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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zweibeinigen Amphibie bedarf, so habe ich hier nur kurz die Gründe darzulegen, welche mich bestimmten, während der von Boyton unternommenen Fahrt auf dem Mississippi mich ihm als Reisegefährte anzuschließen. Es war das einmal der Umstand, daß gerade die hohen landschaftlichen Reize des oberen Mississippithales weit weniger bekannt sind, als die meisten sonstigen amerikanischen Naturschönheiten, zweitens aber durfte ich hoffen, während der langsamen Fortbewegung eingehende Studien über den Fluß, seine Ufer, die umliegenden Städte und ihre bei Boyton’s Landungen voraussichtlich zusammenströmenden Bewohner anstellen zu können. Wiewohl sich meine Erwartungen im vollsten Maße erfüllten und ich Gelegenheit fand, mein Tagebuch und meine Skizzenmappe mit mannigfachster Ausbeute zu bereichern, so muß ich mich hier doch darauf beschränken, aus dem reichen Kranze des Geschauten und Erlebten nur Einiges in zwangloser Schilderung dem Leser vorzuführen; denn unsere abenteuerliche Fahrt auf dem Vater der Ströme erstreckte sich fast über die Dauer eines Monats, und da die Scenen rasch vor unseren Augen wechselten, so wäre es geradezu unmöglich, eine vollständige Schilderung unserer merkwürdigen Schwimmfahrt auf dem kurzen Raum weniger Spalten der „Gartenlaube“ dem Leser zu entrollen.


Mündung des Missouri in den Mississippi.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.


Nach reiflicher Ueberlegung war ich mit Capitain Boyton übereingekommen, mit der schwierigen Passage des Quellgebietes des Mississippi keine Zeit zu verlieren, sondern die Hauptstadt von Minnesota, St. Paul, als denjenigen Ort, wo der Vater der Ströme auch für größere Fahrzeuge schiffbar zu werden beginnt, zum Ausgangspunkt der Expedition zu wählen, und so geschah es.

Wohl nach Tausenden zählte die schaulustige Menge, welche die Ufer des Stromes und die ihn überspannende Brücke bedeckte, als wir am Morgen des 30. Mai vorigen Jahres unsere abenteuerliche Reise antraten. Gegen 11 Uhr erschien der Fischmensch, gekleidet in die bekannte Gummihülle, sein kleines, Proviant, Mappen und Instrumente bergendes Miniaturboot, „baby mine“, sorgsam auf dem Arme tragend. Langsam schritt er bis an die Brust in den Fluß hinein und legte sich, die Füße voran, auf den Rücken; „baby mine“ schwamm, und sein Doppelruder gebrauchend, befand Boyton sich bald in der Mitte des Stromes. Auch ich hatte unterdessen mein Boot bestiegen, von dessen Stern die deutsche Flagge wehte und in dessen Schlepptau ein Fäßchen köstlichen Gerstensaftes – ein Geschenk meiner St. Pauler Freunde – sich lustig drehte. Noch einmal wurden die näheren Bekannten und die gesammte jauchzende Menge begrüßt; dann schlug Charlie Mangraff, unser schwarzer Diener und Factotum, mit den Rudern die Fluth, und schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_228.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)