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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Nach Conradin’s, des letzten Hohenstaufer’s, Niederlage und Hinrichtung (29. October 1268) – Ermordung wäre hier der richtigere Ausdruck – waren Neapel und Sicilien mit leichter Mühe der Regierung Karl’s von Anjou wieder unterworfen worden, allein der Uebermuth, mit dem die Franzosen ihre Unterthanen behandelten, die unbarmherzige Eintreibung unsinniger Steuern, das Verbot, irgend welche Waffen zu tragen, und die Verfolgungen, welche sie über eine Menge von Leuten als angebliche Anhänger des staufischen Geschlechts ergehen ließen, trieben das Volk mehr und mehr zur Verzweiflung. Am tiefsten wurde der Druck auf der Insel Sicilien empfunden, die, von den deutschen Kaisern von jeher besonders bevorzugt, jetzt unter französischer Herrschaft auf jede Weise hintangesetzt und in ihren Rechten gekränkt wurde.

Da faßte ein unternehmender Mann, Johann von Procida – er entstammte einer angesehenen Familie in Salerno, war Besitzer der Insel Procida und zugleich in der Arzneikunde wohlerfahren – den Entschluß, der unerträglichen Unterdrückung ein Ende zu machen. Als Ghibelline, das heißt als Anhänger der staufisch-kaiserlichen Partei, hatte er zwar seine Güter vor König Karl’s räuberischen Händen nicht retten können, sein Leben aber brachte er in Sicherheit durch die Flucht an den aragonischen Hof in Spanien, wo er die freundlichste Aufnahme fand. Voll Haß gegen die Franzosen und voll Treue gegen das hohenstaufische Haus erregte er den König von Aragonien, Peter den Dritten, der mit einer Tochter des bei Benevent besiegten und gefallenen Königs Manfred vermählt war, zur Rache gegen Karl und zur Befreiung der Unterdrückten. Da Peter allein sich nicht für stark genug hielt, zog Johann von Procida überall umher, ihm Bundesgenossen zu werben. Er ging heimlich nach Sicilien, entdeckte sich den dortigen Mißvergnügten und fand, daß er auf diese Insel am meisten werde rechnen können. Als Barfüßermönch verkleidet, reiste er auch nach Constantinopel zu dem griechischen Kaiser, der, mit König Karl’s feindseligen Absichten gegen seinen Thron nicht unbekannt, diesen gern in dessen eigenen Staaten beschäftigt sah. Kaiser Paläologus spendete reichliche Hülfsgelder und versprach außerdem den sicilianischen Edelleuten die Lieferung von Waffen. Nun faßte auch Peter von Aragonien Muth; er begann, eine Flotte auszurüsten, und da er vorgab, mit derselben gegen die Ungläubigen in Afrika kreuzen zu wollen, so erhielt er Geldbeiträge dazu vom König Philipp dem Dritten von Frankreich und, wie man sagt, sogar von Karl von Anjou selbst. In der That wollte Peter nach Afrika segeln, um dort zu erwarten, was in Sicilien geschehen werde; allein ehe er noch mit seinen Schiffen an der afrikanischen Küste erschien, war die von Johann von Procida geleitete Verschwörung durch einen Zufall, und früher als eigentlich beabsichtigt, bereits zum Ausbruch gekommen. Hiermit aber verhielt es sich folgendermaßen.

Das Osterfest des Jahres 1282 war herangekommen, aber es war für Palermo kein Fest der Freude; es war die Zeit, da der schmachvolle Uebermuth der Gewalthaber seinen Gipfelpunkt und die bis dahin mühsam bewahrte Geduld eines mißhandelten Volkes ihr Ende erreichen sollten. Gerade die gedachte Stadt – die ehemalige Hauptstadt des Reiches – haßten die Franzosen am meisten, einmal, weil sie die mächtigste der ganzen Insel war, sodann, weil man sich von ihr, welche die schwersten Kränkungen zu erdulden gehabt, gelegenen Falles des Aeußersten zu versehen hatte.

In Messina hatte Herbert von Orleans, der königliche Statthalter der Insel, seinen Sitz, und der Königsrichter des Districtes Mazzara, Giovanni di San Remigio, ein seines Herrn würdiger Diener, war Gouverneur von Palermo. Seine Unterbeamten hatten sich eben zu neuen Räubereien und Gewaltthätigkeiten verbunden, aber noch duldete das Volk im Stillen. Als die Bewohner Palermos an den Tagen des Leidens Christi gegen die irdische Trübsal in den Kirchen Trost durch das Gebet suchten, spähten des Königs Steuereinnehmer unter der andächtigen Menge diejenigen aus, welche dem Fiscus Abgaben schuldeten, schleppten sie mit Gewalt aus den Gotteshäusern, warfen sie gefesselt in den Kerker und höhnten das herbeieilende Volk durch den Zuruf: „Bezahlt, ihr Ketzer, bezahlt eure Schulden!“ Es war der letzte Act despotischer Willkürherrschaft. Das Maß war voll, und wenige Tage später, am Osterdienstage, den 31. März, nahm zunächst das Volk von Palermo und im weiteren Verlaufe der Empörung ganz Sicilien blutige Rache an den fremden Peinigern.

Etwa tausend Schritt südlich von der Stadt steht auf der Höhe von Oreto eine Kirche, welche dem heiligen Geiste geweiht ist. Rings um dieselbe dehnte sich zu jener Zeit ein freundliches Gefilde, welches eben der Frühling mit neuen Blüthen geschmückt hatte und durch das am gedachten Osterdienstage gegen Abend, alter Sitte gemäß, die Bewohner Palermos und der Umgegend friedlich dahinzogen, um in jener Kirche die Vesper zu hören. Noch während des Gottesdienstes thaten sich draußen im Freien Gesellschaften zusammen; Tische wurden errichtet; man lagerte sich im Grase, und muntere Tänze begannen. Für einen Augenblick athmete das Volk frei auf und vergaß seiner Noth. Plötzlich erschienen königliche Gerichtsdiener, und ein Schauer durchbebte all die froh Versammelten. Die Fremden kamen in gewohnter Weise, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, wie sie sagten; sie mischten sich unter die Gesellschaften, betheiligten sich am Tanze, thaten mit den jungen Mädchen vertraut – und schon begannen die Herzen der heißblütigen Sicilianer heftiger zu schlagen.

In diesem Augenblicke kam eine schöne Jungfrau von edler, sittsamer Haltung mit ihrem Bräutigam und ihren Anverwandten zur Kirche. Ein Franzose Namens Drouet – nach anderer Lesart hätte der Wackere Drouchet geheißen – näherte sich ihr, stellte sich, als wolle er untersuchen, ob sie nicht dem königlichen Verbote zuwider verborgene Waffen bei sich führe, und legte in schamloser Weise Hand an sie. Dies war das Signal zum Ausbruche des lange verhaltenen Grolles. Ohnmächtig sank die Jungfrau in die Arme ihres Bräutigams; dieser, rasend vor Wuth, schrie laut: „Nieder, nieder mit den Franzosen!“ und in demselben Augenblicke stürzte aus dem umstehenden Volke ein Jüngling hervor, der den Franzosen packte und ihn durchbohrte.

Kräftige Beispiele entflammen die Gemüther mehr als gesprochene Beweisgründe; die von langer Sclaverei Gedrückten erwachten wie mit einem Schlage aus ihrer Betäubung, und binnen weniger Minuten hallte der Ruf. „Tod allen Franzosen!“ durch das ganze Thal. Auf Drouet’s Leiche sanken haufenweise die Opfer von beiden Parteien, und wild durch einander wogte der Kampf. Die Sicilianer schlugen sich wie Verzweifelte mit Dolchen, Steinen und Stöcken gegen die vom Kopfe bis zum Fuße bewaffneten Fremden; ein wildes Gemetzel tränkte den Boden mit Lachen von Blut, aber die einmal entfesselte Kraft des Volkes trug den Sieg davon, und von den zweihundert bei der Kirche anwesenden Franzosen entkam nicht ein Einziger.

Keuchend, blutbedeckt und wie rasend vor Wuth rannten die Empörer nunmehr nach der Stadt, die vom Geschehenen noch keine Kunde hatte, schwangen die erbeutetet Waffen und verkündeten die erlittene Schmach sowie die geübte Rache. „Nieder mit den Franzosen!“ ertönte auch hier der allgemeine Ruf, und Alle, deren man habhaft wurde, mußten über die Klinge springen. Mitten im Getümmel wählte man einen palermitanischen Edelmann, Ruggiero Mastrangelo, zum Anführer. Immer mehr wuchs die Volksmenge; in große Trupps getheilt stürmte sie durch die Straßen; die Thüren der Häuser wurden eingeschlagen; kein Versteck, kein noch so verborgener Schlupfwinkel blieb ununtersucht. Wo immer man Franzosen fand, da schlug man sie nieder, zerriß man sie förmlich in Stücke, und wer nicht dazu gelangen konnte, selbst einen zu tödten, der schlug wenigstens jauchzend in die Hände, wenn ein Anderer es that. Giovanni di San Remigio, der schon oben erwähnte Gouverneur von Palermo, hatte sich bei dem plötzlichen Ausbruche der Empörung in seinem festen Palaste eingeschlossen, aber in einem Nu war derselbe von einer mordschnaubenden Volksmenge umringt, die den Tod des Verhaßten forderte. Die Schutzwehren wurden niedergerissen, und die Aufständischen drangen in den Palast ein, aber der Statthalter entkam in der Dämmerung und allgemeinen Verwirrung, indem er, nur von zweien Dienern begleitet, sich auf ein Pferd warf und in gestrecktem Laufe davonjagte.

Indessen dauerte das wüthende Gemetzel überall fort, und selbst die hereinbrechende Nacht setzte ihm kein Ziel. Am folgenden Morgen begann das Blutbad von Neuem; noch immer war der Rachedurst nicht gesättigt, aber es mangelten ihm allmählich die Opfer; denn gleich bei diesem ersten Ausbruche der Revolution waren mehr denn 2000 Franzosen hingeschlachtet worden. Wie die Chronisten berichten, diente der Laut eines Wortes als Erkennungszeichen der Fremden; wenn nämlich das Volk einen verdächtigen oder übelberüchtigten Menschen von zweifelhafter Nationalität bemerkte, so zwang man ihn mit an die Kehle

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