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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

– was kannte überhaupt Sergius von Sander nicht! – sehr wohl hier kenne. „Der Steinwein führt bis zu achtzehn Procent Alkohol,“ sagte er, „der gute Rheinwein nur etwa zehn, der Madeira zwanzig, der echte Sherry …“

„Darauf wird viel ankommen,“ unterbrach ihn jetzt mit einer wunderlich hohltönenden Grabesstimme Damian von Ramsfeld, „der Steinwein ist gut, gesund und rein – das weiß Jedermann, der’s versteht, und das thun halt die Leute, die mit der Alkoholwage daherkommen, immer am wenigsten.“

„Als ob Sie in Ihrem Bierlande drüben es besser verständen!“ sagte Sergius scharf.

„Das Bier schadet gar nichts, um sich über alle Dinge auszukennen,“ versetzte Damian, „beim Biere läßt sich ebenso gut wie bei einem anderen Getränk aus dem Aermel schütteln, was die Leute verblüfft …“

„Wollen Sie damit sagen, daß meine Angaben von eben unrichtig seien?“

„Werde mich schön hüten! Bin auch so klug, nur Behauptungen aufzustellen, die mir keiner der Zuhörenden widerlegen kann.“

„Vetter Damian hütet sich mit Dir zu disputiren,“ sagte Frau von Sander und sah bei diesen Worten mit einem Aufwerfen ihrer blassen schmalen Lippen auf Vetter Damian in einer Weise herab, die für diesen nichts Schmeichelhaftes hatte. „Dabei,“ fügte sie hinzu, „gewinnt aber die Dialektik nichts.“

„Dialektik – möcht’ wissen, was dabei zu gewinnen wäre, wenn Sergius in seinem pommerschen und ich in meinem fränkischen Dialekt kauderwelschen,“ brummte Damian, eine Bemerkung, welche glücklicher Weise überhört wurde, weil der Baron laut sagte:

„Desto besser, verehrte Cousine! Disputiren ist thöricht. Wozu sich erhitzen, um einem Anderen eine falsche Vorstellung zu nehmen? In solch einem Menschenkopf ist eine ganze Sammlung falscher Vorstellungen. Ob eine mehr oder weniger darin ist, was verschlägt mir das?“

„Aber ich bitte Sie, wo bleibt dann die Bildung?“ warf die Generalin ein. „Wir werden doch nur gebildet durch ein fortwährendes Berichtigtwerden unserer Vorstellungen.“

„Ach,“ sagte Damian, „ich dank’ schön … das ewige Berichtigtwerden ist gar meine Sach’ nicht.“

Jetzt glaubte Sergius offenbar sein Stichwort gefallen; er räusperte sich zu einer gründlichen Erörterung, und nur Dora von Ramsfeld, das junge Mädchen neben ihm, hielt ihn noch zurück, weil sie aufgesprungen war, um mit ganz anmuthiger Koketterie, die Leonhard gelten mußte, auf’s Neue das Glas des alten Herrn zu füllen.

Dieser leerte es hastig und hob dann die Tafel auf. Sehr vorschnell, dachte Sergius, und auch Damian dachte so, da die Rothweinflasche vor ihm noch lange nicht geleert war.




3.

Leonhard hatte nach Tisch den alten Herrn an den Arm genommen, um ihn hinab in die Anlagen zu führen. Er sagte:

„Sie sollen, statt jetzt zu schlafen und sich die Nachtruhe zu verderben, mit mir in die freie Luft hinaus. Der Tag ist schön, klar und heiter, und ich freue mich darauf, mit Ihnen durch die alten Gärten zu wandeln, in denen ich mich als Knabe so viel umhergetrieben und Ihrem Gärtner Verdruß bereitet habe, mehr als ich verantworten kann.“

„Versuchen wir’s, ob die Kräfte reichen!“ versetzte der Baron. „Ihr fester Arm wird mich stützen – es ist, als wenn ein stärkendes Fluidum von Ihnen her mir zuströmte – das macht, Sie sind mir sympathisch, Klingholt; diese Anderen, die mich umgeben und die Sie nun haben kennen lernen, sind es nicht; sie reizen, sie ärgern mich.“

„Und das ist sehr übel, das sollte nicht sein; just Sie mit Ihrem Nervenleben sind nicht der Mann, der solchen Antipathien ausgesetzt sein sollte.“

„Aber was wollen Sie? Wie kann man sich all dieser liebevollen rührenden Theilnahme und Beflissenheit seiner nächsten Verwandten entziehen, blos deshalb, weil sie uns nicht angenehm sind und man auch sehr wohl die Katzenkrallen unter den Sammetpfoten welche sie einander reichen, bemerkt …“

„Senden Sie sie fort! Halten Sie etwa nur Fräulein Dora von Ramsfeld als Ihre Vorleserin hier!“

„Fräulein Dora? Das Kind ist gut, aber als Vorleserin nicht zu gebrauchen. Sie wird nie mit den Fremdwörtern fertig und überschlägt jeden Augenblick eine Zeile. Da ist der gebildete Sergius mir doch lieber, obwohl er auf jeder Seite wenigstens einmal plötzlich innehält, um mir eine nöthige Erklärung beizubringen …“

„Und die ganze Gesellschaft, welche hier doch nur das Streben, einander zu überwachen, zusammenführte …“

„Glauben Sie das? Da thun Sie ihnen Unrecht, Doctor – wozu sich überwachen? Sie sind meine gleichnahen Verwandten, haben die gleichen Erbansprüche und werden zu gleichen Theilen gehen, natürlich …“

„Aber ist es nicht ebenso natürlich, daß sie sorgen, Sie könnten Bevorzugungen eintreten lassen? Kann Frau von Sander nicht fürchten, die hübsche kleine Dora könnte Ihr Herz in einem solchen Grade erobern, daß es durchaus der Genialität ihres Sergius als Gegengewicht dagegen bedürfe?“

„Freilich, freilich,“ sagte der Baron, „es mag so sein, aber ich denke nicht gern Uebles von meinen Nächsten, und habe ja auch nicht die leiseste Neigung verrathen, Einen vor dem Andern zu bevorzugen.“

„Desto mehr hätten Sie das Recht, sie alle zusammen als lästige Gäste heimzusenden.“

„Was sagen Sie da?“ rief der Baron, wie durch diese Unumwundenheit verletzt, aus.

„Ich erscheine Ihnen tactlos, und bin mir doch bewußt, nicht über Das hinauszugehen, was ich als Ihr Arzt Ihnen sagen muß. Meine Behandlung kann Ihnen nicht nützen, wenn Ihnen der Friede des Diners durch Gezänk und Dispute gestört wird und wenn Ihnen eine Pflege zu Theil wird, bei der guten Willens Ungeschick eine größere Rolle spielt, als die genaue und blind gehorchende Ausführung der Befehle des Arztes.“

„Möglich,“ sagte mit einem Seufzer der alte Herr. „Aber Sie fordern eine Energie von mir, welche ich nicht besitze. Sie dürfen mich deshalb nicht verachten – ich bin krank – und das Leben hat mich nicht zur Energie erzogen. Das Leben hat nie Energie von mir verlangt.“

„Freilich, es ist so glatt und eben verlaufen, so ohne Kampf und Ringen, ohne je Anstrengung und das Einsetzen Ihrer vollen Kraft von Ihnen zu verlangen.“

„Es mag ja so sein,“ sagte der alte Herr mit elegisch weichem Tone – „es ist mir vielleicht zu gut gegangen im Leben, obwohl auch ich – obwohl es Stunden gab – doch lassen Sie uns auf jener Bank dort ein wenig ruhen!“

Dem Baron war das Gehen leichter geworden, als er gedacht hatte, bis sie jetzt einem Ruheplatze nahe gekommen, den eine hohe alte Blutbuche beschattete. Der Baron setzte sich hier, nun aber sahen Beide, daß Frau von Sander ihnen nachkam und schon in ihrer nächsten Nähe war – sie riß sich ein dunkles Umschlagetuch von den Schultern.

„Sie sind sicherlich vom Gehen erhitzt, lieber Vetter,“ sagte sie mit großer Zärtlichkeit; „wie gut, daß ich mich mit einem Tuche versehen habe! Bitte, nehmen Sie es als Plaid um!“

Dabei warf sie es ihm, hinter ihn tretend, um die Schultern, während er lebhaft und gereizt abwehrte.

„Lassen Sie doch, lassen Sie doch! Wie werde ich eine Dame um ihr Tuch berauben wollen – ich bin nicht erhitzt.“

„Aber Doctor, so sagen Sie ihm doch –“

Der Baron stand wieder auf.

„Kommen Sie, Doctor, gehen wir weiter! Wir reden besser im Weiterschreiten – entschuldigen Sie uns, liebe Cousine!“

Leonhard reichte ihm seinen Arm, und Frau von Sander, die, ein wenig überrascht über die Unhöflichkeit, mit der man sie stehen ließ, zurückblieb, sah den Weitergehenden mit sehr gerunzelter Stirn nach.

„Ich fürchte, dieser Doctor,“ murmelte sie vor sich hin, „ist ein gefährlicher Mensch, der hier nichts Gutes stiften wird. Ich muß doch einmal mit Sergius reden, welchen Eindruck er auf ihn macht.“

„Wie das beobachtet, wie das überwacht!“ murmelte der alte Herr ärgerlich im Weiterschreiten. „Sehen Sie, Klingholt,“ sagte er dann auf sein Thema zurückkommend, „Sie wissen nicht, Sie haben keine Ahnung davon, wie wir alten Leute erzogen worden sind.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_242.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)