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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Wenn ferner der germanische Frühlingsgott Donar in Folge seiner Herrschaft über das Wetter zu einer Lebens-, das heißt Leben spendenden Gottheit wurde, welche über Wachsthum und Fortpflanzung der Fauna und Flora waltete, so übertrug sich auch diese Seite des Wirkens der Gottheit auf den ihr beigelegten Vogel, den Kukuk. Von ihm hängt noch heute das Gedeihen oder Mißrathen des Getreides ab, wie aus mehreren Bauernregeln hervorgeht. In Schwaben zählt man seine Rufe, wenn er zum ersten Mal schreit; so viel Mal er ruft, so viel Gulden (ob er sich auf die neue Reichswährung versteht, darüber fehlen die Nachrichten) kostet der Scheffel Korn im Jahre. Theuerung tritt ein, und der Wein wird herbe, wenn der Vogel nach Johannis ruft. Mit der Saat kommt und geht der Vogel; er verstummt, sobald das Korn in die Aehren schießt. Dann bleiben ihm die Gerstengrannen im Halse stecken zum Verderben seiner Stimme, oder er ißt sich drei Mal an Kirschen satt, um dann sein Singen einzustellen.

Auch die häufige Benennung von Pflanzen nach dem Kukuk zeugt für seine schöpferische, göttliche Natur. Wir haben im Deutschen eine Kukuks- oder Gauchblume, ein Gauch- oder Kukuksbrod, einen blauen und einen großen Kukuk, einen Kukukskohl, einen Gauchlauch, Gauchhafer, Gauchwermuth, eine Kukuksorchis und Ackergauchheil. Aehnliche Namen finden sich auch in anderen Sprachen.

Ebenso greift der Kukuk in die Thierwelt ein. In Schweden gilt er als Butterausrufer, steht also in Beziehung zur Kuh, während er es in Westfalen – ländlich, sittlich – mit dem Schweine zu thun hat: die Hausfrau schneidet den frischen Speck nicht eher an, als bis der Kukuk ruft. In Nordheim richten die Kinder ihr Verlangen nach Speck direct an die Adresse des Kukuks in dem Kinderreim: „Kukuk, schnid Speck up.“

Dem Menschen gegenüber offenbart sich seine Macht in einer reichen Fülle mythischer Züge. Wie bei des Kukuks Kommen im Frühling frische Kraft durch alle Adern der Natur schießt, so erweckt er im Menschen fröhlichen Jugendmuth und Gesundheit.

Die frühere Heilkunde gab die Asche des verbrannten Kukuks als wirksames Mittel gegen die Sucht ein. Wachsthum, Schwungkraft und Frische des Leibes und Geistes gehen von ihm oder dem ihm innewohnenden Gott aus. Doch nicht blos dies: sogar das Leben des Menschen steht in seiner Macht, wenigstens besitzt er die Kenntniß seiner Dauer, eine Wissenschaft, die schließlich doch der Ausfluß der ihm zukommenden schöpferischen Kraft ist. Allgemein verbreitet ist die Sitte, den Kukuk, wenn man ihn im Frühling zum ersten Male hört, zu fragen: „Wie viel Jahre soll ich noch leben?“ Die Zahl seiner Rufe nach dieser Frage gilt als die der noch übrigen Lebensjahre. Auf dieser Annahme seiner Allwissenheit beruht denn auch die noch heute vielgebrauchte Redensart: „Das weiß der Kukuk.“

Auf des „heiligen Kukuks“ Orakel baute man namentlich in Heirathsfragen. In vielen Gegenden fragen ihn wohl noch heute die Dorfmädchen, wie lange sie noch „ledig“ sein werden, wie er denn noch bei Goethe einem Liebespaar nahende Hochzeit und Zahl der Kinder verkündet. Aus dem Glauben an seinen Einfluß auf Liebes- und Eheverhältnisse erklärt es sich denn auch, wenn man im Böhmerwalde beim Hochzeitszug auf den Ruf des Kukuks achtet, weil er bedeutsam sei für das Wohlergehen der Hochzeiter. Als Lebensspender ist der Kukuk auch im Stande, dem Körper Schönheit zu verleihen, wie er auch die Kraft hat, ihn zu verunzieren. Die Macht, die man dem Kukuk beilegt, läßt es begreiflich erscheinen, daß das Volkslied zugleich mit dem Dahinscheiden des Frühlings auch das Verstummen seines Vorboten beklagt:

„Kukuk hat sich zu Tod gefallen
Von einer hohlen Weiden;
Wer soll uns diesen Sommer lang
Die Zeit und Weil vertreiben?“

Ein Glück, daß wenigstens ein Ersatz vorhanden ist:

„Ei, das soll thun Frau Nachtigall,
Die sitzet auf grünem Zweige,
Sie singt, sie springt, ist allzeit froh,
Wenn andere Vögel schweigen.“

Welch ein gottbegnadeter Vogel muß der sein, dessen Gesang nur durch den der Nachtigall ersetzt wird, der so tief im Gemüthe des Volkes wurzelt, daß nur die größte Sängerin über seinen Verlust trösten kann! Aber Alles hat zwei Seiten; auch der Kukuk macht diese Fundamentalwahrheit nicht zu schanden.

Das Christenthum war es besonders, welches sich bestrebte, unsern Vogel als einen Vertreter des Bösen hinzustellen. Wie aber so manche einmal im Gemüthe des Volkes eingewurzelte Göttergestalt nicht völlig von der neuen Religion discreditirt werden konnte, so gelang es den Missionären auch nicht, den Gewittergott Donar und seinen Vogel, den Kukuk, gänzlich aus den Vorstellungen des Volkes zu verdrängen. Vielmehr leben beide noch heute fort.

Durch die christlichen Bekehrer wurde Donar zum Teufel par excellence gestempelt, und Alles, was in seinen Kreis gehörte, erhielt nun eine durchaus teuflische Natur. Die verderbliche Macht des Kukuks findet ihren vollen Ausdruck in dem Namen des brasilianischen Kukuks, der Ani, welche nach Buffon[WS 1] geradezu Teufelsvogel oder Savannenteufel genannt wird.

Wie in dieser Bezeichnung seine göttliche Natur in ihr Gegentheil verkehrt ist, wie bei den Mexicanern der Quapachtototl als ein Vogel von schlimmer Vorbedeutung gilt, so finden wir den Kukuk auch im germanischen Aberglauben als Verkörperung einer dämonischen Macht. Aus dem Vogel, welcher nach dem alten Mythus Leben und Segen spendete, ward nun, wenn nicht der Tod selbst, so doch sein Verkünder. Wer frühmorgens nüchtern ihn zuerst sah, hatte den Tod zu fürchten, dem die Letten nur dadurch ausweichen zu können meinen, daß sie Abends ein Stück Brod, „Kukuksmundvoll“ genannt, mit in’s Bett nehmen, um es beim Erwachen sogleich zu essen und so dem Bösen zuvorzukommen. Zum mindesten wird der, welcher ihn hört, ohne gefrühstückt zu haben, auf ein Jahr arbeitsuntüchtig oder taub.

Ihre Höhe erreicht die Furcht vor dem Kukuk mit dem sechszehnten Jahrhundert, wo er geradezu in die Functionen des Teufels eintritt; denn von jener Zeit an scheute man sich mehr und mehr, den Teufel bei seinem Namen zu nennen, und so machte sich, da er nun einmal nicht mehr zu entbehren war, das Bedürfniß geltend, ihn mehr auf verhüllende Weise zu bezeichnen.

So haben wir noch heute eine erkleckliche Anzahl von Redensarten, in welchen der Kukuk mit allen Machtbefugnissen des zum Teufel umgetauften Donar ausgerüstet auftritt. Der Kukuk soll ebenso gut „dreinschlagen“ wie „das heilige Donnerwetter“ oder der Höllenfürst selbst. Bei Christian Weise kommen einmal „Donarskinder“ in dem Sinne von „Teufelskindern“ vor, und wahrscheinlich hat man es mit einem derartigen Sprößling zu thun, wenn man von Einem sagt, „ihn habe der Kukuk geschaffen“. Solchen Leuten gegenüber erscheint es ganz gerechtfertigt, wenn man den frommen Wunsch nicht unterdrücken kann: „der Kukuk möge sie holen!“ oder wenn man sie kurz und bündig „zum Kukuk jagt“. Bei Brentano liest man von einer Pein, „um gleich des Kukuks zu sein“, und Benedix läßt einmal eine seiner Personen „in Kukuks Namen“ Ruhe gebieten. Wen „der Kukuk plagt“, etwas zu thun, der wird gewiß Unannehmlichkeiten davon haben und „in des Kukuks Küche kommen“; unwillkommen sind die, welche „der Kukuk herführt“. Unwahrscheinliches, Lügenhaftes weisen wir zurück mit den Worten: „Das glaube der Kukuk“, und „er ist ganz des Kukuks“ sagen wir mit Recht von Einem, der „wie vom Bösen besessen ist“. Wie schlimm es aber mit Einem steht, wenn „Alles zum Kukuk ist“, werden hoffentlich möglichst Wenige erfahren.

An den Gewittergott Donar erinnert es auch, wenn man zur Bezeichnung eines hohen Grades, z. B. von Schnelligkeit, sagt: „Er läuft wie der Kukuk“, „das ging wie der Kukuk“ (das heißt wie’s der Teufel oder Jemand mit seiner Hülfe kann), wo man ja auch spricht: „das ging wie der Blitz“.

Wenn dieses „wie der Kukuk“ so viel bedeutet wie „im höchsten Grade“, so steht dem scharf gegenüber eine Redensart wie: „dann weißt Du nicht den Kukuk“, wo „den Kukuk“ nicht ein Deut mehr ist als das kahle, unhöfliche und poesielose „Nichts“. In Gellert’s Briefen heißt es einmal: „Nehmen Sie mir’s nicht übel:“ – wie der höfliche Sachse zum Ueberfluß noch vorbaut – „von der Medicin verstehen Sie nicht den Kukuk“. Hieran schließt sich die Stelle bei Hebel: „Diesen Rechtshandel habe ich gut für Euch geführt – den Kukuk hat er.“

Diese der sonst üblichen so scharf gegenüberstehende Ver- wendung des Kukuks zum Ausdrucke des Allergeringsten läßt sich vielleicht auf folgende Weise erklären:

Anmerkungen (Wikisource)

  1. w:Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707-1788), französischer Naturforscher
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_296.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2023)