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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Legende – trotz aller modernen Anwandlung, der selbst das Landvolk unterliegt!

Oder ist das nicht hoch modern, wenn dicht hinter der Bude des Hanswurstes ein photographisches Atelier steht, ad hoc für die „Herrn Landleute“ gezimmert? In solcher Stunde bringt der Bauer wohl das dümmste Gesicht zu Stande, das er jemals im Leben zeigt; mit aufgerissenen Augen und ausgespreizten Beinen sitzt er dort, und neben ihm steht triumphirend ein Maßkrug als volksthümliches Ornament.

So wird ein Mensch, der sonst hervorragt durch freie Beweglichkeit, zum reinen Gliedermann unter dem feierlichen Drucke des Apparates, die Cameraden aber, die alsdann das Portrait bewundern, sagen ausnahmslos: „Ah, schön is er kemma,“ „akkrat wie’s Leben,“ und keiner versäumt hinzuzusetzen: „Siehst – an Maßkrug hat er aa.“

Daß der Maßkrug auch außerdem an Markttagen eine große Rolle spielt, ist natürlich; das viele Hin und Her und besonders das „Umeinandersteh’n“ macht müde und Müdigkeit zeugt Durst. So sind denn alle Gaststuben überfüllt; in der Fensternische und im Winkel sitzen die Alten und disputiren noch über dieses und jenes Geschäft; denn jeder Bauer hat ja heutzutage „so a bissel a Handelschaft“. Das kommt erst morgen recht an’s Licht; denn nach dem „Leutmarkt“ wird am Montag „Viechmarkt“ gehalten: so lautet die traditionelle Bezeichnung der beiden Tage.

Doch während die Alten klügeln und rechnen, dröhnt die Decke zu ihren Häupten; droben im Saale ist Schuhplattltanz für das junge Volk; denn auch das ist ein hergebrachtes Privileg des Markttages, daß an demselben Tanzmusik gehalten wird.

Es dämmert schon, bis das kleine Fuhrwerk wieder heimwärts trollet auf dem gewundenen Sträßlein, wo wir es zuerst gesehn. Der Bauer sitzt noch stramm und aufrecht darinnen, und er fühlt mit sichtlichem Stolz, daß er trotz schwerer Zeche so unversehrt davon gekommen – die Bäuerin aber schaut ihm nicht ohne Argwohn auf die Zügel und ist froh, daß wenigstens der Bräundl so sicher geht. Es wird spät, bis man heim kommt, aber trotzdem sind die Kinder noch auf und jubiliren den Alten entgegen: „Hast uns an Markt mitbracht?“ Auch das ist ein stehender Ausdruck der Volkssprache.

… Wie lind die Nacht ist! – Alles ging längst zur Ruhe in dem großen Bauerngehöft; nur Mann und Frau sind noch wach und sitzen auf der Hausbank vor der Thür. Vor ihnen dehnt sich Stall und Scheune; der alte Lindenbaum rauscht und blüht, und wenn sie da so schweigsam in die Sterne schauen, da mag es ihnen wohl durch die Seele gehen, was Erb’ und Eigen werth ist und wie glücklich neben all’ dem fahrenden Volk ein Mann ist, der Haus und Hof in hundertjähriger Folge sein nennt. Es giebt ein altes Sprüchwort:

„Eigen Rauch und Gemach
Geht über alle Sach’!“

Karl Stieler.     




Zu Joseph Haydn’s hundertundfünfzigster Geburtsfeier.

Von Ludwig Nohl.

Eine der wunderbarsten Eigenschaften, welche die Musik zeigt, ist die zwingende Wirkung, die sie auf unsere Stimmung ausübt. Ob im gewohnten Sinne „musikalisch“ oder nicht, wem in der vollen Deutlichkeit der Darstellung ein stimmungsvolles Meisterstück vorgeführt wird, der fühlt sich davon erfaßt und gestimmt, er mag wollen oder nicht. Die Philosophie lehrt uns schon seit der Griechen Zeiten, daß die Musik vom Wesen der Dinge rede, während die bildenden Künste ihren Schein reproduciren, und Schopenhauer, so wenig musikalisch er an sich ist, sagt doch sehr zutreffend speciell von der Melodie, sie erzähle uns die geheimste Geschichte unseres Inneren, sie male jede Regung, jedes Streben, jede Bewegung desselben, kurz alles das, was die Vernunft unter dem weiten Begriff „Gefühl“ auffasse.

Ein Meister, der diese individuelle Stimmung, nicht etwa in die Musik überhaupt eingeführt, wohl aber zuerst völlig auch für die instrumentale Kunst zum Princip erhoben und der sie zu Anlaß und Richtschnur seines Schaffens gemacht hat, feiert am 1. April seinen hundertundfünfzigjährigen Geburtstag – Joseph Haydn.

Es lohnt sich wohl, zu solcher Zeit einmal näher in Geist und Sinn eines Mannes einzugehen, der uns Nachlebenden noch heute in musikalischem Humor und inniger Empfindung ein kaum erreichter Meister ist und dadurch eine Kunst heraufbeschwor, die kein Volk und keine Zeit zuvor gekannt hat - die deutsche Instrumentalmusik.

Geboren in der Nacht vom 31. März auf den 1. April des Jahres 1732 zu Rohrau an der Leitha in kleinen, mehr bäuerlichen als städtischen Verhältnissen, theilte er von Jugend an die einfache Ruhe dieser Stände, die das Sichausleben in einer Empfindung und Stimmung vorzugsweise begünstigt. Und nun gar die Gleichmäßigkeit des Daseins in jener Donau-Gegend an der ungarischen Grenze und im vorigen Jahrhundert! Wenn des Tages Arbeit vorüber war, saßen die Mitglieder der Familie mit einander auf der Ofenbank und sangen „simple kurze Stücke“, das heißt volksmäßige Weisen, die der Vater auf seiner Wanderschaft gehört hatte und jetzt zugleich auf der Harfe begleitete. Der kleine Sepperl übte hier nicht blos das Ohr, sondern vielleicht viel tiefer noch Herz und Gemüth, und geradezu eine andere Art Gottesdienst muß es diesen religiös frommen Leuten gewesen sein, was sie da in unbewußter Aufdeckung ihres Heiligsten, des inneren Gefühles, mit einander trieben. Denn noch als Sechsziger, als Haydn, ein weltberühmter Mann, die einfache Stube wieder betreten sollte, konnte er nicht anders, als, ehe er die Schwelle überschritt, niederzuknieen und sie zu küssen. Wie tief muß also sein Gemüth bei diesen jugendlichen Musikübungen betheiligt gewesen sein, daß er sie geradezu als heilig zu haltende Quelle all seines künstlerischen Vermögens und Leistens empfand und betrachtete! Die Welt hatte ihn allerdings auch seitdem durch mancherlei Noth und Qual hindurchgetrieben, aber immer hatte er sein inneres Heim wiedergefunden.

Seine schöne Stimme brachte den Knaben, welcher zuvor eine Zeit lang in dem Städtchen Hainburg bei Verwandten gelebt hatte, mit acht Jahren in die Capelle der Stephanskirche in Wien. Hier war Schmalhans Küchenmeister. Dies trieb ihn aber dazu, bei mancherlei Haus- und Festmusik mitzuwirken und so sich praktisch tüchtig zu machen. Doch weihte ihn die Kirchenmusik auch in die tieferen Wirkungen der Harmonie ein, und die einfachen Klänge der weltlichen Kunst erschienen hier zu dem Erhabenen des Himmelsdomes erweitert, den er in der Natur so oft still anbetend bewundert hatte: wir wissen es aus seiner „Schöpfung“.

Aber auch der fröhliche Lebenssinn und Jugendübermuth des Knaben blieb in dieser beengten Existenz der gleiche wie früher, und selbst als er, weil seine Stimme sich brach, aus der Capelle entlassen und der baaren Noth des Lebens preisgegeben wurde, verließ ihn die Zuversicht nicht. Ein armer Chorist nahm ihn zu sich auf das Dachstübchen, und die Mitwirkung bei den Musikbanden zu Spiel und Tanz verschaffte ihm wenigstens das tägliche Brod. Die Nächte aber wurden dem Studium gewidmet, und bald konnte er als Gesangsbegleiter bei einem berühmten Maëstro eintreten, der ihn zugleich in den „echten Fundamenten der Satzkunst“ unterwies, wofür er ihm dann auch – die Kleider ausklopfen durfte.

Dieser Maëstro, Nicolo Porpora, gehörte als Singmeister und Componist jener italienischen Opernschule an, die damals in ganz Europa die musikalische Kunst beherrschte. Haydn konnte hier lernen, dem Anmuthenden der Natur, das seiner dem Volke entlehnten Weise eigen war, die Grazie der Kunst und vor allem die schöne Durchsichtigkeit der Harmonie zu verleihen. Und dies war für einen Deutschen etwas. Denn nachdem Sebastian Bach die Kunst der contrapunktischen Polyphonie auf die höchste Stufe erhoben hatte, war der deutschen Musik, seitdem sie nur Kleinmeister hervorbrachte, etwas handwerkerlich Steifes geblieben, während die Halbbrüder der Alten, die Italiener, wie in der bildenden Kunst, so auch in der Musik die schöne Melodielinie gefunden hatten.

Noch etwas aber fehlte, um unseren Haydn zu dem zu machen, als was die Welt ihn immer feiern wird, und dies gab

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_192.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)