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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

ihm bequem vorwerfen – und man hat es natürlich auch gethan – daß sein Gebäude sich weniger auf den Thatsachen der Erdfunde als auf den Lücken derselben aufbaue. Diese von ihm vor zwanzig Jahren verkündeten Zwischenformen sind seitdem in großer Reichhaltigkeit und überzeugender Vollständigkeit gefunden worden. Nicht nur von den reptilienartigen Urvögeln, sondern auch von den Ahnenformen unserer Raubthiere, Pferde, Schweine, Wiederkäuer etc. hat man seitdem ganze Entwickelungsreihen in der alten, wie namentlich in der neuen Welt ausgegraben, und beinahe jeder neue Fund auf paläontologischem Gebiete war ein Beweis für Darwin.

Die andere obenerwähnte große Lücke hat das Studium der Entwickelungsgeschichte, welches erst durch Darwin einen wahren Inhalt und Aufschwung erhalten hat, soweit ausgefüllt, daß die Ableitung der Wirbelthiere von den Wirbellosen nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann. Hier haben namentlich deutsche Forscher, Fritz Müller, Häckel, O. Schmidt, Weismann und Andere das Werk Darwin’s fortgeführt, und in der Entwickelungsgeschichte des Einzelwesens die oft wunderbar getreue, oft auch stark getrübte Wiederholung seiner Stammesgeschichte nachgewiesen. Man hat dem Urheber der neuen Weltanschauung vorgeworfen, er sei nicht ganz consequent vorgegangen und habe ursprünglich den Menschen von der allgemeinen Entwickelung des Thierreiches ausgeschlossen. Allein dies ist ein Irrthum, der nur dadurch möglich war, daß der erste Uebersetzer der „Entstehung der Arten“, Professor Bronn, eine den Menschen betreffende Stelle dieses Werkes weggelassen hatte, um dem Verfasser Anfechtungen nach dieser Richtung zu ersparen. Allerdings hatte Darwin die Folgerungen für die Stellung des Menschen in der Natur nicht gleich anfangs so stark betont, wie es von manchen seiner Anhänger gewünscht worden wäre, aber wie recht er daran gethan, zeigte der neue Sturm, der sich gegen ihn erhob, als er in seinen späteren Werken auf das betreffende Verhältniß näher einging.

Auch dieser Sturm hat sich inzwischen gelegt, und mit der Wissenschaft vom Menschen sind auch alle Geisteswissenschaften, die Philosophie, Psychologie, Ethik etc. in die gewaltige Bewegung eingetreten; der Gedanke, daß Alles, was ist, aus unvollkommenen Anfängen emporgewachsen ist, bildet gegenwärtig das fruchtbarste Ferment aller Wissenschaften. Nach allen Richtungen hin haben Darwin’s Arbeiten die wirksamsten Anregungen gegeben: die Geschichtswissenschaften wurden durch die „Vorgeschichte“ des Menschen ergänzt; in den Gesellschaftswissenschaften richtete sich der Blick auf die primitiven Zustände der wilden Völker; für die Aesthetik wurde eine Grundlage in dem Schönheitsgefühl der Thiere, z. B. der Bevorzugung schöner Blumen durch honigsuchende Insecten gefunden. So wurde der Darwinismus zu jener Schraube und jenem Hebel des Archimedes, um die alte Weltanschauung aus ihren Angeln zu heben.

Wir können hier nicht auf die späteren ausführenden Werke Darwin’s näher eingehen, sondern wollen nur auf die beispiellose Arbeitssumme hinweisen, die in diesen Werken und in dem sich an sie knüpfenden, über den ganzen Erdball ausgedehnten Briefwechsel aufgespeichert liegt. Welcher Sclave oder Frohnarbeiter – so möchte man hier fragen – hat wohl in seinem Leben so eifrig, so unablässig gearbeitet, wie dieser Mann, den kein materielles Bedürfniß dazu trieb? Man kann von ihm sagen, er sei auf dem Schlachtfelde gestorben; denn sein Arbeitszimmer war ein solches in geistiger Beziehung, ein Feldherrngemach, von dem aus eine Welt von Vorurtheilen besiegt werden mußte. Aber obwohl er das für Reformatoren seltene Glück erlebt hat, den vollständigen Sieg seiner Ansichten zu erleben, ruhte er doch nicht auf seinen wohlverdienten Lorbeeren, sondern überraschte noch in seinem hohen Alter alljährlich die Welt mit einem neuen werthvollen Werke und gedachte noch lange nicht die Hände in den Schooß zu legen. Nach welcher Richtung hin man auch Rath holend bei ihm anfragte, überall hatte er noch „Stöße von Notizen“ liegen, die der Verarbeitung harrten, und so ist er bis in die letzten Wochen seines Lebens hinein im Dienste der Menschheit thätig gewesen, ein unvergleichlicher, unermüdlicher Arbeiter, der nichts für sich beanspruchte, nicht einmal die Anerkennung der Welt. Wenn irgendwo, so dürften hier die Worte Hamlet’s an ihrem Platze sein:

„Er war ein Mann – nehmt Alles nur in Allem! –
Wir werden nimmer seines Gleichen sehn.“



Zwischen Vater und Sohn.
Eine Skizze aus dem orientalischen Leben.
Von C. del Negro.
(Schluß.)


Wenige Augenblicke später stand Abd-er-Raschid vor seinem Vater, der im Erker eines Gartensaales auf weichen Kissen ruhte. Durch die geöffneten Fenster drang das Mondlicht herein, den ganzen Erker mit strahlendem Licht übergießend.

„Im Dunklen, Vater?“ fragte Abd-er-Raschid.

„Wo Oel und Mond zugleich leuchten, geht das Haus zu Grunde,“[1] erwiderte Ibrahim Bey. „Du willst mit Deinem Vater sprechen?“ fuhr er dann fort, ohne den Jüngling zum Niedersitzen aufzufordern.

„Nicht mit meinem Vater, sondern mit dem Onkel Nefiseh-Hanem’s. Gieb sie …“

„Auch ich habe mit Dir zu sprechen,“ unterbrach ihn Ibrahim, „– und zwar als Vater. Abd-er-Raschid, es ist nun an der Zeit, daß Du ein Weib nimmst. Meine Mutter hat, wie Du weißt, bereits Brautschau für Dich gehalten und nach reiflicher Ueberlegung haben wir beschlossen, daß Du die Tochter Hassan-Pascha’s zum Weibe nimmst.“

„Die Brautschau der Großmutter galt nicht mir,“ gab Abd-er-Raschid trotzig zurück.

Ibrahim sah seinem Sohne fest in’s Auge. „Wem denn sonst?“ fragte er gedehnt.

„Keinem Anderen als – Dir, Vater.“

„Du irrst, mein Sohn,“ sagte Ibrahim in sanftmüthigem Tone, einem Ton, den er nur anschlug, wenn ein Zornausbruch im Anzuge war. „Es wäre sehr tactlos von mir, wenn ich eine zweite Gemahlin nähme, ehe mein mündiger Sohn seine erste genommen.“

„So gieb mir Nefiseh-Hanem!“ kam es leidenschaftlich von des Jünglings Lippen. „Diese will ich oder – keine.“

„Du willst? Du hast gar nichts zu wollen,“ fiel ihm Ibrahim mit bebender Stimme in’s Wort.

„Vater, gieb mir Nefiseh!“ bat Abd-er-Raschid mit veränderter Stimme, fast im Tone eines Flehenden.

Ibrahim machte eine abwehrende Bewegung und begann den Saal mit hallenden Schritten zu durchmessen, und erst nach einer längeren Pause peinlichen Schweigens wagte der Jüngling zu fragen:

„O, mein Vater, warum wünschest Du diese Verbindung nicht?“

„Warum? Warum? Weil Nefiseh Dich nicht liebt.“

Und indem er das sagte, setzte er sich wieder auf den Divan im Erker, stützte den Kopf mit der Hand und sah seinen Sohn mit einer Art triumphirenden Hohnes unverwandt an.

In Abd-er-Raschid’s Brust stieg ein böser Verdacht auf – der fuhr kalt und schneidend in sein Herz. Das Mondlicht, welches das Haupt Ibrahim’s beschien, zeigte jeden Zug seines Gesichts, und jeder Zug verrieth den glücklichen Liebhaber.

Secundenlang starrte Abd-er-Raschid seinen Vater an.

„Sie liebt mich nicht?“ fragte er alsdann.

„Nein, nicht Dich!“

„Einen … Anderen also?“

„Das darf ich Dir heute nicht verrathen. Wozu brauchst Du es auch zu wissen? Du vermählst Dich mit der Tochter Hassan-Pascha’s. Das ist mein letztes Wort.“

Dabei winkte Ibrahim mit der Hand zum Zeichen, daß der Sohn entlassen sei. Dieser verneigte sich nach orientalischer Sitte und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, den Saal.

Draußen aber ballte er die Hände, lief wie ein Rasender den Corridor hinab und warf sich, einen unarticulirten Schmerzensschrei

Anmerkungen

  1. Arabisches Sprüchwort.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_318.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)