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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zu sprechen. Nicht wahr, Doctor?“ wandte sie sich mit einem süß-sauren Lächeln an Leonhard.

„Wenn ich auch wüßte, daß Sie zu so scharfem Urtheile berechtigt wären, Frau Generalin, würde ich doch meine Zeugenschaft dafür ablehnen,“ antwortete Leonhard. „Meine Familie ist der unseres Herrn zu großer Dankbarkeit verpflichtet, und zudem bin ich zu jung, um zu wissen, ob vielleicht in vergangenen Tagen Thatsachen Ihr hartes Urtheil gerechtfertigt hätten –“

„Thatsachen!“ unterbrach ihn, gereizt durch den Widerspruch auch von dieser Seite, die Generalin; „ich sehe ja, daß Sie recht gut verstehen, welche Gründe ich habe, mich auszudrücken, wie ich that. Sie werden – meine liebe Cousine Ramsfeld ist vielleicht nicht der Ansicht – aber Sie werden mit mir einverstanden sein, daß, wenn in einer Generation die Brüder mit ihren Jägern und Knechten ihren Vormund überfallen und es eine Schlacht giebt, daß im Flure und in der Küche unten das Blut fließt, und daß, wenn in der folgenden Generation ein Vater und ein Bruder die eigene Tochter und Schwester so quälen und unglücklich machen, daß sie sich in den Schloßgraben stürzt – daß man alsdann sagen darf: es ist eine leidenschaftliche, harte Rasse.“

„Sie kennen ja die Familienchronik sehr genau – ich weiß von allem Dem nichts,“ bemerkte hier Frau von Ramsfeld.

„Sie hat sich in’s Wasser gestürzt? Aus unglücklicher Liebe?“ rief gespannt Dora, die hoch aufgehorcht hatte.

„Aus unglücklicher Liebe zu einem Bürgerlichen,“ antwortete die Generalin.

„Ist aber wieder herausgezogen und lebendig geblieben,“ sagte jetzt mit seiner hohlen Stimme apathisch Damian.

„Woher weißt Du denn davon?“ fragte Frau von Ramsfeld ihren Sohn.

„Ich? – wie weiß ich? Vielleicht hab’ ich’s geträumt,“ antwortete gähnend der Gefragte.

Leonhard schien die ganze Unterhaltung sehr peinlich zu berühren; er war sogar bei der Erwähnung des traurigen Vorfalls, auf den zuletzt die Rede gekommen, leicht erblaßt – jetzt erhob er sich gar, wie um der Fortsetzung des Gesprächs zu entgehen, und ließ durch Andreas seinen Morgenbesuch bei dem alten Herrn ankündigen.

„Wir haben eine sehr gute Nacht gehabt, Herr Doctor,“ sagte Andreas mit bedeutend erhelltem Gesichte; „mehrere Stunden fest geschlafen, heute Morgen mit gutem Appetit gefrühstückt, und jetzt studiren wir mit großem Interesse in einem dicken Kupferwerke, in welchem Abbildungen des Heidelberger Schlosses enthalten sind; ich habe es heute in der Frühe aus der Bibliothek holen müssen.“

„Desto besser!“ antwortete Leonhard erfreut und trat in das Schlafzimmer des Barons.

Dieser streckte ihm aus seinem Bette, das er noch nicht verlassen, die Rechte entgegen.

„Sie sind ein Wunderdoctor, Klingholt,“ sagte er lebhaft; „Sie haben mir nach langer Zeit einen guten tiefen Schlaf verschafft.“

„Nicht ich,“ entgegnete lächelnd Leonhard, „der Champagner, die frische Luft –“

„Und,“ setzte der Baron mit einem Seufzer hinzu, „wenn Ihre Mittel nicht zählen sollen, dann auch die Befriedigung, einmal eine vernünftige Unterhaltung, wie unsere gestrige Debatte über unsere Capelle, über Ihren Schloßbau geführt zu haben. O, Sie glauben nicht, Klingholt, wie wohl es mir thut, wenn ich einmal ein ernstes Wort über ernste Dinge reden höre, Gedanken, an denen mein Herz hängt, mit Menschen, die mich verstehen, austauschen kann – aber grundgütiger Gott, wo finde ich sie? Meine Freunde sind dahin, mir vorangegangen in die dunkle Tiefe, die uns Alle erwartet – ich hatte ihrer auch niemals viele – und nun bin ich allein – allein! O Doctor, glauben Sie mir, es ist ein trauriges Metier, in Einsamkeit ein alter Mann sein!“

Leonhard nickte nur dazu; er hatte die Hand des Barons gefaßt und zählte die Pulsschläge.

„Je älter wir werden,“ fuhr der Baron unterdeß fort, „desto mehr wird uns klar, daß wir Alle mit unserem unruhigen, fieberhaften Geistesleben doch nichts sind, als schwebende, webende Irrlichter, und daß der eigentliche Sinn von all diesem Auf und Ab, diesem Hin und Her, woraus unser Leben besteht, doch nichts ist, als das Suchen, das Streben, die Sehnsucht nach den andern tausend Flammen hoher und reiner Seelen, mit denen wir zusammenfließen und zusammen auflodern möchten zu einer großen göttlichen Sonnenexistenz. Und nun müssen wir doch ewig ein einsames Irrlicht über dem Sumpf unserer Alltagsexistenz bleiben, nur immer matter, bleicher, verglimmender – bis zum endlichen Erlöschen in Nacht und Dunkel.“

„In Einsamkeit ein alter Mann sein, sei ein trauriges Metier, sagen Sie,“ antwortete nach einer Pause Leonhard; „es ist also meine dringlichste Pflicht, dieses Metier Ihnen zu legen, lieber Baron; denn Trauer ist etwas, das allen Menschen und vorzugsweise Ihnen schlecht bekommt – ich sagte Ihnen schon, weshalb – und so muß ich als gewissenhafter Arzt dagegen einschreiten.“

„Wie wollen Sie das ändern?“ fragte der Baron mit resignirtem Lächeln.

„Es wird mir glücklicher Weise nicht so schwer werden. Ich werde Ihnen ein ganz anderes Regime vorschreiben, als das bisher befolgte. Bewegung, frische Luft, einige Gläser Champagner und – eine Unterhaltung, die Ihnen wohl thut, während dafür gesorgt wird, daß jede Unterhaltung, die durch Widerspruch und Tactlosigkeit Ihr Nervenleben reizt und Ihre Galle aufregt, von Ihnen ferngehalten wird.“

„Das heißt, Sie, Klingholt, wollen zu meiner Gesellschaft und – zu meinem Schutze hier bleiben?“ rief der alte Herr, indem ein Strahl von Freude seine mageren, bleichen Züge verschönte.

Leonhard schüttelte den Köpf.

„Leider kann ich das nicht. Meine Praxis in der Stadt würde ich Ihnen gern opfern, aber meine Kranken kann ich Ihnen nicht opfern. So oft ich es irgend möglich machen kann, werde ich zu Ihnen heraus kommen, und damit ich sicher bin, daß meine Anordnungen genau befolgt werden, damit Sie Jemand in der Nähe haben, der alle nachtheiligen Einflüsse von Ihnen fern hält, werde ich Ihnen eine zuverlässige Krankenpflegerin senden – eine junge Dame von Bildung und guter Familie, die sich dem ernsten Berufe der Krankenpflege gewidmet hat und die ich bei der Ausübung dieses Berufes habe achten lernen.“

„Ah!“ rief der Baron ein wenig enttäuscht aus, „Sie wollen mir noch ein Frauenzimmer, ein schwarzgekleidetes, melancholisch aussehendes Frauenzimmer in’s Haus senden, damit ich die Weiblichkeit in jeder Temperamentssorte um mich habe? Ich bitte Sie, Doctor! Mein Haus ist ohnehin zu voll.“

„Gerade deshalb! Sie sollen darunter zu leiden aufhören.“

„Was wollen Sie! Ich nehme ja dieses Leiden geduldig hin. Ihr Aerzte sagt uns von einem Irrigationsröhrchen, das über dem Menschenauge liegt und ihm fortwährend Feuchtigkeit zuführt, damit es rein und hell bleibt. Ich habe auch über meiner Seele solch ein Irrigationsröhrchen, das mir fortwährend die nöthige Gutmüthigkeit zuführt und die Bitterkeit vom Herzen fortspült.“

„Hilft alles nichts,“ entgegnete Leonhard lächelnd; „ich bin ein tyrannischer Arzt, und da Sie sich einmal in meine Hände gegeben, müssen Sie sich fügen. Macht das melancholische Temperament, vor dem Sie sich fürchten, Sie gar zu unglücklich, so will ich Sie wieder davon befreien – für’s Erste muß der Versuch gemacht werden.“

„Du lieber Gott!“ seufzte der alte Herr, „Sie beschwören nun noch ein neues Sturmelement über mein unglückliches Haupt herauf.“

Leonhard ließ sich nicht erweichen. Er bat nur, der Wirthschafterin die nöthigen Anweisungen zur Aufnahme der Krankenpflegerin geben zu dürfen. Das junge Mädchen selbst werde keine persönlichen Ansprüche machen, außer dem einen, nicht wie eine bezahlte Wärterin behandelt zu werden, sondern wie eine Dame, die sie ihrer ganzen Erziehung nach sei; alles Uebrige werde sich fügen, wenn sie selbst da sei. Und dann bat Leonhard noch, daß der Baron den treuen alten Andreas ihr zum besonderen Beschützer und Vertheidiger, wo es nöthig sein würde, geben möge. Wenn sie eines weiblichen Beistandes bedürfen würde, habe sie seine Mutter in der Nähe.

Der alte Herr mußte sich mit einem Seufzer in das Unabänderliche fügen – es war ja stets sein Schicksal gewesen, sich beherrschen lassen zu müssen.

Leonhard brach nun auf, um seinen Eltern den Rest des Vormittags zu widmen. Er war über den Zustand seines Patienten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_259.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)