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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Rath zu geben wußte. Es war ja auch immerhin möglich, daß solch ein hülfloses, allein stehendes bürgerliches Fräulein sich von so siegestrunkenen adligen Damen imponiren und einschüchtern ließ … mochten sie es versuchen, ihm war es recht. Beim gnädigen Herrn fand sie schwerlich Schutz und Beistand – so viel war sicher … von den Klingholt’s, die ja auch nicht das mindeste Recht hatten, sich hineinzumischen, war keiner zur Hand … und so schwieg er, bis die Generalin ihn anrief:

„Weshalb schweigen Sie denn ganz, Benning? Sind Sie nicht einverstanden … wollen Sie feig aus dem Spiele bleiben?“

„Wenn Sie das Commando übernehmen, Frau Generalin – in Reih und Glied will ich schon eintreten. Ich werde zunächst gehen und im Archiv das nötige Document suchen – vielleicht ist es jedoch nicht gleich auf der Stelle gefunden, und bis dahin, bis wir es in Händen haben und Sie vorgehen können, empfiehlt sich allseitige Vorsicht; wenn Fräulein Horstmar eine Ahnung davon bekäme, welcher Sturm sich über ihrem Haupte sammelt, könnte sie die Flucht ergreifen … oder auch in diesen Klingholt’s sich Hülfstruppen heranziehen, die Ihnen unangenehm würden. Ich möchte also unmaßgeblichst rathen, daß die gnädigen Damen sich mit jeder Aeußerung, welche das Dienstvolk etwa aufgreifen könnte, in Acht nehmen und –“

„Na, das versteht sich,“ fiel die Generalin ein, „meine liebe Cousine wird sich ja auch zusammennehmen können, wenn es durchaus sein muß …“

„Wollen Sie damit etwa andeuten, daß mir das ‚Zusammennehmen‘ schwerer würde als – anderen Leuten?“ antwortete Frau von Ramsfeld erhitzt.

„Herrgott, zankt doch darüber nicht!“ fiel hier Damian ein; „man kann ja die Zugbrücken aufziehen, dann ist der Besorgniß der Flucht ein Ende gemacht – sie kann dann nicht hinaus, und Hülfstruppen für sie können nicht herein …“

„Wie albern, der Einfall!“ murmelte achselzuckend Sergius, aber Frau von Ramsfeld fuhr mit dem Ausruf dazwischen:

„Albern ist das gar nicht; im Gegentheil, es wird dieser kleinen Mamsell ganz gehörig imponiren …“

„Als ob es dazu solcher Anstrengungen bedürfte!“ sagte verachtungsvoll die Generalin.

Sergius aber, der einen Moment mit einem eigenthümlich leeren Blick seine Mutter anstarrte, sprang jetzt plötzlich auf, als ob irgend eine im Mechanismus seines Innern aufschnellende Feder ihn belebe.

„Es ist wahr, Damian hat Recht; es ist nebenbei ein hübscher Sport – die Zugbrücken auf!“ rief er, „das wollen wir besorgen – wie, Damian?“

„Famos feudal!“ lachte Damian.

„Aber,“ sagte hier schüchtern und wie erschrocken Dora, die bisher sich ruhig zuhörend verhalten, „aber dann kann ja auch Niemand von uns weder hinaus noch herein.“

„Ist auch nicht nöthig,“ fiel Sergius eifrig ein, „wenn Sie einen Abendspaziergang im Mondschein vorhatten, Cousine, so müssen Sie darauf verzichten.“

„Wir haben jetzt gar keinen Mondschein,“ entgegnete, die Lippen aufwerfend, Dora, „woher sollte jetzt Mondschein kommen?“

In der That, Dora wußte das sehr genau – Mondschein hatten die letzten Abende nicht mehr gebracht – so wenig wie Nachtigallenschlag!




11.

Es war Nacht geworden. Der alte Herr hatte sich mit Andreas’ Hülfe zu Bett begeben und noch lange über seinen Adoptionsplan, der eine so wunderliche und ihm ganz unerklärbare Aufnahme gefunden, nachgesonnen; dann war ihm störend die nebelhafte Gestalt des Kaisers Heinrich des Vierten dazwischen getreten, und Fräulein Bertram hatte als Mathilde von Tuscien sich aus dem Söller von Canossa vorgebeugt, um in den Burghof niederzuschauen, wo eben der büßende Kaiser sich müde an die Wand lehnte und – langsam einschlief. Er war auch eingeschlafen, der alte Herr.

Mit desto wacheren Sinnen weilte Regine in ihrem Zimmer. Sie dachte nicht an Ruhe; rastlos wandelte sie in dem ihr zum Wohnzimmer dienenden ehemaligen Spielcabinet hin und her; die Kerzen auf den alterthümlichen Porcellanleuchtern, welche zwischen den japanischen Kistchen und Schachfiguren auf dem Kaminsims standen, brannten noch immer an dieser Stelle vor dem hohen Spiegel, und in diesem tauchte von Zeit zu Zeit immer wieder das bleiche Bild des ruhelosen jungen Mädchens auf.

Sie kam sich jetzt in der still und stiller werdenden Nacht, in ihrer einsamen Verlassenheit, wie ein innerlich gebrochenes Wesen vor. Es war ihr, als ob alle die Energie, all der elastische Lebensmuth, deren sie sich bisher mit einem gewissen frohen und stolzen Selbstgefühl bewußt gewesen, dahin sei – kraftlos, morsch und in verglimmende Asche aus einander gefallen, wie die Asche eines Strohfeuers. Ihr Leben schien ihr zu Ende mit diesem schweren Schlage, mit der bitteren Erkenntniß, die heute über sie gekommen – und dazu hätte sie verzweifeln, sie hätte vor zorniger Verzweiflung aufschreien mögen, daß sie so empfinden, daß sie sich diese Empfindung mit klarster Bestimmtheit aussprechen mußte. War es denn wirklich so entsetzlich, unerhört und vernichtend, was sie erlebt? War es nicht das Loos von Tausenden von Frauen, daß ihnen Liebe gelogen wird um ihres Vermögens willen? War es nicht ein Glück, daß sie früh genug zur Erkenntniß gekommen, um frei zu bleiben? Und war es nicht verächtlich, die Demüthigung ihrer Eitelkeit, welche in dieser Entdeckung lag – freilich eine gallenbittere Demüthigung – nicht mit dem ganz wenigen Seelenstolz, der dazu gehörte, verwinden zu können? Was machte sie so grenzenlos unglücklich, was vernichtete ihr so den Lebensmuth und das Leben, was zerbrach ihr so das Herz in der Brust? Die Entdeckung, daß er, daß der Mann, den sie über alle Männer in der Welt gestellt, schlecht, gemein wie alle, daß Keinem, keinem Einzigen mehr Treu und Glauben zu schenken sei?

Nein, das war es nicht, das nicht allein! Was sie innerlich zerbrach, war die unglückselige Macht einer Leidenschaft, welche sie selber bisher in sich nicht gekannt, welche wie eine dämonische Offenbarung ihr aufging in dem Augenblicke, wo sie den Gegenstand derselben verloren – es war die Ueberzeugung, daß sie diesen doch nie, niemals werde mit ihren Gedanken verlassen, ihn nie werde vergessen und aus ihrem Lebensbuche streichen können, daß sie rettungslos, hoffnungslos sich selber verloren sei – daß ihr für immer die Zukunft vergiftet und verdorben sein werde.

Diese Leidenschaft, das Bewußtsein dieser dämonischen Macht, gegen die keine Empörung der Vernunft fruchtete, und des inneren Elends, welchem sie damit auf immer verfallen, war es, was Regine hätte Rufe zornigen Schmerzes ausstoßen lassen mögen in der lautlosen Stille, welche sie umfing.

Wie lange sie so, von Zeit zu Zeit ihre Hände ringend, dann wieder stehen bleibend, um diese heißen Hände an ihre Schläfen, auf ihre Stirn zu drücken, auf- und abgegangen – sie wußte es nicht. Sie trat jetzt an das Fenster, um die fiebernde Stirn an die kühlen Scheiben zu drücken und zu den Sternen aufzublicken, zu denen seit Jahrtausenden so viele arme verzweifelnde Menschenkinder fragend aufgeblickt haben, ohne daß die Sterne eine Antwort gaben.

Als dadurch das Geräusch ihrer eigenen Schritte verstummt war, vernahm sie andere wie langsam auf- und abwandelnde. Ueberrascht horchte sie auf. In der That, in dem Raume vor ihrem Gemache, in dem großen melancholischen Saal war es. Und schwere langsam hin- und widergehende Männerschritte ließen sich dort deutlich vernehmen. Es war seltsam – wer konnte um diese Stunde in dem Raume, der am Tage nur selten durchschritten wurde, umher gehen? War es Andreas? Oder gab es Gespenster auf Dortenbach?

Beunruhigt lauschte Regine eine Weile – dann, als das Geräusch sich gleichmäßig fortsetzte, ergriff sie einen der Leuchter auf dem Kaminsimse und schritt der Thür, die in den Saal führte, zu, um diese zu öffnen und hinaus zu leuchten.

Als sie auf die Schwelle trat, sah sie eine Männergestalt, die, sich wendend, in diesem Augenblicke ihr das Gesicht zukehrte. Auf dem Tische in der Mitte des Saales brannte ein Wachslicht in einem silbernen Handleuchter, aber es erhellte den großen Raum nur so unvollkommen und dämmernd, daß es des Lichts der von Regine jetzt hochgehobenen Kerze bedurfte, um sie erkennen zu lassen, wer es war, der sich so rasch ihr zugewandt hatte und jetzt auf sie zuschritt.

Es war Sergius von Sander.

„Verzeihen Sie, Fräulein Regine!“ sagte er mit ängstlich beklommener Stimme, „ich fürchte, mein Erscheinen erschreckt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_322.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)