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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Ein Besuch im Staatsgefängnisse zu Kilmainham.

Zur Beleuchtung der Zustände in Irland.
Von Paul d’Abrest.
(Schluß)


Unter den im Vorhergehenden erwähnten irischen Volkstribunen war Parnell der Erste, den der Lord-Lieutenant im October 1881 verhaften ließ. Er ist bekanntlich der Führer der Landliga, ein unermüdlicher Meetingsredner, dessen glühende Beredsamkeit den Funken O’Connell’s in sich trägt und daher bereits dieselbe Wirkung auszuüben begann, wie die Reden des Agitators aus den vierziger Jahren. Es genügt, wie es bei Schreiber dieser Zeilen der Fall gewesen, wenige Minuten mit Parnell selbst im Gefängniß, wenn auch unter der Aufsicht zweier argwöhnischer Wächter, zu conversiren, um überzeugt zu sein, daß man es hier mit einer hochinteressanten Persönlichkeit zu thun hat, die einen hervorragenden Platz in der Geschichte eines nach Freiheit ringenden Volkes verdient, einer Persönlichkeit, die eine bezaubernde und bannende Wirkung auf die Umgebung auszuüben vermag – bei einem Agitator eine unerläßliche Bedingung des Erfolges.

Herr Parnell zählt heute ungefähr siebenunddreißig Jahre. Er ist von Statur ziemlich hoch gewachsen und schlank; seine ganze Physiognomie hat etwas Zartes, Delicates, fast möchte ich sagen Weibliches, und letztere Merkmale hat das Gefängnißregime noch gesteigert. Vor seiner Inhaftirung trug Parnell den Bart kurz gestutzt und hatte so ziemlich das Aussehen eines modernen Londoner Gentlemans, wie auch sein elegantes Benehmen und der Schnitt seiner Kleider vollständig zu diesem erwähnten Eindruck paßten. Der perlgraue Ueberzieher, den er am Tage seiner Verhaftung trug, ist bereits beinahe historisch geworden. Im Gefängnisse aber hat er seinen Bart wachsen lassen und das elegante Costüm durch einen ganz anspruchslosen Morgenanzug ersetzt.

Die agitatorische Thätigkeit Parnell’s dauert bereits über zehn Jahre. Er war damals mit den sehr angesehenen Functionen eines High-Sheriff in jener Grafschaft betraut, wo sich seine Familiengüter befinden; denn der Nachfolger des großen O’Connell ist selbst Landlord und noch dazu Protestant. Seine Familie hatte sich im irischen Staatsleben einen großen Namen erworben.

Die englische Regierung suchte sich dem vielversprechenden jungen Manne zu nähern und ernannte ihn deshalb zum Sheriff, was einer großen Auszeichnung gleichkommt und von den ehrgeizigen jungen Aristokraten sehr geschätzt wird. Aber damit war der Eifer des jungen Parnell nicht gestillt. Er ließ sich in die Gesellschaft der Home-Rulers (d. h. derjenigen irischen Partei, welche die Aufhebung der Union mit England oder wenigstens die Errichtung eines selbstständigen irischen Parlamentes fordert) aufnehmen, welche damals der sehr gemäßigte, ehrwürdige Mr. Bukx von allen Ausschweifungen und Attentaten fern hielt. Der Maiden Speech, den Parnell, um sich für seine Aufnahme zu bedanken, im Club der Autonomisten hielt, war gerade keine besondere oratorische Leistung und ließ nicht den zukünftigen Demosthenes errathen. Bald darauf vereinigte sich Parnell mit einigen hitzigeren Parteigängern des Home-Rule-Club, die bestrebt waren, den bedächtigen und besonnenen Patriarchen Bukx auszustechen und eine rüstige Agitation in’s Leben zu rufen.

Wie höchst gelegen kam damals Parnell eine Vacanz in der parlamentarischen Vertretung Irlands. Er stellte seine Candidatur auf, die sich großen Erfolges erfreute, und im Herbst 1875 betrat er zum ersten Male den kleinen, capellartigen Saal in Westminster. Sofort machte sich sein Einfluß bemerkbar. Die Haltung der irländischen Deputirten war damals eine wenig ausgeprägte; denn die große Bewegung auf der Insel war in’s Stocken gerathen, und in den Fragen, welche das britische Reich berührten und die zu den längsten und leidenschaftlichsten Debatten führten, zählten die Iren gar nicht mit. Parnell überredete mehrere seiner Collegen, gerade bei diesen Fragen zu interveniren, und ging mit gutem Beispiel voran. Von nun an wurde nie eine internationale oder innere britische Frage angeregt, ohne daß wenigstens drei oder vier Mitglieder sich für Irland erhoben, um die Angelegenheit mit einer Beredsamkeit zu erörtern (die Irländer sind geborene Redekünstler), die den Collegen Disraeli’s manchmal Schwulitäten bereitete.

Auf diese Weise erfocht sich die irische Vertretung in Westminster eine geachtete, manchmal sogar gefürchtete Stellung, und bereitete andererseits die Bahnen zu jener Opposition im Parlament, die mehrere Jahre später der englischen Volksvertretung so große Verlegenheiten bereitete. Gleichzeitig hatte die irische Sonderagitation wieder ein Steckenpferd, ein erfolgreiches Schlagwort, die Befreiung der in Folge der Ereignisse von 1867 bis 1868 verurtheilten Hochverräther. Die meisten allerdings waren bereits freigelassen, aber drei oder vier, darunter der bekannte Schriftsteller John Davitt, schmachteten noch im Kerker. Parnell veranstaltete Massenmeetings, ließ Sturmpetitionen unterzeichnen und gab so den Anstoß zu der Bewegung, die von Jahr zu Jahr wuchs und trotz der Abwehr des alten Bukx, der sich über diese „Exasperationspolitik“ bitter beklagte, einen immer mehr und mehr revolutionären Anstrich nahm. Bald kam es innerhalb der Home-Rule-Partei zur offenen Spaltung; Parnell kämpfte an der Spitze des jüngeren Elements gegen den gemäßigten Patriarchen Bukx, und der Einfluß der Revolutionäre behielt schließlich die Oberhand.

Der stolze Disraeli gab endlich nach; die drei letzten Fenier-Sträflinge wurden entlassen und mit ungeheurem Jubel in Dublin empfangen, und namentlich war es John Davitt, ein wegen seiner Energie und Selbstlosigkeit gefeierter Volksmann, der von seinen Landsleuten mit echt irischem Enthusiasmus begrüßt wurde. Unter den politischen Schutz dieses nach zwölfjähriger Kerkerhaft entlassenen Märtyrers begab sich nun klugerweise Parnell. Er stellte sich sogleich an die Spitze der Organisatoren der Festlichkeiten zu Ehren des Befreiten und gab diesem ein Diner im Hôtel Morrisson, dem Absteigequartier der Home-Rulers in Dublin, bei dem sehr scharfe Reden gehalten wurden.

Diesmal war Parnell nicht mehr der schüchterne Redner, wie man ihn bei seinem ersten Auftreten in der Home-Rule-Gesellschaft kennen gelernt; er war der ungestüme, flammende Volkstribun, dessen Worte von dem uralten Haß sprühten, der in Irlands Herzen seit Jahrhunderten glimmte. Da war von keiner Concession mehr die Rede; es wurde vielmehr Alt-England der Krieg bis auf’s Messer erklärt, und noch toller ging es wenige Tage später zu, als zwei der Häftlinge in Folge der ausgestandenen Mühsale starben und unter ungeheurem Zulauf des Volkes bestattet wurden.

Der Patriarch der Gemäßigten, der biedere Bukx, durfte sich zu seinen Vätern versammeln; seine Rolle war ausgespielt; denn das Wort führten nunmehr die Desperados, wie er dieselben nannte, und deren anerkannter, bald von ganz Irland bejubelter Chef war Herr Parnell. Von nun an entfaltete dieser eine unerhörte agitatorische Thätigkeit. Ein Meeting jagte das andere, und nirgends versammelten sich Irländer, ohne daß Parnell eine mehrstündige Brandrede hielt, im Parlamente gab es keine Frage, keine Interpellation, keine Bill, ohne daß Mr. Parnell einige Amendements einbrachte, die er vertheidigte. Dann gab es eine Pause, aber sie währte nur die Spanne Zeit, die zur Ueberfahrt nöthig war.

Plötzlich tauchte der Agitator jenseits des Meeres auf, sammelte Gelder und erhielt mit Tausenden von Pfund Sterling die Weihe der Irisch-Amerikaner, die ihn ebenfalls zum Leiter der Home-Rule-Bewegung ausriefen. Mit diesem doppelten Viaticum ausgerüstet, kehrte Parnell nach Irland zurück und gründete die Landliga.

Es ist nicht nöthig, hier auszuführen, welch eminente Thätigkeit er an der Spitze dieser Vereinigung entwickelte, durch die nach und nach ganz Irland in Wallung gerieth. Das Coercitionsgesetz war speciell gegen diese gerichtet, und man mußte, um zu wirken, das Haupt derselben treffen.

An einem Octobermorgen des vorigen Jahres hielt ein Cab vor der Thür desselben Morrisson-Hôtels, wo vor Jahr und Tag das Fest zu Ehren John Davitt’s stattgefunden hatte. Polizisten saßen auf und in dem Wagen, während andere Detectives vor dem Eingange patrouillirten. Ein Polizeicommissar ging die Treppe hinauf und ließ sich vom „Waiter“ ein Zimmer im ersten Stockwerk zeigen. Er klopfte an die Thür; Parnell, halb angekleidet und mit Schreiben beschäftigt, öffnete. Der gerichtliche Beamte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_362.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)