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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 20.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Recht und Liebe.

Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


In diesem Augenblicke traten die beiden jungen Herren Sergius und Damian in’s Zimmer – Fräulein Dora war schon vor einer Weile hinausgeschlüpft und hatte sie mit der Nachricht von dem, was sie gehört, bei einem tiefsinnigen Versenktsein in ein geistreiches „Sechsundsechszig“ aufgestört.

Benning ließ sich durch ihre stürmisch vorgebrachten Fragen nicht aus seinem Gedankengange bringen; er fuhr ruhig fort:

„Aber was thut der Mensch nicht, wenn es sich um solche Dinge handelt, wie hier für Fräulein Regine … und dann auch noch solche Leutchen sich hinter sie stellen, wie diese Klingholt, diese Rasse von Biedermännern …“

Hier trat Dora aufhorchend näher heran – sie dachte wohl, daß Einer aus dieser „Rasse“ sicherlich keinen Grund habe, sich hinter Fräulein Regine zu stellen.

„Und,“ setzte Benning hinzu, „wir haben uns eben verrechnet – das Fräulein Regine ist da, und wenn sie da ist, kommt sie natürlich auch, um ihr Recht zu wahren und zu behaupten. Der Doctor hat ihr gesagt: ‚mit dem alten Herrn kann’s zu Ende gehen, und geht’s zu Ende, so kommt alles darauf an, daß Sie da sind, um sofort Besitz zu ergreifen – Sie dürfen sich Niemand in der Besitzergreifung zuvorkommen lassen‘ – darauf legen die Herren Juristen einen ganz erschrecklichen Werth.“

„Gott steh uns bei!“ sagte die Generalin, indem sie ihren Ellenbogen in die linke Hand stemmte, um mit der rechten das spitze Kinn zu stützen. „Gott steh uns bei! Das ist ja zum Tollwerden – rein zum Tollwerden –“

„Um die Kränk’ zu kriegen!“ übersetzte Frau von Ramsfeld dies in’s Süddeutsche.

„Ah bah,“ sagte hier Sergius, der schon lange ein den Nagel auf den Kopf treffendes geniales Wort gesucht hatte, „der Rentmeister will Euch bange machen, Mutter. Wenn da einmal von den Horstmar’schen gültig verzichtet ist, so ist verzichtet –“

„Und das Besitzergreifen könnt’ man ihr schon legen,“ fiel hier mürrisch Damian ein. „Man jagt sie halt fort.“

„Versuchen Sie’s lieber nicht!“ warf der Rentmeister achselzuckend ein.

„Aber was ist denn zu machen, was wäre denn zu versuchen?“ fragte die Generalin. „Sie werden doch einen Rath haben, was geschehen kann?“

Der Rentmeister zuckte wieder mit einer empörenden Ruhe die Schultern.

„Ich sehe nicht ab, was geschehen könnte. Es sei denn,“ setzte er mit einer sehr wenig ehrerbietigen, spöttischen Miene hinzu, „es sei denn, einer der beiden jungen Herren wüßte über das liebenswürdige Fräulein Horstmar so viel Einfluß zu gewinnen, um sie zu bewegen, die Verzichtleistung der Mutter für sich zu wiederholen und zu bestätigen –“

„Dummer Schnack!“ sagte Damian, während Sergius die Augen aufriß und den Rentmeister wie plötzlich traumverloren anstarrte.

„Wenn sie’s wiederholt,“ rief die Generalin aus, „wenn sie die Verzichtleistung bestätigt, dann ist sie gültig?“

„Wenn sie ihr Recht fortgiebt, so hat sie keines mehr – natürlich!“ entgegnete Benning.

„Na, da wär’ uns ja geholfen,“ fuhr die Generalin aus. „so muß sie ihrer Mutter Verzichtleistung bestätigen!“

„Wird sie das?“

„Sie wird, sie muß – man wird keine Umstände mit ihr machen – mit solch einer Person, die sich hier als Krankenpflegerin einschleicht –“

„Solch einer heimtückischen Creatur,“ fiel Frau von Ramsfeld, diesmal wunderbar schnell einer und derselben Meinung mit der Generalin, ein, „die sich unter fremdem Namen vor uns versteckt, um sich dann wie die Herrin im Hause zu betragen – solch einer bürgerlichen Mamsell, die so schlecht ist, auf den Augenblick zu speculiren, wo unser armer Vetter die Augen schließt, um dann … was lachen Sie, Benning?“

„Es geht ja über die Puppen!“ kam die Generalin der Antwort Benning’s auf diese Frage der Frau von Ramsfeld zuvor – „über die Puppen! – Nur muß überlegt werden, wie ihr am besten zu imponiren ist. Wenn Sie einverstanden sind, Frau Cousine, gehen wir Alle insgesammt zu ihr, und Benning begleitet uns – wir erklären ihr energisch, daß sie nach ihrer Mutter Verzichtleistung hier nichts zu suchen hat, daß sie abziehen kann, daß wir vorher nur das alte Actenstück auch von ihr unterzeichnet zu sehen wünschen …“

„Ist die Verzichtleistung der Mutter in Ihrem Besitz?“ fragte Sergius den Rentmeister.

„Die wird im Archiv zu finden sein.“

„Nun wohl, so suchen Sie dieselbe! Noch heute schaffen Sie uns das Schriftstück!“ befahl die Generalin.

Benning nickte nur. Er hatte seine Bedenken bei dieser Art vorzugehen, die von den Damen so hitzig adoptirt wurde, aber er fand es nicht nöthig, sich zu widersetzen, da er leider keinen anderen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_321.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)