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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Die Aussichten des deutschen Handwerkers in England sind nicht mehr so erfreulich, wie sie vor einem Menschenalter waren. Damals war er als ein kenntnißreicher, fleißiger und mäßiger Arbeiter jenseits des Canals sehr geschätzt. Er verfügte gewöhnlich über eine allseitigere gewerbliche Ausbildung als der englische und fand sich bald in die dortige Arbeitstheilung hinein. Jetzt klagen die hiesigen deutschen Meister, daß die jungen herüberkommenden Leute den Kopf voller politischer Theorien und Bildungsfetzen haben, aber weder eine umfassende Kenntniß ihres Gewerbes besitzen, noch sich in den einzelnen Zweigen tüchtig erweisen. Man giebt zu, daß sie willig und fleißig sind und es unter tüchtiger Leitung noch immer zu mittelmäßigen Leistungen bringen. Vor Allem räth man den jungen Leuten, in Deutschland mehr zu lernen. Aber auch die tüchtigen dürfen im Anfang nicht sofort auf ein gutes Verdienst rechnen; denn die Arbeitstheilung ist in England viel weiter fortgeschritten als in Deutschland. In großen Kleidermagazinen ist sie auf den Punkt gelangt, daß ein Theil ihrer Arbeiter nur Knopflöcher macht, ein anderer nur Knöpfe annäht etc. Nun verfließt immerhin einige Zeit, bevor der Handwerker herausgefunden hat, für welche Detailarbeit er sich am meisten eignet, und bevor er in seinem Specialfache eine solche Gewandtheit erlangt hat, daß er erfolgreich mit dem Engländer concurriren kann.

Einige Gewerbe haben noch jetzt eine sichere Basis, da sie Producte liefern, welche von Engländern nicht hergestellt werden. Zu diesen gehört z. B. die deutsche Brodbäckerei; denn der englische Bäcker bäckt nur englisches Brod und überläßt das Backen des fremden Brodes den Fremden, den Deutschen und Franzosen.

Handwerksburschen und Commis mit kleiner Börse finden nicht blos billige Kost und Wohnung, sondern auch manchmal Arbeitsnachweisung in der „Deutschen Herberge“, welche an dem großen Finsbury Square Nr. 20, nicht weit von der City, der Geschäftsstadt Londons, entfernt liegt, diese „Deutsche Herberge“ wurde im Jahre 1872 von einem Londoner Jünglingsvereine gegründet und hat in den zehn Jahren ihres Bestehens sehr viel Gutes gewirkt. Da sie noch immer mit Deficit arbeitet, sei sie dem Wohlthätigkeitssinne deutscher Landsleute bestens empfohlen!

(Schluß folgt.)




Ketten und Verkettungen.

Novellette von B. Oulot.
(Fortsetzung.)


Nachstehend löse ich das eben gegebene Versprechen ein. In welcher Stimmung ich schreibe, das sage ich nicht, damit auch Sie nicht ohne Spannung davon kommen.

Klar und unbefangen, als ob mich die ganze Geschichte nichts anginge – staunen Sie über meine Ruhe – hebe ich also zu erzählen an:

Als ich am Morgen des angegebenen Tages erwachte, blitzte ein ungeheures Freudenbewußtsein durch meine Seele, und in der nächsten Secunde hatte ich auch schon die ganze Situation erfaßt: Diane, die reizende, ersehnte, mysteriöse Ungekannte, sollt’ ich heute kennen lernen.

Das Rendezvous der Jäger war in einem ungefähr eine Meile von Saalfelden entfernten Jagdschlößchen für zehn Uhr Vormittags angesetzt. Dort würden die Herren – so lautete die Einladung – ein Frühstück einnehmen, darauf einige Stunden hindurch dem Jagdvergnügen huldigen und sich alsdann zum Diner im Schlosse des Gastgebers versammeln.

Um neun Uhr saß ich bestiefelt und bewaffnet im Sattel, um nach dem angegebenen Orte zu reiten. Mein treuer Bohuslav – fast in jeder Geschichte kommt ein treuer Diener vor, daher habe ich Bohuslav, von dessen Tugenden ich keinerlei Erfahrung habe, mit diesem Prädicate versehen – meinen treuen Bohuslav also hatte ich mit einem kleinen Koffer und Toiletten-Necessaire nach Saalfelden vorausgeschickt.

Nach einstündigem Ritte befand ich mich am Platze des Rendezvous. Saalfeld kam mir entgegen.

„Ah, grüß Dich Gott, Ritterglas! Ich dachte schon, Du würdest nicht kommen. Du hast Dich überhaupt so lange nicht blicken lassen, weder bei mir, noch bei den anderen Nachbarjagden. Warst Du krank?“

„Ich? Krank? Nein – danke! Hast Du viele Gäste im Schloß? Viele Damen?“

„O ja, das ganze Haus voll, und auch Damen. Aber jetzt ist es Zeit, an das Frühstück und an die Jagd zu denken; die Damen wirst Du Abends zur Genüge sehen.“

„Wer sind die Damen? Wer sind sie – sag’ mir das, Freund! Wie heißen sie, die Damen? Woher kommen sie, und wie sehen sie aus, die Damen?“

„Welch ein Eifer! Von dieser Seite kenne ich Dich gar nicht, Ritterglas. Uebrigens kann ich Dir nicht einmal Auskunft darüber geben. Weiß Gott, nicht! Du kennst ja unsere hiesigen gesellschaftlichen Gewohnheiten: meine Schwester macht die Honneurs von Saalfelden und besorgt auch die Einladungen der Damen. Ich kümmere mich nur um die jagenden Gäste – um die Herren.“

Nach dem Frühstück nahm also die Jagd ihren Anfang. Ich bin sonst, wenn auch kein leidenschaftlicher, so doch ein recht anständiger Jünger Nimrod’s, aber diesmal muß ich mich in den Augen der anwesenden Jäger und Treiber mit Schmach bedeckt haben; denn meine Gedanken waren so sehr mit den bevorstehenden Dingen beschäftigt, daß ich keinen Hasen gesehen, viel weniger geschossen habe, und doch wurden deren an diesem Tage fünfhundert erlegt.

Einmal nur wurde ich aus meinen Träumen gerissen. Ein unweit von mir stehender Schütze rief mir zu:

„Sie gehören wohl nicht zu den Anbetern Dianens, Herr Baron von Ritterglas?“

Ich stürzte auf den Sprecher zu:

„Diane? Diane? Sie kennen sie – und Diane hat Anbeter – vielleicht Sie selbst? O, sagen Sie mir alles; ich beschwöre Sie!“

„Vor Allem haben Sie die Güte ünd halten Sie mir den Lauf Ihres Gewehres nicht unter die Nase!“

„Pardon! Also, Sie sagten Diane –“

„Nun ja; ich sehe nicht ein, warum Sie da so in Feuer gerathen, als wären Sie Actäon selbst, welcher bekanntlich in die Jagdgöttin verliebt war.“

„Ah so – ja so – ah ja – so ja.“

„Sie sollten wieder auf Ihren Stand zurückgehen, lieber Freund; Ihre Conversation ist zwar recht anregend, aber jetzt müssen wir unsere Gedanken durchaus auf unser Jagdhandwerk richten.“

Gegen sechs Uhr Abends kamen wir nach abgethaner Jagd Alle in Schloß Saalfelden an. In dem mir angewiesenen Zimmer erwartete mich mein treuer Bohuslav und hatte schon alles Nothwendige zum Ankleiden vorbereitet.

Die Frage, wie ich beim Jagddiner erscheinen sollte, ob in Civil oder in Uniform, hat mich einige Ueberlegung gekostet, und ich entschied mich für das erstere; denn wie ich Diane zu kennen glaube, ist sie für die Würdigung eines tadellos eleganten evening-dress, wie die Engländer Frack und weiße Cravatte nennen, nicht unempfänglich, weil es eine eigene Kunst erfordert, diesen Anzug mit Distinction zu tragen, und man hat mir immer versichert, daß ich den Frack mit ganz besonderem Geschick zur Geltung bringe.

Ich habe eigentlich nie recht zum Oberlieutenant gepaßt. Ich hätte Diplomat werden sollen – – wenn nicht eben mein Beruf die Philosophie wäre.

Im Kamin loderte ein helles Feuer; warmes Wasser dampfte aus dem Waschkrug; am Bette lag der Abendanzug ausgebreitet, und in den Armleuchtern des Ankleidespiegels brannten vier Kerzen; am Tisch vor dem Sopha aber stand ein Plateau mit einem silbernen, lustig summenden Theekessel, Tasse, Zuckerdose und Rumfläschchen; die schweren Vorhänge vor den Fenstern waren heruntergelassen, und nach dem Heimwege an dem feuchten, dunkelnden Novemberabend machte das ganze Gemach einen unsäglich behaglich-warmen Eindruck.

Es währte noch eine Stunde, bis die Dinerglocke geläutet wurde. Ich hatte mich nach vollzogener Umkleidung auf dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_198.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)