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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Von dem tiefen Blauschwarz des Negers bis zu der durchsichtig zarten, weißen Haut der bevorzugten Haremsdame, von dem schwarzen Frack und hohen Cylinderhut des Europäers bis zu der weitbauschigen türkischen Pluderhose und der bärenartigen Pelzmütze der Bewohner Kleinasiens war hier ein buntes Gemisch von pittoresken Figuren vertreten, wie sie eben nur der Orient in so reichhaltiger Menge aufzuweisen vermag. Hier stand der scharfäugige Tscherkesse in seiner kriegerischen Kleidung neben dem langsamen, bequemen Türken, dort der braune Araber im weißen Burnus neben dem ernsten Perser im langen Kaftan. Aber damit noch nicht genug! Sogar die Fenster und Balkone der den Hof einschließenden Gebäude waren mit Schaulustigen angefüllt. Hier hatte namentlich das schöne Geschlecht seinen Platz: Schaaren türkischer Frauen blickten auf uns neugierig herab; nach türkischer Art hockten sie auf dem Boden und ließen sich die selbst gedrehten Cigaretten gut schmecken.

Noch waren wir ganz im Anschauen des bunten Bildes versunken – da plötzlich erschallte in der Ferne ein rhythmischer Gesang, der das Herannahen des Zuges verkündete, und augenblicklich verstummte das dumpfe Gemurmel der vielköpfigen Menge. Man hörte nur noch das laute Schluchzen der zahlreich anwesenden, auf’s Tiefste ergriffenen Perser, die ihrer religiösen Trauer in lauten Klagen und reichen Thränenergüssen Luft machten. Die Priester erinnerten das Volk daran, wie kostbar eine einzige Thräne sei, die dem Andenken Hussein’s geweiht wäre, wie es eine Thräne wäre, die alle Verbrechen tilge, und mit großem Ernst verkündigten sie, daß Jeder, der an diesem Tage nicht betrübt wäre, elend zu Grunde gehen würde. Dann nahmen sie ein Stückchen Watte und, sich den Anwesenden nähernd, wischten sie diesen die Thränen von den Wangen und sammelten sie in einem kleinen Fläschchen. Es herrscht nämlich in Persien der Glaube, eine einzige dieser Thränen, in den Mund eines Sterbenden geträuft, lasse diesen sofort gesunden. Wie sollte man so kostbares Naß nicht sorgfältig sammeln!

Nun hatte der Zug sich unserem Zelte genähert und passirte unter lautem Getöse an uns vorüber. Die Knaben sangen ihr Recitativ, und hinter ihnen begleiteten noch immer die Erwachsenen den Gesang ihres unermüdlichen Vorsängers; noch immer hieben sie sich dabei im Tacte wild auf die nackte Brust. Dann folgte die Gruppe der Geißler. Hieb auf Hieb schlugen sie sich im Wechsel von rechts und links mit den eisernen Ketten auf die nackten Schultern, daß die Haut aufsprang und das rothe Blut hervorrieselte. Ein lautes klagendes „O Hussein“ erscholl von den Lippen der weißgekleideten Männer, die ihnen folgten und mit geschwungenen Schwertern ihre Reihen gegen einander näherten.

So zog der Zug das erste Mal vorbei, und lauter und immer wilder, immer herzzerreißender ertönten die Klagen der anwesenden Perser. Nur eine kurze Weile, und schon wälzte er sich zum zweiten Male heran. Bereits von weitem hörte man den eigenthümlichen dumpfen Ton, den die gleichzeitigen Schläge, auf die nackte Brust von einer so zahlreichen Menge geführt, hervorbrachten.

Vorbei zogen abermals Pferde und die Fahnenträger mit ihrer Umgebung. Zu Hunderten angewachsen, da sich Viele aus dem Volke ihr angeschlossen, brauste wieder die Gruppe der sich die Brust zerschlagenden Fanatiker an uns vorüber. Viele von ihnen trugen jetzt den Oberkörper ganz entblößt, und bei Allen war bereits die Brust, die sie mit immer stärkeren Schlägen bearbeiteten, dick geschwollen und mit Blut unterlaufen. Und da waren auch wieder die Geißler. Noch nicht ermattet von dem einmaligen Umzuge und mit von Minute zu Minute mehr gesteigertem Fanatismus, zerfleischten sie sich mit ihren Schlägen den nackten Rücken, indem sie dabei einander in der Kraft und der Zahl der Schläge zu überbieten suchten. Aber nun – was war es, das sich von weitem unter verworrenem Geschrei herandrängte? Es kam näher und immer näher – nun war es – grausiger Anblick! – unmittelbar vor uns: Schwerter blitzten aus einer wüst schreienden Schaar. Blutige Häupter – verzerrte Züge, rollende Augen – Wahnsinn der Exaltation – – es war die bewaffnete Schaar, unter all diesen Fanatikern die Schlimmsten. Einer suchte nicht nur die Anderen durch lautes Schreien in dem Rufe „O Hussein!“ zu überbieten, sondern schlug sich dazu auch noch wie rasend mit dem scharfen Schwerte über den Kopf. Vergebens war es, daß hinter ihnen die Menge die wuchtigen Hiebe mit Stöcken zu pariren suchte; denn bei der Heftigkeit, mit der die Schläge geführt wurden, erreichten dieselben nur zu wohl ihr Ziel. In Strömen floß das Blut über Gesicht und Hinterkopf auf die weißen Kleider herab. So wälzte sich diese blutige Menge an uns vorbei. Hier stürzte Einer erschöpft zu Boden und wurde nur mit Mühe von seinen Freunden unter den Füßen der Nachdrängenden hervorgezogen; dort reihte sich ein Anderer, der dasselbe Schicksal erlitten und sich inzwischen etwas erholt hatte, wieder in den Zug ein, um nach wenigen Minuten unter den verdoppelten Schlägen wieder zusammenzubrechen. Einen immer wilderen Charakter nahm das Bild an, und in der inzwischen hereingebrochenen Dunkelheit erschienen seine Schrecken doppelt schrecklich unter der alles mit einer rothen Gluth übergießenden Helle der Kienfackeln.

Endlich aber verlangte die menschliche Natur ihr Recht. Von religiöser Trauer übermannt, von Blutverlust erschöpft und den körperlichen Schmerzen der heftig klaffenden Wunden fast erliegend, lösten die Darsteller nach mehrmaligem Herumziehen den Zug auf. Noch Stunden lang dauerte es, ehe sich die fanatisirten Zuschauer so weit erholt hatten, um, immer noch unter heftigen lauten Klagen, sich ihren Wohnungen zuwenden zu können und dort in dem Alles begrabenden Schlafe Vergessenheit und neue Kraft zu suchen. – –

Als ich zwei Tage später wieder den Validé-Khan betrat, fand sich keine Spur mehr von den Zeugen des Festes; im Hofe und in den Gängen herrschte das gewöhnliche geschäftliche Treiben; die Estraden waren abgebrochen, und nur einige dunkle blutrothe Flecken auf dem Steinpflaster erinnerten an das eigenthümliche Schauspiel, dessen Zuschauer ich gewesen. Auch fiel es mir auf, daß ein mir bekannter wohlhabender Teppichhändler, der einem der größeren Geschäfte vorsteht, seine geliebte spitze Lammfellmütze abgelegt und den Kopf mit leinenen Tüchern umwunden hatte.




Etwas über die Lage der Deutschen in England.

Von Wilhelm Hasbach.
(Schluß.)


Die deutschen weiblichen Dienstboten in England sind in mancher Beziehung günstiger, als andere Einwanderer gestellt; denn ihre Löhne sind hoch. Eine Köchin bezieht gewöhnlich einen Jahresgehalt von 20 bis 25 Pfund Sterling (400 bis 500 Mark), ein Zimmermädchen und Hausmädchen je nach Alter und Erfahrung einen solchen von 12 bis 20 Pfund Sterling (240 bis 400 Mark), da aber die englische Küche verschieden von der deutschen ist, kann eine deutsche Köchin in den seltensten Fällen sofort eine derartige Stellung bekleiden. Was daher deutschen Dienstboten vor Allem noth thut, ist, daß sie etwas Gründliches gelernt haben. Im englischen Hauswesen herrscht nämlich eine bestimmte Arbeitstheilung, und darum ist es für die Dienstboten von viel größerem Vortheile, in einem Zweige tüchtig zu sein, als mannigfache, oberflächliche Kenntnisse zu besitzen. Sie müssen sich auch an eine andere Behandlung durch die Herrschaft gewöhnen; denn während in Deutschland die Hausfrau vielfach im Hauswesen thätig ist und sich daher leicht ein halb vertrauliches Verhältniß zwischen Hausfrau und Magd herausbildet, besteht in England eine unüberbrückbare Kluft zwischen Herrschaft und Dienerschaft.

Bei uns in Deutschland sind wir es gewohnt, daß sich junge Mädchen in den Zeitungen „zur Stütze der Hausfrau“ anbieten. Manche derselben haben nicht genug Kenntnisse, um in Deutschland zu unterrichten; sie haben nicht wie ein Dienstmädchen arbeiten gelernt, sondern nur der Mutter in ihren Obliegenheiten geholfen. Sie wählen gern eine Zwitterstellung zwischen Dienstmädchen und Gesellschafterin, in der ihnen ein gewisser Halt in der Familie bleibt. In England gehört ein großer Theil der deutschen Einwanderinnen zu dieser Classe von Mädchen, welche bei uns zu Hause auf eine Stellung als „Stütze der Hausfrau“ reflectiren würden. Auf englischem Boden versuchen sie zuerst meistens ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_207.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2023)