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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

überging. Papst Urban der Achte, der mit großer Entrüstung wahrgenommen hatte, wie Laien und Geistliche während des Gottesdienstes das Tabaksgläschen gebrauchten, belegte 1624 die Schnupfer mit dem Kirchenbann.

Zu furchtbarer Grausamkeit verschärfte man die Strafen gegen den Genuß des Tabaks in Spanien, wie denn in dem berühmten Wallfahrtsorte San Jago de Compostella 1692 fünf Mönche lebendig eingemauert wurden, weil sie zur Nachtzeit auf dem Chor geraucht hatten. Aber selbst aus dem Kampfe mit dem Papstthum ging der Tabak als Sieger hervor; denn Benedict der Dreizehnte, ein leidenschaftlicher Schnupfer, gab den Gebrauch des Tabaks 1724 wieder frei.

Ebenso wenig konnte die weltliche Obrigkeit sich irgend eines durchgreifenden Erfolges im Kampfe gegen den Tabak rühmen, obwohl man fast in allen Ländern dem neuen Gebrauche mit der äußersten Strenge entgegen getreten war.

König Jakob der Erste von England schrieb höchst eigenhändig im Jahre 1603 eine umfangreiche lateinische Schrift gegen den Tabak, in welcher er zu beweisen suchte, daß das Tabakrauchen das wahrhafte Bild der Hölle darstelle und unvermeidlich zur Hölle führe. Die Universität Oxford veranstaltete 1605 eine öffentliche Disputation gegen das Tabakrauchen; in Frankreich durfte der Tabak nur auf ärztliche Anweisung von den Apotheken abgegeben werden; in Schweden mußten die Raucher zur Zeit Gustav Adolf’s Kirchenbuße thun; in Rußland knutete man sie 1634 unbarmherzig und schlitzte ihnen die Nase auf, und zu derselben Zeit machte der grausame Sultan Murad der Vierte allnächtlich in Constantinopel die Runde mit seinen Henkern; wer beim Tabak gefunden wurde, dessen Leiche lag am nächsten Morgen vor dem Hause auf der Straße. In Persien warf man Soldaten, die man rauchend bei der Pfeife ergriff, mit zerschmetterten Händen und Füßen vor die Zelte, und auch bei den Mohammedanern waren die Geistlichen, die Muftis, erbitterte Feinde des neuen Genusses.

Aber selbst die grausamsten Verfolgungen gegen den Tabak blieben wirkungslos; denn er eroberte sich mit jedem Jahre ein größeres Gebiet; zu Tausenden traten neue Verehrer schnupfend, kauend, rauchend in die Reihen der Diener des verlockenden Genusses ein, und in verhältnißmäßig kurzer Zeit war jeder Widerstand der weltlichen wie der geistlichen Obrigkeiten vollkommen machtlos geworden; der aussichtslose Kampf wurde definitiv aufgegeben, und der Tabak hatte den vollständigen Sieg in sämmtlichen Ländern, in welchen er bekannt war, errungen. Wahrlich! eine staunenswerthe Thatsache, der sich nichts Aehnliches zur Seite stellen läßt, zugleich aber ein unwiderleglicher Beweis dafür, daß der Genuß des Tabaks dem Menschen wirklich große Annehmlichkeiten gewähren muß.

Sobald man jedoch die Einsicht gewonnen hatte, daß kein Mittel ausreichte, den verführerischen Gast der neuen Welt wieder zu vertreiben, änderten sofort die Regierungen ihre Stellung zu demselben. Die klugen Kaufleute der Republik Venedig waren die ersten, welche erkannten, daß der Tabak „ein sehr steuerfähiges Object“ sei. Schon 1657 erklärten sie die Fabrikation und den Handel des Tabaks für ein Staatsmonopol und gaben beides in Pacht; die ersten fünf Jahre der Pachtzeit lieferten dem Staate einen Reinertrag von 46,000 Ducaten. Diesem verlockenden Beispiele folgte sogleich die päpstliche Regierung, und binnen kurzer Frist thaten die übrigen italienischen Staaten ein Gleiches.

In Frankreich führte der Minister Colbert 1674 die Tabakregie ein; sie warf sofort enorme Summen ab, und die Erträge stiegen von ½ Million Livres im Jahre 1674 bis zu 29 Millionen Livres im Jahre 1787. Die Revolution von 1789 beseitigte neben manchen anderen höchst verhaßten Einrichtungen auch das Tabakregal, aber Napoleon der Erste sah sich 1811 aus finanziellen Rücksichten genöthigt, dasselbe wieder einzuführen.

In England beeilte man sich, da der Tabaksverbrauch in’s Ungemessene zu wachsen begann, das Monopol 1625 einzuführen, aber diese Einrichtung wurde mit der größten Unzufriedenheit aufgenommen und nach einer Dauer von noch nicht 20 Jahren während des Bürgerkrieges durch das Parlament wieder aufgehoben. Während der kurzen Dauer der Republik war der Tabakzoll sehr gering, unter dem Königthum aber wurde er sogleich bedeutend erhöht und fortwährend gesteigert; er wuchs durchschnittlich in je 75 Jahren um 100 Procent, und ähnliche Erscheinungen und Verhältnisse wiederholten sich in allen cultivirten Ländern der Welt während des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Es würde uns zu weit führen, die Geschichte des Tabaks in sämmtlichen einzelnen Staaten hier zu berücksichtigen, und so wollen wir uns nur noch etwas eingehender mit der Cultur und dem Handel des Tabaks in Deutschland beschäftigen.

Die älteste Nachricht über Tabakraucher in Deutschland giebt ein Chronist der Stadt Zittau vom Jahre 1620. Englische Hülfstruppen, welche dem böhmischen Könige Friedrich von der Pfalz zugeführt wurden, verbreiteten die neue Sitte in Deutschland, die sich so rasch einbürgerte, daß schon 1642 der bekannte Schriftsteller Moscherosch klagte, „es sei kein Stand mehr, bei dem der höllische Rauch nicht bereits Eingang gefunden hätte.“

Sobald nach dem westfälischen Frieden geordnete Zustände in Deutschland wieder eintraten, begannen weltliche und geistliche Herren den Krieg gegen den Tabak. Im Badischen mußte sogar bei den Kirchenvisitationen über diejenigen Gemeindeglieder berichtet werden, welche Tabak rauchten, oder, wie man damals fast allgemein sagte, Tabak „tranken“. Der Rath zu Bern bestimmte 1661 für das Tabakrauchen dieselbe Strafe wie für den Ehebruch.

Aber als warme Freunde des Tabaks erwiesen sich in Deutschland und Holland die Aerzte; einer derselben ließ sich sogar in seiner Begeisterung für das neue Genußmittel zu dem in der damaligen Zeit oft citirten Ausspruche hinreißen: „Einer, der studirt, muß nothwendig viel Tabak rauchen, damit die Geister nicht verloren gehen. Zwanzig Pfeifen an einem Tage zu rauchen, ist nicht zu viel.“ Sogar den „Frauenzimmern“ empfahl derselbe Arzt das Rauchen. Besondere Gunst gewann der Tabak indessen am brandenburgischen Hofe. Schon Kurfürst Friedrich der Dritte gab bei Hofe eigene „Tabaksgesellschaften“ mit feierlichem Ceremoniel, bei denen Ihrer Durchlaucht der Frau Kurfürstin das Amt zufiel, dem Herrn Gemahl mit einem Fidibus die Pfeife anzuzünden. Weit ungezwungener ging es in den Abendgesellschaften des Königs Friedrich Wilhelm des Ersten zu, die unter dem Namen des Tabakscollegiums weltbekannt sind. Friedrich der Große war ein eifriger Schnupfer, und zu seiner Zeit war Rauchen und Schnupfen in Deutschland schon ganz allgemein geworden. Goethe dagegen war ein entschiedener Feind und Verächter des Tabaks, auch Lessing (nach seinem eigenen Zeugniß) und Immanuel Kant haben nicht geraucht, Schiller aber schnupfte mit großer Vorliebe.

Es ist selbstverständlich, daß die lebhafte Nachfrage bald einen sehr blühenden Handel mit Tabak hervorrief. Englische und vor allem holländische Handelshäuser erwarben damit in kurzer Zeit große Reichthümer, aber auch Bremen und Hamburg blieben nicht zurück. In Holland fing man schon 1615 zu Amersfort an, Tabak zum Verbrauch anzubauen, und dieser erste Versuch auf dem europäischen Continente gelang vollkommen. Rasch breitete sich nun die Tabakscultur im Gelderlande, um Utrecht und in einigen andern Gegenden Hollands aus, und in Amsterdam und Rotterdam erstanden ansehnliche Tabaksfabriken.

In Deutschland traten vielfach die Behörden der Ausbeutung des neuen Erwerbszweiges auf’s Thörichtste entgegen. Als ein deutscher Kaufmann 1620 in Straßburg größere Ackerflächen mit holländischen Tabaksamen bestellte, verbot der Rath der Stadt lange Zeit den Anbau, weil die Cultur des Getreides dadurch beeinträchtigt werden könnte. Aber auch diesen Zopf überwand der Tabak bald; denn schon 1660 wurde im Elsaß, im Bisthum Speier, in der Markgrafschaft Baden und im Breisgau Tabak auf größeren Flächen gebaut, und von hier aus breitete sich der Tabaksbau auch über andere Gegenden Deutschlands aus. Als die Heere Ludwig’s des Vierzehnten die Pfalz auf unmenschliche Weise verwüstet hatten, verließen viele nun brodlose Bewohner die Heimath; die meisten derselben fanden im Brandenburgischen gastliche Aufnahme, und von ihnen wurde die Cultur des Tabaks in die Gegenden von Brandenburg und Halle, in Schlesien und Thüringen eingeführt. Der große Kurfürst, der klüger war als der Rath der Stadt Straßburg, begünstigte den Anbau des Tabaks auf’s Emsigste.

Der Erzeugung des Rohproductes folgte die Anlage von Fabriken auf dem Fuße. Um 1677 war in Spanien eine große königliche Schnupftabakfabrik in Sevilla entstanden, welche den sehr fein gepulverten Spaniol herstellte; die Schnupftabakfabriken in Italien bereiteten zuerst den Rappée, und von letzterem Lande aus begab sich ein Fabrikant, Bolongaro mit Namen, nach Deutschland und legte die erste deutsche Schnupftabakfabrik in Höchst an. Im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_263.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)