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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Volkes junge Mädchen, vor ihm hergehend, Blumen auf seinen Pfad streuten.

Bereits hatten die Vorbereitungen zu der durch Siebenpfeiffer angeregten großen Volksversammlung begonnen, welche unter dem Namen des bereits erwähnten Hambacher Festes historische Bedeutung erlangen sollte. Der Enthusiasmus der Bevölkerung hatte einen so hohen Grad erreicht, daß das polizeiliche Verbot der Versammlung nur Oel in’s Feuer goß und daß, nachdem die Festordner den Beschluß gefaßt hatten, die Versammlung dennoch abzuhalten, die Theilnehmer aus allen Theilen der Pfalz und der Rheingegend schaarenweise zusammenströmten, als gälte es, die alten Nationalversammlungen der Rheinfranken zu erneuern.

Zahlreiche Leiterwagen, mit Eichenlaub und Fichtenzweigen mit schwarz-roth-goldenen Fahnen geschmückt, bedeckten die Landstraßen der Rheinpfalz. Unter Böllerschüssen und Musikfanfaren, Freiheitslieder anstimmend, zogen die begeisterten Schaaren gleich Wallfahrern in Neustadt an der Hardt ein, Wirth an der Spitze seiner Homburger auf einem Goldfuchs reitend.

Am Vorabend des Festes setzte es scharfe Debatten über die zu beobachtende Haltung; denn wie überall, so gab es auch hier eine Reformpartei und Anhänger der unmittelbaren revolutionären That. Diese Vorberathung machte aber auf den gerade anwesenden Ludwig Börne, der etwas ängstlicher Natur war, einen solchen Eindruck, daß er schon am nächsten Morgen nach Paris abreiste, ohne den Verlauf des Festes abzuwarten. Alle Gasthöfe und Bürgerhäuser waren von den Zugezogenen überfüllt. Als sich am andern Morgen der aus ungefähr 30,000 Personen beiderlei Geschlechts bestehende Festzug in Bewegung setzte, dauerte es drei Stunden, bis er zur vollen Entfaltung gelangte, und die Spitze hatte bereits die eine halbe Meile entfernte Schloßruine erreicht, als das Ende des Zuges die Stadt verließ. Nachdem der Fahnenträger, einer der stattlichsten Männer der Feststadt, welcher unter dem Spitznamen des „Rothen Abresch“ noch Jahrzehnte lang an dem Ruhme jener Tage zehrte, die riesige schwarz-roth-goldene Standarte auf dem Lug-in’s-Land der Burgruine aufgepflanzt hatte, gruppirten sich die Zehntausende um den Bergkegel, den begeisterten Reden ihrer Führer zu lauschen.

Obgleich ein paar losgebrochene Steine den falschen Alarm veranlaßt hatten, die Burgruine sei unterminirt, sodaß auf der einen Seite ein großes Gedränge entstand, war doch nicht der geringste Unfall zu beklagen und das Fest verlief in schönster Harmonie.

Unter den Rednern müssen als besonders beachtenswerth hervorgehoben werden: Brüggemann, gegenwärtiger Redacteur der „Kölnischen Zeitung“, der im Namen einer Deputation der Heidelberger Studenten das Wort ergriff, Siebenpfeiffer und Wirth. Der Inhalt ihrer Reden, deren Charakter, trotz mancher Wendungen von äußerster Schärfe, doch nur ein akademischer war und nicht die unmittelbare Ausführung des empfohlenen Programmes forderte, concentrirte sich in der gemeinsamen Forderung der Gewährung bürgerlicher Freiheit und einer festeren, einheitlicheren Staatsform Deutschlands, sowie in dem Wunsche nach einer Verbrüderung der europäischen Völker. Obgleich insbesondere Wirth Aussprüche gethan, die bis dahin unerhört gewesen, sogar den Fluch über die deutschen Rheinbundsfürsten ausgesprochen und seine Rede mit dem unverhohlenen republikanischen Glaubensbekenntniß geendigt hatte: „Hoch leben die vereinigten Freistaaten Deutschlands, dreimal hoch lebe das conföderirte republikanische Europa!“, so wurden die bald darauf wegen ihrer Reden verhafteten und des Hochverraths angeklagten Patrioten dennoch vom Schwurgericht in Landau freigesprochen, weil ihre Aeußerungen mehr als fromme Wünsche, denn als „Aufforderung zu den Waffen“ angesehen wurden.

Auch war eine Erklärung Wirth’s trotz der unerhörten Heftigkeit seiner übrigen Angriffe von so actuell patriotischer Bedeutung, daß er sich durch dieselbe sogar die Achtung der Gegner sicherte. Die linksrheinischen Provinzen waren nämlich aller Vortheile und weniger Nachtheile der französischen Revolution und der aus ihr hervorgegangenen und auf diese Provinzen übertragenen bürgerlichen Gesetzgebung theilhaftig geworden. Die Sympathien für Frankreich waren dort daher so groß, daß es fast schien, als erinnerten sich die Rheinfranken ihrer alten Stammesverwandten, der Gründer Frankreichs. Ja, es bestand sogar eine starke Partei in der Rheinpfalz, welche sich mit dem Gedanken ausgesöhnt hatte, daß Deutschland seine Freiheit und Einheit nur mit der Hülfe Frankreichs erringen könne, welches mit einem Trinkgelde in Gestalt des linken Rheinufers belohnt werden möchte.

Die Zeitgenossen erinnern sich noch recht wohl, daß es damals mit der deutschen Gesinnung in der Rheinpfalz nicht viel anders aussah als heute in Elsaß-Lothringen. Diese Partei trat so unverhohlen auf und hatte einen so starken Anhang, daß sowohl physischer wie moralischer Muth dazu gehörte, sich ihr in einer Volksversammlung entgegen zu stellen, weil man fürchten mußte, entweder körperlich mißhandelt oder als ein Spion der Regierung verschrieen zu werden. Dieser Richtung glaubte J. G. A. Wirth von vornherein mit aller Entschiedenheit entgegentreten zu müssen. Er erklärte daher in seiner Rede in feierlicher Weise:

„Die deutschen Patrioten dürfen auf die Hülfe Frankreichs nicht allein keine Hoffnung setzen, sondern sie müssen auch die Pläne Frankreichs aufmerksam beobachten, vor Allem in ihr politisches Glaubensbekenntniß den Satz anfnehmen:

‚Selbst die Freiheit darf auf Kosten der Integrität unseres Gebietes nicht erkauft werden; der Kampf um unser Vaterland und unsere Freiheit muß ohne fremde Einmischung durch unsere eigene Kraft von innen heraus geführt werden, und die Patrioten müssen in dem Augenblicke, wo fremde Einmischung stattfindet, die Opposition gegen die innern Bedränger suspendiren und das Gesammtvolk gegen den äußern Feind zu den Waffen rufen.‘“

Diese Erklärung stieß anfangs auf heftigen Widerspruch unter einem Theile der Zuhörer, aber derselbe wurde von Seiten einer Schaar rechtsrheinischer Deutschen, welche die Rednertribüne stürmisch umdrängten, durch jubelnden Beifall niedergedonnert. In diesem feierlichen Augenblick trat eine Deputation Frankfurter Bürger vor, welche dem Redner als Ehrengeschenk ein Schwert überreichte.

Mit diesem symbolischen Ehrenzeichen umgürtet ritt der Volkstribun nach Hause, und die Erinnerung an dieses Sinnbild der That sollte den bald durch herbe Drangsale schwer Geprüften in der Stunde der Noth aufrichten. Denn bald brach jene lange Reactionszeit herein, in welcher die edelsten Patrioten im Kerker verschmachteten oder in der Fremde verkümmerten. Der gestreute Samen aber wucherte unter der Oberfläche fort, um später tausendfältig und herrlich aufzugehen und endlich zum Ziel zu führen.[1]

Max Wirth.


Blätter und Blüthen.

Vermißte. (Fortsetzung von Nr. 16.)

17) Ein in Berlin verschwundener Gymnasiast! Karl Knetter, am 8. März 1866 zu Czattkau bei Danzig geboren, wohnte seit 1876 bei seinen Eltern in Berlin, besuchte das Friedrich Werder’sche Gymnasium und zählte zu den ersten Schülern seiner Classe. Am 1. März 1881 hat derselbe sich wie gewöhnlich zur Schule begeben, ist nach Schluß derselben noch mit mehreren Mitschülern bis zum Königsplatz gegangen – und von da an ist keine Spur mehr von ihm zu finden. Der Vater des Vermißten, Karl Knetter, ist Portier bei der badischen Gesandtschaft in Berlin, Behrenstraße 70. Der Vermißte war an jenem 1. März mit einem grauen sogenannten Kaisermantel, blauem Rock und dunkler Hose bekleidet und trug einen runden grauen Hut und Schaftstiefel, welche an den Spitzen mit Eisenblech beschlagen waren. Größe etwa 1,53 Meter, Wuchs etwas schmächtig, Haare dunkelblond, Augen blau, Gesichtsfarbe blaß. – Eltern, Behörden, Private und Tagespresse haben seit einem Jahr das Mögliche zur Erspürung des Verschwundenen gethan.

18) Am 29. December 1877 nahm die Wittwe Johanna Louise Heinze geborene Kirchheim aus Stadt-Ilm, welche zum Besuche aus Kiew gekommen war, die beiden Mädchen Anna Bartholomaeus, geboren den 25. Mai 1863, und deren Freundin, Ida Stief, geboren den 18. December 1861, mit nach Kiew, woselbst sie bei dem Schwiegersohn

  1. Wir müssen unsere Leser an dieser Stelle auf zwei frühere Artikel unseres Blattes über diesen Gegenstand hinweisen. Im Jahrgange 1871 (S. 418) schilderte ein alter Freund und Gesinnungsgenosse der „Gartenlaube“ eine Stunde der Erinnerung an jenes erste große deutsche Nationalfest und an die „Pioniere der deutschen Einheit“, die er am Tage der Eröffnung des ersten „deutschen Reichstages“ und am Vortage des ersten deutschen „Kaisergeburtstages“ auf dem Hambacher Schlosse (jetzt Marburg genannt) feierte. Dieser Artikel preist in würdigster Weise unsere „Pioniere“ und darf schon deshalb nicht vergessen werden. – Der andere brachte die berüchtigte Jahresfeier des Hambacher Festes „Nach vierzig Jahren“ wieder in Erinnerung, und es geschah dies damals (im Jahrgang 1872, S. 362), wie es auch heute geschieht, nicht in der Absicht, den Zorn über die erlittene Unbill wieder aufzurühren, sondern mit der beruhigenden Zuversicht, daß Tage solcher Machtverirrungen im deutschen Vaterlande nunmehr für immer unmöglich geworden sind. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_338.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2023)