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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Der Alte schlug die Hände über den Kopf zusammen: Jetzt sei Alles verspielt. Der Franzel aber ging nach Lienz.

Die Herren schauten ihn mit Wohlgefallen an und meinten, wenn er schon eine so gute Hand zum Zeichnen habe, so solle er ihnen einen Beweis geben. Der Franz nahm Bleistift und Papier und portraitirte Einen nach dem Andern. Und als sie die Bilder sahen, da waren sie darüber eins: das wird kein Banknotenfälscher; der findet sein Fortkommen und seinen Ruf anderswo. –

Es kam jetzt noch eine kurze, aber lustige Bauernlebenzeit. Der Patritz heirathete seine Maria, und es ist ein Paar geworden, an dem die Leute noch heute ihre Freude haben.

Und der Franzel? Ihr lieben Leute, den findet ihr nicht mehr in der Gegend. Er lebt heute in einer großen Stadt und ist ein berühmter Mann. Gern erzählt er noch von jener harmlosen, aber nicht ganz ungefährlichen Geldmachergeschichte. Was er heute schafft, das ist mehr werth, als alle Banknoten auf der ganzen Welt zusammen genommen – es sind die herrlichen Bilder aus dem Tiroler Volksleben; denn der Träger dieser kleinen Geschichte ist kein Anderer als unser – Franz Defregger.




Die Gotthardbahn.

(Schluß.)

Im Juli 1872 war es, wo die ersten Transporte von Maschinen, Werkzeugen und Baumaterialien die steile Straße nach Göschenen auf der nördlichen und nach Airolo auf der südlichen Seite der Alpen hinanstiegen, wo die beiden Mundlöcher für den Gotthardtunnel zu liegen kamen. Armselige, kaum genannte Orte waren dies damals; heute sind sie in aller Munde und durch die weitläufigen Anlagen der Tunnelbauverwaltung ansehnlich gewachsen. Denn auf viele Jahre mußte hier Unterkommen für Tausende von Arbeitern und Beamten geschaffen werden; es mußten Werkstätten, Magazine, Ställe, Spitäler, Wirths- und Logirhäuser errichtet werden. In den Höhen, von denen der schweizerische Arzt, Philosoph und Dichter Albrecht von Haller singt:

„Der Wandrer sieht erstaunt im Himmel Ströme fließen,
Die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gießen“ –

da rauchen jetzt ohne Unterbrechung Schlote und pochen betriebsame Hämmer, und wer jetzt seinen Weg über den St. Gotthardpaß nach Italien nimmt, der erblickt schon von der Poststation Göschenen aus das „internationale Loch“, wie ein enthusiastischer Reisender die nördliche Tunnelmündung einst genannt hat. Unsere Abbildung (S. 348) führt dem Leser die Stadt Göschenen mit der sogenannten „alten Brücke“ vor, die, vom geschichtlichen Standpunkte aus betrachtet, nicht uninteressant ist. Sind doch über dieselbe in den 1790er Jahren, während des großen Gebirgskrieges, zahlreiche Armeen gezogen, und haben doch um ihren Besitz Franzosen, Russen und Oesterreicher gekämpft. Vergleichen wir nur flüchtig diese alte Brücke mit ihren jüngeren, eisernen Schwestern, welche die schnaubenden Dampfzüge über Abgründe von Berg zu Berg so sicher geleiten! Nichts dürfte den gewaltigen Fortschritt unserer die Schranken der Zeit und des Raumes niederwerfenden Industrie besser illustriren, als eben dieser Vergleich.

Bis jetzt ist kein Tunnel von so großer Länge in Europa ausgeführt worden wie der Gotthardtunnel; derjenige durch den Col de Fréjus, allgemeiner der Mont Cenistunnel genannt, hat allerdings die beträchtliche Länge von deutschen Meilen, steht aber doch noch etwas gegen den Gotthardtunnel zurück, welcher fast genau 2 Meilen lang ist. An sich war, da die bei dem Bau des Mont Cenistunnels gesammelten Erfahrungen reichlich vorlagen, das Unternehmen nach der glücklichen Vollendung des ersteren kein ausnahmsweise kühnes, was aber die Erwartungen nach Inangriffnahme des Werkes auf’s Höchste steigern mußte, war die Kürze der Bauzeit, welche dafür angesetzt worden. Der Mont Cenistunnel hatte eine während 13½ Jahren ununterbrochene Arbeit erfordert, für den noch etwas längeren Gotthardtunnel dagegen waren nur 8 Jahre in Aussicht genommen.

Die Erwartungen sind zwar nicht ganz erfüllt worden, da nach dem Vertrage, welchen die früher erwähnte Gotthardbahngesellschaft im Jahre 1872 mit dem Bauunternehmer abgeschlossen hatte, der Tunnel bereits am 1. Januar 1880 hätte durchschlägig geworden sein müssen, während er es thatsächlich erst 2 Monate später wurde, aber immerhin sind die Leistungen staunenswerth im Vergleich mit denen beim Bau des Mont Cenistunnels.

Nur darf man auf solche Erfolge der modernen Zeit nicht gar zu stolz sein; denn in Wirklichkeit sind selbst diese Erfolge im Verhältniß zu denjenigen, welche das Alterthum mit höchst bescheidenen Hülfsmitteln erreichte, nicht viel großartiger. Mit Maschinen und Dynamit geht die Arbeit leicht von statten, sodaß nur eine kurze Spanne Zeit zwischen dem Entschluß zur Ausführung und dem fertigen Werke liegt. Was wir aber, gegenüber den heutigen Leistungen, bei den Bauten des Alterthums bewundern müssen, das ist die zähe Ausdauer, welche unter Anwendung der primitivsten Werkzeuge auch dem sprödesten Stoffe gegenüber viele Jahrzehnte lang nicht erlahmte.

Tunnel finden wir schon als unterirdische Grabstätten in Aegypten zur Zeit Ramses des Zweiten (1500 v. Chr.), sowie in Nubien. Assyrier und Meder durchgruben bereits die Felsen zur Anlage von Wasserleitungen, und auch die römischen Bauten weisen großartige Beispiele dieser Art auf. Der Entwässerungstunnel, welcher den See Fucinus mit dem Flusse Liris verbinden sollte, wurde im Jahre 52 v. Chr. vollendet; er ist 3 Meter breit, 6 Meter hoch und deutsche Meilen lang, und 11 Jahre lang haben 30,000 Menschen zu seiner Fertigstellung gearbeitet.

Man bedenke, daß alle diese Arbeiten lediglich mit Meißel, Keil und Schlägel ausgeführt werden mußten! Allerdings kannte man wohl auch seit Urzeiten her ein primitives Sprengen der Felsen, nämlich das sogenannte „Feuersetzen“, welches auch in der Bibel erwähnt wird, Jeremia, 23. Cap., 29. Vers, wo es heißt: „Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“ Das Verfahren bestand darin, daß man vor die zu öffnende Felswand mächtige Feuer legte, wodurch das Gestein mürbe wurde und Risse erhielt, welche der Arbeit des Meißels zu Hülfe kamen. Auf Jahrhunderte hinaus blieb dies das einzige Hülfsmittel des Bergmannes bei dessen mühevollen unterirdischen Arbeiten. So lange konnte aber auch von einem wirklich erfolgreichen Bergbau nicht die Rede sein, und die ergiebigsten Stollen mußten verlassen werden, wenn der Felsen einigermaßen hart wurde. Selbst mit der Erfindung des Pulvers war noch nichts für den Bergbau und die Felsensprengung gewonnen; denn seltsamer Weise dauerte es noch drei volle Jahrhunderte, ehe man lernte, die für die Kriegskunst längst ausgebeutete Kraft des Pulvers auch für die Industrie nutzbar zu machen. Feldminen kannte man bereits vor der Erfindung des Pulvers dabei wurden jedoch die angegriffenen und untergrabenen Objecte nur dadurch zum Einstürzen gebracht, daß die das Erdreich künstlich stützenden Balkenwerke angebrannt wurden. Aber nach Erfindung des Pulvers behielt man diese unsichere Methode noch länger, als ein ganzes Jahrhundert bei, und erst gegen 1500 kam in Italien die Sprengung von Pulverminen auf. Nach Mitteleuropa gelangte diese militärische Erfindung erst im Laufe des sechszehnten Jahrhunderts; im dreißigjährigen Kriege war sie bereits allgemeiner bekannt und hat da ihre Schuldigkeit nicht nur an den Wällen der Festungen, sondern auch bei mancher der durch die Gegenreformation dem Untergange geweihten protestantischen Kirchen gethan.

Zu diesen Arbeiten wurden ausschließlich deutsche zünftige Bergleute gewählt, die damals von den Kriegsheeren in aller Herren Länder mitgeführt wurden, und diesem Umstande ist wohl der endliche Uebergang der Kunst des Minensprengens auf den Bergbau zu verdanken; Bergleute, die bisher als „Pixenmeister“ im Solde gestanden hatten, werden es wohl gewesen sein, welche bei ihrer Rückkehr in den alten verlassenen Stollen das neue Hülfsmittel hier zur Anwendung brachten.

Ein deutscher Bergmann, der sächsische Oberbergmeister Martin Weigel, gilt als der Vater der Erfindung, da er nachweislich im Jahre 1613 davon Gebrauch machte. Die weitere Verbreitung des Verfahrens wurde durch den dreißigjährigen Krieg zwar etwas verhindert, aber 1643 wurde sie doch bereits im Freiberger Bergrevier allgemein angewendet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_347.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2023)