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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Wir hatten beschlossen, in St. Louis zwei Tage der Erholung zu widmen, und ich benutzte diese Frist, um mich kopfüber in das Treiben der amerikanischen Großstadt von 350,000 Einwohnern zu stürzen. Gleichwohl werden die Leser der „Gartenlaube“ an dieser Stelle ein näheres Eingehen auf die Hauptstadt des Staates Missouri und ihre Sehenswürdigkeiten nicht erwarten, da dies den mir zugemessenen Raum bedenklich überschreiten würde. Der wichtigen und gewaltig emporstrebenden Stadt wird ihre besondere Würdigung in der „Gartenlaube“ nicht vorenthalten bleiben.

Am Mittwoch, den 22. Juni, Nachmittags, erfolgte unsere Weiterreise unter ähnlicher enthusiastischer Theilnahme des Publicums wie bei unserer Ankunft. Wir passirten am andern Morgen mehrere kleine Ortschaften, die sich schon durch die Namen „Wittenberg“ und „Hamburg“ als deutsche Niederlassungen zu erkennen gaben, und wiederum einen Tag spätter, am 24. Juni, früh elf Uhr, waren wir nach einer Fahrt von fünfundzwanzig Tagen und fünf Nächten am Ziele unserer Reise, der Mündung des Ohio, wohlbehalten angelangt. Von diesem Punkte aus hatte Boyton schon früher, im Jahre 1879, den unteren Lauf des Mississippi bis zum mexicanischen Meerbusen genau in derselben Weise bereist, wie diesmal den oberen Theil des Stromes in meiner Gesellschaft. Ich drückte dem wackern Capitain herzlich die Hand und gratulirte ihm zu der glücklichen Beendigung seines strapaziösen Unternehmens sowie der dabei bewiesenen außerordentlichen Ausdauer und Energie.

Noch waren die Spuren von Regen, Sturm, Wellen und Sonnengluth im Antlitze des Wackern deutlich zu lesen; hatte er doch in den letzten einundvierzig Stunden zweihundert Meilen zurückgelegt, ohne das Wasser nur einen Augenblick zu verlassen; nichtsdestoweniger klangen unsere Gläser an einander, und in echtem deutschen Gerstensafte tranken wir uns zu auf ein lebenslängliches Gedenken unserer gemeinschaftlichen Mississippifahrt.




Etwas über Geheimschrift.

Wie nach einer bekannten Aussage die Sprache nur dazu dienen soll, die Gedanken des Sprechenden zu verheimlichen, so suchte man auch schon sehr früh nach Mitteln, Geschriebenes vor Unbefugten zu verbergen. So erzählt Plutarch im „Leben des Lysander“: „Wenn ein griechischer Staat einen Feldherrn aussandte, so ließ er zwei cylindrische hölzerne Stäbe mit solcher Genauigkeit anfertigen, daß sie in Länge und Dicke vollständig gleich waren; einen von diesen behielt man daheim, den andern gab man dem Feldherrn. Hatte man nun irgend ein Geheimniß diesem mitzutheilen, so nahm man einen langen schmalen Streifen Pergament, rollte ihn spiralförmig derartig an den Stab, daß die Ränder des Streifens genau an einander paßten, und schrieb die geheime Mittheilung quer darüber. Sodann wurde der Streifen abgenommen, aufgerollt und dem Feldherrn überschickt. Da nur er allein den passenden Stab besaß, so waren für jeden Anderen die Zeichen unverständlich.“

Diese Art von Geheimschrift nannten die Griechen Scytale.

Aeneas Taktikus, der zur Zeit des Aristoteles lebte, theilt uns in einem seiner Commentare eine andere damals übliche Art von Geheimschrift mit, bei der die Vocale durch Punkte bezeichnet wurden; das Wort „Dionysios“ z. B. sollte geschrieben werden: .

Freilich war dies eine sehr naive Verheimlichungsmethode, deren Geheimniß leicht gelüftet werden konnte. Gab es doch im Alterthum Völker, wie z. B. die Hebräer, welche stets nur die Consonanten niederschrieben und es dem Leser überließen, die fehlenden Vocale aus dem Sinn der einzelnen Worte zu errathen.

Wie nun den Völkern des Alterthums verschiedene Arten geheimer Mittheilungen bekannt waren, so soll man sich auch am Hofe Karl’s des Großen und Alfred’s von England öfter der Kryptographie, d. h. der Geheimschrift, bedient haben, und im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderte gab es viele Gelehrte, die hiermit sich eingehend beschäftigten. Mit unermüdlichem Scharfsinne wurden schon in der damaligen Zeit neue Methoden erfunden, mit ebenso großem etwa aufgefangene diplomatische Schriftstücke entziffert.

Bis in die jüngste Zeit hinein wurde die Kunst des Chiffrirens fast ausschließlich von Diplomaten, den Generalstäben der Armeen, sowie revolutionären Verschwörern oder auch gemeinen Verbrechern ausgeübt. Da es aber gegenwärtig bei der Verwendung der offenen Postkarten und der Telegramme Jedem gestattet ist, seine kleinen oder großen Geheimnisse in Räthselzeichen abzufassen, und auch von Handelshäusern, Banquiers etc. die Geheimschrift vielfach zu discreten Mittheilungen benutzt wird, so dürfte eine Erklärung derselben auf allgemeineres Interesse Anspruch erheben.

Für den telegraphischen Verkehr sind diejenigen Geheimschriften am meisten geeignet, die entweder nur aus Buchstaben oder nur aus Zahlen bestehen. Es werden zwar auch aus Zahlen und Buchstaben gemischte Depeschen von den Telegraphenämtern angenommen, doch sind die Gebühren für derartige erheblich größer; denn in Folge der internationalen Bestimmungen werden Zahlen- oder Buchstaben-Telegramme für so viele Wörter gezählt, wie sie Gruppen aus je fünf Buchstaben oder Zahlen bilden. Deshalb ist es auch praktisch, sie sogleich in solchen Gruppen niederzuschreiben, und sei hier nur noch bemerkt, daß für genaue Collationirung der Geheimschriften regelmäßig die Hälfte der Gebühren für das ganze Telegramm bei der Bezahlung hinzugerechnet wird.

Sehen wir uns nunmehr, nach diesen einleitenden Bemerkungen, einige der so überaus mannigfachen Methoden der Geheimschreibekunst genauer an!

Die einfache Buchstaben-Geheimschrift besteht darin, daß die Zeichen unserer gewöhnlichen Buchstaben eine andere, als die sonst ihnen zukommende Bedeutung erhalten. Diese Methode ist überaus einfach; sie wurde schon im Alterthum und im Mittelalter häufig angewendet und ist auch jetzt noch vielfach in Gebrauch; ohne alle Kenntniß der Kryptographie vermag jeder sich einen Schlüssel zu dieser Art von Geheimschrift zu bilden.

Es wird uns erzählt, daß jüdische Gelehrte, um gewisse Mittheilungen nur Auserwählten zukommen zu lassen, den Kunstgriff gebrauchten, die einzelnen Buchstaben zu versetzen. Auch Cäsar und der Kaiser Augustus bedienten sich dieser Art von geheimer Correspondenz; Cäsar setzte, wie wir bei Suetonius lesen, statt des a ein d, statt des b ein e, statt des c ein f etc., Augustus aber für a ein b, für b ein c, für c ein d etc. Ob jedoch durch diese einfache Art der Buchstabenversetzung jetzt noch das Geheimniß gehörig gewahrt werden mag, steht dahin.

Wenn wir mit noch größerer Willkür, als jene beiden Römer, die Buchstaben derartig ändern wollten, daß

a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z bezeichnet würde durch:

n h j e r m b y k v q a s i x z f t o c w l g u p d, so würde z. B. die geheime Depesche: „Die Armee wird Frontveränderung morgen vornehmen“, folgendermaßen lauten: Ekr Ntsrr gkte Mtxiclrtniertwib sxtbri lxtirysri. Da hier aber die großen Buchstaben leicht etwaige Eigennamen und Hauptwörter verrathen würden, so bedient man sich nur kleiner und zwar lateinischer Buchstaben und schreibt entweder alles als ein Wort, oder verbindet immer je fünf Buchstaben, ganz abgesehen davon, ob sie zu einem Worte oder zu mehreren gehören; man würde also in diesem Falle schreiben: ekrnt srrgk temtx iclrt niert wibsx tbril xtiry sri.

Das Dechiffriren solcher Geheimschrift geschieht dadurch am leichtesten, daß man die Chiffres, das heißt die geheimen Zeichen, nach dem Alphabet schreibt und darunter die gewöhnliche Bedeutung, also:

das a b c d etc. der Geheimschrift bedeutet

ein l g t z etc. nach dem gewöhnlichen Alphabet. Setzt man dann Buchstabe für Buchstabe die gewöhnlichen Zeichen, so lüftet sich der Schleier des Geheimnisses.

Die im elften Jahrhundert beliebte Geheimschrift, deren sich auch der Cleriker Reginpold bediente, statt der Vocale immer den im Alphabet folgenden Consonanten zu setzen, ist nur eine Abart obiger einfacher Methode der Buchstabenversetzung. Reginpold würde statt „Gartenlaube“ geschrieben haben: Gbrtfnlbvbf.

Zu den einfachen Buchstabenchiffren gehört auch die geheime Vocalschrift. Man theilt ein großes Quadrat durch fünf senkrechte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_234.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)