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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Diesmal habe ich meinen Ruf als guter Schütze wieder zu Ehren gebracht, wissend, daß die schöne Jägerin mich beobachten könne, gab ich mir alle Mühe und massacrirte so viel Wild wie möglich.

Ich forschte Saalfeld noch einmal über die mich nun lebhaft interessirende Dame aus.

„Ja, sie ist eine verführerische Schönheit,“ sagte dieser, „aber ich halte sie für keine gute, keine liebenswerthe Frau. Nochmals: nimm Dich in Acht! Sie hat ihren Mann unglücklich gemacht und sich dann freiwillig von ihm getrennt, auch ihre Anbeter weiß sie zur Verzweiflung zu bringen und lacht nur über deren Sentimentalität. Weißt Du, Baron, wegen der Frau von Boworowska hat einmal ein Duell stattgefunden, welches einem hoffnungsvollen jungen Menschen das Leben kostete – und am folgenden Tage tanzte sie munter auf einem Gesandtschaftsballe.“

Diese Mittheilungen aus Saalfeld’s Munde waren mir sehr peinlich. „Aber es geschieht ja oft,“ dachte ich, „daß Frauen falsch beurtheilt werden. Wenn sie die Verfasserin jener Briefe ist, so kenne ich sie besser als die Welt.“

Bei anbrechender Nacht kehrten wir in’s Schloß zurück, und ich hatte Muße, in meinem gemüthlichen Zimmer all die Eindrücke des Abends an meinem Geiste vorübergehen zu lassen. Es waren noch zwei Stunden bis zum Diner. Ich machte mir’s bequem, goß mir eine Schale des bereitstehenden Thees ein und hielt mir folgende Ermahnungsrede:

„Ritterglas, mein Guter, Du hast Dich von einem zu lebhaften Glückstraume erfassen lassen. Die Sache wird Dir höchstens eine ‚bonne fortune‘, aber kein Lebensglück bringen. Eine kokette, geschiedene Frau, wie sollte die Deiner Herzenssehnsucht genügen können! Ritterglas, Du hättest bei Deiner Arbeit bleiben sollen, statt Heirathsanträge zu schreiben. Aber wer weiß, vielleicht ist Diane erst unter den heute angekommenen Gästen, oder ist sie etwa gar nicht anwesend? Ritterglas, das wäre allerdings schrecklich!“

Wie ich so monologisirte, öffnete sich die Thür.

„Was willst Du, Bohuslav? Es ist noch zu früh zum Ankleiden.“

„Ein Stubenmädchen hat mir dieses für den Herrn Baron gegeben,“ sagte mein treuer Diener, indem er mir eine kleine Schachtel überreichte.

Ich hob den Deckel. Am Boden lag, in Watte gehüllt, eine frische Rosenknospe und ein Zettel mit den Worten: „Gruß von Diane!“

Die theure Schrift machte mir den Eindruck eines verloren geglaubten, wiedergefundenen Freundesantlitzes. Aus dieser Schrift leuchtete mir wieder das ganze durch Frau von Boworowska halb verwischte, traute Bild meiner Träume entgegen.

Mit der Rosenknospe im Knopfloch, wieder so gespannt wie gestern, und noch erwartungsvoller, da ich nun bestimmt wußte, Diane sei hier, betrat ich den Salon. Die Gesellschaft war in der That bedeutend zahlreicher, ich sah mehrere – darunter sehr anmuthige – Frauengestalten, welche gestern noch nicht anwesend waren. Doch ich hatte nicht Zeit, mich den Neuangekommenen vorstellen zu lassen, weil die Gesellschaft sich sofort in den Speisesaal begab. Ich war wieder Frau Katharina Meier’s Tischnachbar, und ich fürchte, daß meine Conversation der guten Dame ziemlich zerstreut vorgekommen sein muß. Sie hatte mich um meine Lieblingsbeschäftigung und um mein Wappen ausgefragt.

Natürlich, wenn mich Jemand um meine Lieblingsbeschäftigung befragt, so bin ich ihm die Erklärung schuldig, daß ich Philosophie betreibe, und zwar nicht nur als Student, sondern als schriftstellerisch thätiger Chorführer einer neuen Schule. Freilich besteht meine Autorschaft erst aus den Ihnen gemachten vertraulichen Mittheilungen, und Diane hat meine diesbezüglichen Ideen eine harmlose Marotte genannt, aber Frauen verstehen ja von solchen Dingen nichts.

Ich habe eine dunkle Erinnerung, daß ich in meinen Antworten auf Frau Meier’s Fragen Philosophie und Wappenkunde in der kläglichsten Weise mit einander vermischt habe; denn ich sah meine Nachbarin öfters im Stillen den Kopf schütteln.

Ich mochte erklärt haben, daß mein Wappen aus Ketten und Verkettungen bestehe und daß mein Buch einen Turnierkragen und mehrere Schrägebalken enthalten werde. Ich habe Freiherrnkronen im Allgemeinen vielleicht als Postulate der praktischen Vernunft bezeichnet und meinen oft citirten Herrn von Hartmann einen linksschreitenden Greif genannt.

Diesmal blieben, nach englischer Sitte, die Herren allein an der Tafel zurück, da die Damen sich alle früher entfernten, um der gestrigen Verabredung gemäß sich zu costümiren und zu maskiren.

Nach einer Stunde ungefähr füllten sich die Salons mit den schönen Masken. Auch die Hausfrau und die anwesenden Mütter und Tanten hatten sich zumeist in Dominos gehüllt. Die jungen Mädchen waren als Bäuerinnen, Blumenmädchen und dergleichen verkleidet. Das Fest war ein improvisirtes, und daher waren keine besonderen Costüme vorbereitet worden.

Ich wußte nun, daß meine Stunde geschlagen habe. Jetzt oder nie mußte Diane mir nahen und sich mir zu erkennen geben.

Ich hatte dies kaum gedacht, als eine majestätische und anmuthige Gestalt auf mich zugeschritten kam, sie trug einen langen faltenreichen Domino aus weißem Atlas und hielt in der Hand ein schleifengeziertes Rosenbouquet. Ich trat ihr einen Schritt entgegen.

„Diane!“ sagte ich.

Sie schob bebend ihre Hand unter meinen Arm und stand schweigend neben mir. Die Hand war nicht behandschuht, aber sie hob sich weiß wie Marmor von meinem Aermel ab, und es war dieselbe grübchengeschmückte königliche Hand, wie sie auf dem photographirten Steingeländer lehnte.

„Diane, Diane!“ wiederholte ich. „Sagen Sie nur ein Wort!“

„Ja, ich bin es, Ritter Emil,“ hörte ich die leise, fast nur gehauchte Antwort, und das Händchen zitterte sichtbar.

Ich war selbst so ergriffen, daß ich nicht reden konnte; ich führte sie aus dem menschenvollen Saale durch die Reihe der offenstehenden Nebengemächer, bis wir einen kleinen blumengefüllten Salon erreichten, wo wir allein waren.

Beim Kamin standen zwei Fauteuils; Diane trennte sich von meinem Arm und ließ sich auf einen dieser Fauteuils nieder, mir den ihr gegenüberstehenden Sitz mit einem Winke anweisend. So saßen wir eine Weile, sie zurückgelehnt, den zarten Atlasschuh am Kamingeländer gestützt; wir hatten noch immer nicht gesprochen.

„Diane!“ sagte ich endlich, „wir sind allein hier – nehmen Sie die Maske ab!“ .

Sie schüttelte den Kopf.

„Noch nicht“ sprach sie mit unsicherer Stimme.

„Sie scheinen mich zu fürchten, Diane, haben Sie das Vertrauen verloren, welches aus Ihren Briefen sprach? Entziehen Sie meiner Person die Sympathie, die Sie Ihrem Correspondenten schenkten?“

Sie schüttelte wieder verneinend das Haupt.

„Nein,“ sagte sie, „das ist es nicht … aber sehen Sie … die Begegnung von Seele zu Seele in dem Phantasienlaubgang, welche mich in den sonderbaren Briefwechsel hineingezogen, hat sich jetzt in eine gewöhnliche Begegnung von Herr und Dame am Kamin verwandelt – und das ganze Unerhörte – ja ich könnte sagen, Unschickliche unseres Verkehrs tritt jetzt in dieser Wirklichkeitsumgebung hervor, und ich fühle mich beklommen – fast beschämt. Wenn ich weiter zu Ihnen reden soll, so muß ich wenigstens noch diese Maske behalten; hinter ihr fühle ich noch etwas, wie den Schutz eines Briefcouverts: sie ist das Einzige, was von der Mystik unserer Freundschaft zurückgeblieben.“

„Freundschaft, Diane! Von meiner Seite – ich habe ja gewagt es Ihnen zu schreiben – ist es – ist es Liebe.“

„Ritter Emil, Sie wissen ja nicht einmal, wer ich bin, wie ich aussehe –“

„Ich weiß mehr als alles das,“ unterbrach ich mein reizendes Gegenüber, „was ist ein Name, ein Gesicht im Vergleich zu dem hohen Werthe solchen Gedankenschwunges, solchen Gesinnungsadels, wie er aus Ihren lieben schönen Briefen spricht!“

„Auch Sie, Baron Ritterglas, sind mir durch Ihre Briefe so – so nahe getreten – – ich schüttete Ihnen gern mein Herz aus, aber dennoch: wie Julie in der Balconscene, fühle ich die Wangen brennen, und wie Jene der Nacht dankt, die sie vor Romeo’s Blicken birgt, so danke ich dieser Maske.“

Ich ergriff ihre Hand, welcher derselbe Veilchenduft entströmte, der ihren Briefen eigen war, und führte sie an meine Lippen:

„Und wie Romeo will ich schwören, daß Du meines Lebens Herrin werden sollst.“

Bei dem Worte „Du“ durchschauerte es sichtlich ihre ganze Gestalt, und sie zog ihre Hand zurück.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_214.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)