Seite:Die Gartenlaube (1882) 229.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

trieben wir der Strombiegung entgegen, die binnen Kurzem das gastliche St. Paul unseren Blicken entrückte. Wir waren allein. Breit und gewaltig entrollte sich vor unseren Augen ein imposantes Strombild, umsäumt von unermeßlichen Waldungen und nur unterbrochen von zahllosen größeren und kleineren Inseln, die auch ihrerseits vermöge einer großartigen und buntfarbigen Vegetation zur Hebung des majestätischen Gesammtbildes wesentlich beitrugen. Den Saum dieser Eilande bekleideten Weiden und Baumwollensträucher, gegen deren hellfarbige, lichtgrüne und silbergraue Blätter mächtige Sycomoren, schwarze und rothe Eichenarten, sowie Linden und Maßholder den dunkleren Hintergrund bildeten. Es lag ein wunderbarer Reiz in diesem Alleinsein mit der Natur, die, von Menschenhand noch unberührt, sich hier in ihrer ganzen jungfräulichen Pracht und Feierlichkeit entfaltete; seltsame, märchenhafte Töne stiegen aus der Tiefe des Wassers herauf, bald dem fernen Gurren der Turteltauben im Walde, bald dem klagenden Rufe der Unken vergleichbar.


Ein Sturm auf dem Pepin-See.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.


Stundenlang trieben wir so stromabwärts; nur ein einziger Dampfer kam uns entgegen, durch die tiefen Laute der Signalpfeife uns seinen Gruß entbietend. Am späten Nachmittage erreichten wir die Stadt Hastings, hier von einem mit Menschen gefüllten Excursionsdampfer jubelnd begrüßt. Da jedoch das felsige Stromufer für eine Landung des Capitains wenig geeignet schien, so schwammen wir weiter, dem 35 Meilen von St. Paul entfernten Prescott zu, wo wir bei Einbruch der Dämmerung anlangten, um am anderen Morgen zunächst die von steilen Felsen überragte Ansiedelung Diamond Bluff zu erreichen. Bis hierher schienen die neuesten Zeitungen mit ihren Berichten über Capitain Boyton’s abenteuerliches Unternehmen noch nicht gelangt zu sein; denn als der Gummimann, dicht am Ufer dahinstreichend, einer halbverfallenen Cottage sich näherte, aus deren Fensteröffnung zufällig der Kopf eines alten Niggers herausfuhr, erschrak der grauköpfige Schwarze bei dem unerwarteten Anblick des unheimlichen Gesellen im Wasser so gewaltig, daß er mit dem Schrei: „bless God, bless God, the devil is there!“ („um Gotteswillen, der Teufel ist da!“) entsetzt zurückprallte. Aehnliche komische Scenen wiederholten sich im späteren Verlaufe unserer Reise noch öfter.

Unter ähnlichen Erlebnissen gelangten wir zu dem Eingange des Lake Pepin, der uns mit seinen windgepeitschten Wellen empfing. Der See, ringsum von Felsgebirgen eingefaßt, ist eigentlich mehr eine Erweiterung des Flußbettes, vier bis fünf Meilen breit und fünfundzwanzig Meilen lang. Am rechten, steilabfallenden Ufer kreuzte eine Schaar mächtiger Falken und Adler; aus der Tiefe des Wassers erscholl wieder und jetzt weit stärker jenes seltsame Gurren, welches wir schon Tags zuvor bemerkt hatten, und das nach der Aussage Einiger von Fröschen und Schildkröten, nach Anderen aber von einer gewissen Art von Fischen herrühren soll. Der Abend war wunderbar schön; die Sonne brach durch die im Westen lagernden Wolkenbänke, und der Streifen Himmel, der zwischen diesen und dem Horizonte lag, erschien wie in lauter Gold gebadet.

Unser nächstes Reiseziel am anderen Morgen war der „maiden rock“ (Jungfernfels), eine senkrecht abfallende Felsenmasse von etwa hundertfünfzig Meter Höhe, an die sich eine ähnliche Sage knüpft, wie sie auch in verschiedenen Gegenden Deutschlands (z. B. beim Mägdesprung im Harz) dem Reisenden begegnet. Hier soll es eine schöne Indianerin gewesen sein, die sich durch einen kühnen Sprung in den Abgrund den Verfolgungen eines Häuptlings entzog. Der maiden rock ist wohl der bemerkenswertheste und interessanteste Punkt in diesem Theile des Mississippigebietes.

Schon seit Morgengrauen hatte sich ein heftiger Wind aufgemacht, und als wir um das Vorgebirge von maiden rock bogen, leuchtete mir mehr und mehr die Unmöglichkeit ein, mit meinem schwachen, schwerbeladenen Kahne, der schon bald nach der Abfahrt von St. Paul zu lecken begonnen, den wildbewegten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_229.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2023)