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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 19.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Recht und Liebe.

Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Regine schritt eiliger, als sie gekommen, davon – und jetzt wandte sie sich dem Edelhofe zu – in einer leicht erklärlichen Aufregung. Welche Enthüllung war ihr geworden! Also so genau kannte man in der Försterei ihrer Eltern Schicksale, so genau hatte Leonhard, noch bevor er sie kennen gelernt, um dieselben gewußt – und nicht der Zufall war es gewesen, der sie in der Stadt zusammengeführt, sondern die überlegte, planmäßige Berechnung hatte ihn bewogen, ihr den Schein des Zufälligen vorzuspiegeln, sich ihr allmählich mit erheuchelter Schüchternheit zu nähern, ihr zu huldigen und endlich, seines Erfolges sicher, um sie zu werben – um die Erbin – Alles um ihres Rechtes auf dieses Dortenbach willen, um eines Geburtsrechtes willen, das sie nicht sollte von sich schleudern dürfen, obwohl es ihr das Leben vergiftete!

Sie war nicht mehr zornig, nicht mehr empört, wie am Morgen – sie war entsetzt, innerlich gebrochen – das Herz blutete ihr; es drohte ihr zu brechen bei der unseligen Entdeckung, so grenzenlos abscheulich betrogen worden zu sein – von ihm, von dem reinsten, edelsten Menschen auf Erden, wie sie gewähnt hatte.

Sie rief es sich wieder in die Erinnerung zurück, wie er sich ihr zuerst genähert; auf der Eisenbahn von einem weiteren Ausfluge in’s Gebirge heimkehrend, hatte sie ihn im Coupé sich gegenüber gefunden – nach längerer Fahrt war der Tante neben ihr unwohl geworden – er hatte sich hülfreich gezeigt – den Arzt hervorgekehrt; beim Auseinandergehen nach der Ankunft in der Stadt hatte die Tante ihn gebeten, am anderen Tage kommen und nach ihrem Befinden sehen zu wollen; er war gekommen und von da an öfter und öfter, bis Regine ihm ein Recht gegeben hatte, seine Besuche dauernd fortzusetzen.

Aber so oft er gekommen, er hatte Reginen nie verrathen, daß er aus Dortenbach stamme, daß er die Geschichte ihrer Eltern kenne – mit keiner Silbe. Das verdammte ihn in Reginens Augen jetzt unrettbar. Nur ein Intrigant konnte so handeln, ein Intrigant, der ihr gefolgt war, der sich geflissentlich eines Platzes in demselben Coupé mit ihr bemächtigt hatte und dem der Zufall dann so wunderbar beigestanden …

Und erst nach längerer Zeit, kurz bevor sie ihm das Jawort gegeben, das nach beider Wünschen vorerst noch nicht bekannt werden sollte, hatte er ihr gegenüber, anscheinend ganz unbefangen, einmal Dortenbach erwähnt und auf ihre erstaunte Frage, wie er es kenne, geantwortet, daß es seine Heimath sei … von seinen Eltern, von seinem Bruder Edwin hatte er ihr nun gesprochen, gesagt, daß sein Vater Forstmann, der Förster der Dortenbach’schen Waldungen sei. Und von da an war denn bei ihrem unbedingten Vertrauen auf ihn das Eis gebrochen – sie hatte ihm ihrer Eltern Schicksal erzählt und er ihr gelauscht, als ob er nie davon gehört. Und dann war es geschehen, daß sie ihm ihre Entschlüsse, ihre zornige Entschlossenheit geoffenbart, nie in die geringste Berührung mit der adeligen Sippschaft ihrer Mutter kommen zu wollen.

Er hatte weder Lob noch Tadel für diese Art zu empfinden gehabt, nur skeptisches Lächeln – zu widersprechen war er wohl viel zu klug gewesen – erst nach und nach war leise, mit einem überlegenen Lächeln, mit einer spöttischen Indifferenz der Widerspruch gekommen, bis er eines Tages bei ihr erschienen war, um ihr mitzutheilen, daß er als Arzt zu ihrem Oheim berufen sei; als er dann zurückgekehrt, hatte er den zweiten großen Schachzug gethan – sie zu überreden gewußt, hierher, nach Dortenbach zu kommen.

So lag jetzt Alles klar vor Reginens Augen. Nach seiner Mutter Aeußerungen, welche er so thöricht gewesen war, nicht ganz in’s Vertrauen seines verdeckten Spiels zu ziehen, war Alles aufgedeckt worden; die abscheuliche Intrigue lag nun klar und offen vor ihren Augen.

Regine war in einer furchtbaren Verzweiflung; ihn als ruchlos, als schlecht, als einen Menschen, der ihr um ihres Erbes willen Liebe gelogen, der ihre Hingabe geduldet, weil die Hoffnung auf ein Rittergut damit verbunden war – ihn so erkennen zu müssen, das war mehr, als sie zu ertragen wußte – das löschte ihr die Sonne aus und ließ alle Gestirne, die dem Leben leuchten, in Nacht und Dunkelheit ersterben – es war nichts Helles, nichts Großes, nichts Schönes mehr auf der Welt – es war Thorheit, noch weiter leben zu wollen unter Menschen, von denen, wenn Er trügen und lügen konnte, Keiner, auch nicht ein Einziger gut sein konnte – nein, nicht ein Einziger – Regine hätte eine letzte bange Zuflucht in ihrem vernichtenden Schmerze da suchen mögen, wo einst ihre arme Mutter sie zu finden gehofft.

Als sie endlich ganz erschöpft und zum Sterben elend in ihr Zimmer kam, fand sie ein Billet auf ihrem Tische – es war von Ihm. Er schrieb:

„Regine – Sie haben ein vollständiges Recht, auf Ihr Recht zu verzichten. Aber Sie haben kein Recht zum Argwohn wider mich, und ich bin zu stolz, mich dagegen zu vertheidigen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_305.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)