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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und da mag er’s aufgegeben haben, hierhin und dahin zu reisen, um den Leuten Eins aufzuspielen. Also auf Aralden wohnt der? Nun ja – da konnt’ ich ihm nicht viel begegnen. Aralden lag mir immer zu weit aus dem Cours. Und was sollt’ ich da? Der Felsen sieht nicht recht nach Menschen aus.“

„Viel ist nicht dahinter, aber ein Mann, der sich auf’s Fischen versteht, kann auf einem Felsen hausen, nicht größer, als ein guter Klapptisch, ohne dabei in Noth zu gerathen. Und hat der Olaf es wegen des Alters aufgegeben, mit der Langeleike[1] seine Fahrten zu machen, so ist er doch nicht zu alt, um im Boot zu sitzen und Angeln auszuwerfen. Mir Eins aufzuspielen zum Gedächtniß an die alten Zeiten – das wird er ebenfalls wohl noch verstehen.“

„Weiter willst Du nichts, Knut? Nun, deswegen brauchtest Du den Umweg nicht zu machen; komm mit nach Bergen hinunter, rath’ ich Dir. Ist Dir d’rum zu thun, setz’ ich Dich im Sogne-Fjord ab.“

„Nein, Olsen, ich muß den Olaf sprechen. Hab’ nämlich vor meiner Flucht ein Wort mit ihm gewechselt – aber damit Du’s weißt, ich gab ihm den Schlüssel zu meinem Hause im Lyster-Fjord und eine Vollmacht, ein paar hundert Kronen für mich einzucassiren, weil ich selber keine Zeit dazu hatte. Nur seinetwegen nahm ich in New-York auf einem Schiffe Heuer, das auf Trondhjem fuhr. Von Bergen aus wär’s mir näher nach dem Lyster-Fjord gewesen.“

„Wie’s auch mit dem Olaf steht,“ lautete die Antwort des Schiffers, „etwas Schriftliches hast Du Dir von ihm d’rüber geben lassen?“

„Der Olaf ist treu und ehrlich wie Gold.“

„Ich meine von wegen Leben und Sterben. Als ich ihn das letzte Mal sah, und das ist eine Reihe von Jahren her, da erschien er mir recht hinfällig.“

„Nein, Schriftliches habe ich nicht. Gestorben wird er auch wohl nicht sein; denn vor zehn Jahren war er trotz seiner Sechszig noch rüstig genug. Sollte er aber dennoch todt sein, nun so starb er als ein ehrlicher Mann, und übergab er das Geld Jemand, der’s veruntreuen möchte, so ist’s nicht seine Schuld, und mich macht’s nicht unglücklich. Eine Kleinigkeit hab’ ich mir erworben und erspart; das genügt, um mein Heimwesen wieder in einen ordentlichen Gang zu bringen.“

„Und zu heirathen, Knut, und ein geruhiges Leben zu führen.“

„Das müßte wunderbar kommen. Denn erstens war ich gezwungen, um’s Weibervolk aus dem Lande zu gehen, und dann, Olsen, steh’ ich in einem Alter, in welchem man durch ein glattes Gesicht nicht leicht mehr aus dem Schick gebracht wird. Hätt’ ich übrigens wirklich Lust, mein Eigenthum mit einer Frau zu theilen, dann müßt’ ich ihr zugethan sein; denn ein Weib zu nehmen, wie man ein Stück Hausgeräth anschafft, ist wider meine Natur.“

„Ansehnliche Mädchen genug im Lyster-Fjord, Knut, und wirthschaftlich obenein! Als Du fortgingst, waren’s Kinder; die sind zur Zeit herangewachsen.“

„Für mich sind es immer noch Kinder und bleiben es. Die damals zum Tanz gingen, sind längst Frauen, und keine Einzige war darunter, die mir’s Herz schwer gemacht hätte.“

„Und doch war Eine d’runter, für die Du auf einen ernsten Streit eingingst. Verdammt, Knut, ich hörte davon, wenn heute auch kaum noch Jemand d’rüber spricht oder viel d’ran denkt.“

„So wird man auch mich vergessen haben und sich schier wundern, wenn eines Morgens meine Hausthür offen steht.“

„Wundern freilich, aber auch eine Freude d’ran haben; denn ich hörte nie, daß Jemand einen Groll gegen Dich gehabt hätte. Selbst die Verwandten des Jansen tragen’s Dir nicht nach. Und wie sollten sie, da er wieder auscurirt wurde? Als er ein Jahr d’rauf starb, da stellten die Doctors fest, daß es eine Lungenentzündung gewesen, die ihn umbrachte, weil er in der Trunkenheit draußen geschlafen hatte. Sie sollen gesagt haben, wegen des Messerstiches hätte er so alt werden können, wie die Bergzacken da drüben. Um ihn getrauert hat überhaupt Niemand. Er war von Hause aus streitsüchtig, und um seine Rechtschaffenheit soll’s nicht sonderlich bestellt gewesen sein. Doch er ist längst todt, und einem Verstorbenen soll man keine schlechte Nachrede halten.“

„Hätt’ ich’s gewußt, wie es mit ihm ablaufen würde, wer weiß, ob ich außer Landes gegangen wäre. Aber die Entscheidung abzuwarten, hatte ich damals keine Zeit. Ich hielt’s für ein großes Glück, daß ich in Bergen Heuer auf einem Engländer fand und an Bord schlüpfte, bevor mir die Polizei auf die Spuren kam. Jetzt weiß ich freilich, daß sie überhaupt nicht viel nach mir suchte.“

„Nun ja, weil es hieß, Du seiest über’s Meer gegangen, und einen Mord hattest Du nicht ausgeführt.“

„Das konnte in den ersten Tagen Niemand wissen. Hätten sie mich gefaßt, wär’ mir’s Gefängniß nicht erspart geblieben. Das aber galt mir als eine Schmach. Mich nicht frei bewegen zu können und durch eiserne Vergitterung hindurch andere Menschen ihrer Wege gehen zu sehen – Olsen, lange hätte ich das nicht ertragen. In meinem Rechte war ich ebenfalls. Freilich, darnach fragen die Herren vom Gerichte nicht viel. Nur etwas ist zu beklagen, nämlich, daß ich diese langen Jahre mich mit dem Gedanken herumtrug, um eine Sache, die so wenig werth, eine Blutschuld auf mich geladen zu haben. Nie wurde mir ordentlich leicht um’s Herz, und als ich im vorigen Jahre von einem Manne aus dieser Gegend zufällig – darnach gefragt hätt’ ich nimmermehr – die Wahrheit erfuhr, da kam es über mich wie eine mächtige Sehnsucht nach unserer Schärenküste. Aber es ist erstaunlich: jetzt, da ich wieder da bin, ist die Freude nicht halb so groß, wie ich sie mir vorstellte. Ich merke, daß ich zehn Jahre älter und mürrisch geworden bin, und das treibt mir Keiner mehr aus.“

„Frohsinn kommt mit der Zeit, Knut, wenn Du erst wieder bekannter hier herum geworden. Doch wie war’s mit dem Jansen? Den richtigen Grund erfuhr ich nie. Der Eine sprach so, der Andere so – das heißt, wenn’s Dir nicht zuwider ist, über alte Geschichten zu reden.“

„Warum sollt’ ich nicht d’rüber reden jetzt? Denn von meiner Seite lag am wenigsten eine Unehrlichkeit in dem Handel. Gab ein Mädchen die erste Veranlassung, so konnte das immerhin in Güte ausgeglichen werden, hätte der Jansen mit seinen giftigen Reden mir das Blut nicht zum Sieden gebracht. Der Olaf war nämlich gekommen, und der spielte zum Tanze auf, und ich leugne nicht, daß die Engelid das schmuckste Ding auf dem Platze war. That ich aber schön bei ihr, so verschuldete das mein junges Blut und weil’s mir gefiel, daß sie zu mir hielt und mit mir am liebsten tanzte. Das nun mochte dem Jansen zuwider sein. Ich sah’s ihm an, und das erfreute mich doppelt, weil ich nie sonderlich gut auf ihn zu sprechen gewesen. So hatte die Engelid mir wieder einen Tanz zugesagt. Sie stand neben mir, und ich hatte meine Lust daran, zu hören, was die Weiber sprachen – und sie sprachen laut genug, und die Engelid hatten sie gern, weil sie eine Waise war und Jedem zum Wohlgefallen lebte – ‚der Knut und die Engelid passen zusammen.‘ und ‚ein schmuckes Paar ist’s,‘ – das alles hörte ich, und wer weiß, was sonst noch. Solche Schmeichelreden mochten der Engelid ebenfalls in’s Blut gehen; denn als ich ihr die Hand drückte und ihr ein paar Liebesworte zuraunte – verdammt! ich möcht’ einen fünfundzwanzigjährigen gesunden Burschen sehen, der nicht einen Funken von Eitelkeit besäße – nun ja, da fühlte ich auch ihren Händedruck, und der war nicht anders gemeint, als der meinige, das heißt, er kam, wie’s die Gelegenheit gerade mit sich brachte, und hatte nicht mehr zu bedeuten, als ein Uebermaß von Lust und Lebensfreude. Die Lust aber mußte sich regen bei jungem Volke; denn stockte der Tanz, so ging das Bier oder ein kräftiger Wachholder herum. Olaf gab noch ein besonderes Stückchen auf der Langeleike zum Besten und das spielte er, daß es Einem durch’s Mark ging. Wer ihm auf die Finger sah, meinte, daß die Saiten springen müßten, und doch tönte es hell und rein wie silberne Schlittenglocken. Sang er aber gar mit seiner heiseren Stimme das Lied vom Asgardreigen dazu, dann war Alles still, und Jeder glaubte, daß die wilde Jagd auf ihren schwarzen, feuerschnaubenden Gäulen um’s Haus herumsumme und der alte Heidengott mit seinem Hammer das ganze Dach einschlagen müsse. Nun ja, Olsen, freilich zum Erstaunen war’s nicht, daß den jungen Männern der Muth schwoll und kein einziger gescheut hätte, sich mit einem Riesen, wie sie tief unten im Jotungebirge hausen, im Ringkampf zu messen. Und als dann der Jansen mit einer Art Wildheit herantrat, die Engelid um den Leib packte und mit in den Reigen hineinziehen wollte, da that ich das, was jeder Andere an meiner Stelle gethan hätte: Ich

  1. Langeleike – ein im Norden gebräuchliches citherartiges Instrument.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_358.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)