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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Erbschleichen – nun ja, wenn man’s so nennen will,“ sagte, boshaft lächelnd, Benning. „Obwohl …“

„Diese Schlange!“ rief die Generalin in sittlicher Entrüstung; „diese höllische Schlange – darum hat sie damit begonnen, uns von dem Vetter zu trennen – und der Doctor, dieser Doctor Klingholt dient ihr dabei hinterlistig zum Rückhalt …“

„Richtig – der Doctor – die Herren Klingholt – da liegt eben – nicht der Hase, sondern der Förster im Pfeffer …“

„Welche Frechheit!“ eiferte die Generalin. „Sabine Dortenbach hat vor ihrer Verheirathung feierlich und gerichtlich auf alle Erbansprüche verzichtet und geschworen, nie wieder den Fuß nach Dortenbach setzen zu wollen. Darnach können wir uns nun doch ausbitten, daß diese Sorte Verwandtschaft uns aus dem Wege gehe. So etwas kann doch selbst Er nicht hier dulden wollen. Freilich, was duldet Er nicht am Ende! Aber dafür sind wir da. Es wäre ja gottlos von uns, wenn wir den kranken, schwachen Mann einer solchen Intrigue ausgesetzt sein ließen …“

Sie war, während sie sprach, in zornigster Erregung aufgesprungen und schritt nun mit einer Energie auf und ab, daß die alten Dielen sich unter ihren Füßen bogen.

„Wie haben Sie die Sache denn nur entdeckt, Benning?“ fragte sie.

„Na – wie man so etwas entdeckt, wenn man nur einmal auf den ersten Gedanken gebracht ist. Es war eine so auffallend schöne und stattliche Person, die der Doctor Klingholt da geschickt halte – als Krankenwärterin! Solche Personen, welche Sie dabei ansehen, als ob sie sagen wollten: wenn da, wo Du stehst, Luft wäre, würde ich eine angenehmere, freiere Aussicht haben, solche Damen pflegen doch keine Krankenpflegerinnen zu sein – zu meiner Zeit wenigstens waren sie das nicht. Und dann hatte sie so etwas – ich weiß nicht, worin es lag, vielleicht nur an der Art, womit sie von Zeit zu Zeit mit ihren schmalen langen Fingern langsam über ihre Brauen strich – sie hatte so etwas, was meine Gedanken wunderlicher Weise am Ende immer wieder auf unsern Hausgraben brachte, auf die nordwestliche Ecke, wissen Sie, und so – nun, um’s kurz zu machen: so dämmerte mir etwas. Schrieb also in die Stadt, wo ich einen Halbbruder habe, der mir schon länger den Gefallen gethan hat, das Fräulein Regine Horstmar ein wenig im Auge zu behalten, und so bekomme ich heute vor Mittag die Antwort, daß das Fräulein Horstmar, bei dem in letzter Zeit der Doctor Klingholt viel aus- und eingegangen ist – ihre Tante, die Clavierlehrerwittwe, soll an asthmatischen Zufällen leiden – daß also das Fräulein seit einiger Zeit verreist ist – wohin, nicht zu ermitteln; sie ist eine dunkelblonde Schönheit, schon mehr brünett, hat eine gedämpfte Hautfarbe mit zarter Röthe, große blaue Augen und einen kleinen Leberfleck links vom Kinne. Na – da hätten wir denn das Signalement – und ich denke – es paßt, Frau Generalin.“

„Und Regine heißt sie auch – das Fräulein Horstmar?“

„Regine ist sie getauft,“ nickte der Rentmeister.

„Ein Zweifel kann dann freilich nicht mehr obwalten – es handelt sich nur noch um die Frage, wie man sie am besten und am raschesten fortschickt.“

„Das ist nun freilich nicht leicht,“ antwortete, sehr nachdenklich den Kopf wiegend, der Rentmeister.

„Ich würde das ganz allein auf mich nehmen – sofort!“ rief hitzig die Generalin – „wenn ich nicht befürchten müßte, meine Cousine Ramsfeld würde es mir schwer übel nehmen, daß ich ihr nicht gegönnt habe, auch dabei zu sein, wo man sich so um den kranken Vetter verdient macht … ich muß die Cousine –“

Der Rentmeister sah sie mit einem so bitterspöttischen Lächeln an, daß sie sich unterbrach.

„Was lächeln Sie denn so dämonisch, Benning? Was wollen Sie sagen?“

„Lächle ich?“ entgegnete der Rentmeister mit einem vergnügten Augenblinzeln – „dann ist es wohl vor Vergnügen, zu sehen, wie praktisch Sie das Ding angreifen werden, gnädige Frau –“

„Nun, dafür sollten Sie mich kennen!“

„Freilich, freilich! Deshalb komme ich ja auch zuerst zu Ihnen. Jetzt möchte es sich jedoch allerdings empfehlen, auch Frau von Ramsfeld und Herrn Sergius in das Geheimniß zu ziehen – es möchte uns doch verübelt werden, wenn wir die Sache nicht einer allgemeinen Berathung unterzögen; ich habe noch einiges vorzulegen, das wohl der Mühe werth wäre, einem kleinen Familienrath vorgelegt zu werden.“

„Was haben Sie denn noch?“

„Darf ich gehen, Frau von Ramsfeld herüberzubitten?“ fragte Benning, ohne der Generalin eine Antwort zu gönnen.

„Gehen wir Beide zu ihr hinüber, meinethalb!“ versetzte sie und schritt vorauf.

Sie gelangten durch einen Corridor, der die beiden Heerlager trennte, in’s Hauptquartier des Südens. Das Zimmer der Frau von Ramsfeld, welches Fenster nach zwei Seiten hatte, die jetzt durch zugezogene Jalousien verdunkelt waren, zeichnete sich durch große Unordnung aus, durch die merkwürdige, eigensinnige Verwechselung der Möbel zum Ruhen und Sitzen mit solchen, welche zur Aufbewahrung von Wäsche und Kleidungsstücken bestimmt sind.

Dora saß am Fenster und knotete an irgend einer Häkelei, Frau von Ramsfeld aber ruhte auf einer Chaiselongue und – schlief. Sie fuhr ein wenig wild aus ihrer Siesta auf, als nach einem einmaligen raschen Anklopfen die Generalin so nachdrücklich in’s Zimmer gerauscht kam, als ob sie eine kriegerische Occupation vornehme.

„Aber ich bitt’ Sie, Frau Cousine, mich so zu überraschen! Und Sie, Benning, was wollen Sie?“

Die Generalin setzte sich auf den Sessel zu Füßen des Ruhebetts, ohne eine Entschuldigung bei der Lage der Dinge für geboten zu erachten; sie überließ dieselbe Benning, der in der Mitte des Zimmers stehen geblieben war und nun, indem er mit boshafter Betonung sprach, auch die Frau Generalin aus ihrer Haltung voll entrüsteter Würde aufschreckte.

„Sie müssen schon verzeihen, daß wir Sie stören, gnädige Frau; es geschieht nicht ohne guten Grund … wenn das Haus brennt, macht man mit dem Wecken keine Complimente … das Haus brennt nun zwar nicht, aber der Boden unter Ihren Füßen bekommt eine verdächtige Wärme, meine Gnädige! Da heißt es denn überlegen, was zu thun bei einer Sachlage von so verzweifelt gefährlicher Natur – wirklich – es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich sage: verzweifelt.“

„Aber,“ fuhr hier die Generalin dazwischen, „was reden Sie denn da, Benning? Verzweifelt? Verzweifelt einfach ist denn doch die Geschichte, und was zu thun? Ich habe nie in meinem Leben sicherer gewußt, was zu thun ist.“

„Um was handelt es sich denn?“ fragte Frau von Ramsfeld, indem sie mit großem Eifer ihr wirrgewordenes Scheitelhaar ordnete und glatt strich.

„Es handelt sich darum,“ sagte Benniug, „daß die Pflegerin, welche Doctor Klingholt dem alten Herrn zugeführt hat, Fräulein Horstmar, die ausschließliche legitime Erbin von Dortenbach ist, und daß, wenn sie in dieser Weise, wie sie es gethan, sich einmal hier im Hause eingeführt hat, sie auch wohl entschlossen ist, es nicht wieder zu verlassen – wozu sie denn auch freilich kein Gott zwingen kann.“

Frau von Ramsfeld starrte ihn an, beide Hände, welche plötzlich in ihrer Bewegung wie gelähmt inne gehalten hatten, noch auf dem Scheitel. Die Generalin aber sagte erstaunt: „Benning, schnappen Sie denn über? Sie sprechen ja jetzt, als ob …“

„Ich verrückt wäre? O nein ich weiß sehr gut, was ich sage, meine Gnädige.“

„Die – wie heißt sie? Horstmar?“ rief jetzt Frau von Ramsfeld dazwischen, „ist hier und will uns um die Erbschaft des Vetters bringen? Die Mutter, ehe sie mit ihrem Quacksalber durchgegangen ist, hat ja …“

„Hat ja auf Alles und Jedes verzichtet,“ fiel hier die Generalin ein.

„Allerdings, allerdings!“ rief Frau von Ramsfeld, „ich weiß ja noch von meinen seligen Eltern her, daß dieser bürgerliche Anhang uns nichts mehr angeht.“

„Ihre seligen Eltern, gnädige Frau, haben sich da im Irrthum befunden,“ erwiderte Benning, sich breit in den nächsten Lehnstuhl setzend, von welchem unterdeß Dora hastig ein auf den ersten Anblick unbestimmbares nicht mehr ganz frisches Wäschestück fortgerissen hatte. „Das Fräulein Sabine von Dortenbach hat vor ihrer Verheirathung auf ihre Erbansprüche entsagt. Allerdings! Und hätte unser Herr legitime Descendenz, so wäre ihre Nachkommenschaft ausgeschlossen. Allein da jene fehlt, ist die Tochter der Sabine von Dortenbach die einzige und ausschließliche Erbin –

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