehbar bleibt noch immer das Ende des tödtlichen Ringens zwischen den Iren und den Briten.


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