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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„O dio mio, che belle orange!“ (Ach mein Gott, was für schöne Orangen!)

Dabei eine Haltung, die, in Schiller’sches Deutsch übersetzt, ungefähr sagt: „Sieh her und bleibe deiner Sinne Meister!“ Der verliebte Prinz, dem die schöne, arrogante Turandot sich entschleiert – er kann nicht geblendeter vom Glanz ihrer Herrlichkeit sein, als der pockennarbige Bursche hier vom Anblick seiner schmierigen Orangen es zu sein scheint. Freilich erscheint er plötzlich wieder sehr gefaßt; die Verzückung hat ihm den Verstand nicht ganz geraubt; denn da der Fremde lächelnd weiter schreitet, hat er doch noch die Geistesgegenwart, ihn um eine Cigarre anzubetteln. Ob mit Erfolg, vermögen wir nicht abzuwarten; denn schon sind wir selber umlagert von einer Anzahl gleicher Kobolde – wir waren ja so unvorsichtig zu lachen, das kostet nothwendig einen Soldo oder eine Cigarette.

Siesta.

Und wie wird sich wohl jener Herr dort von ihnen loskaufen, der an der Skizzenmappe unter dem Arm schon von weitem als Zeichner oder Maler kenntlich ist? Der Arme! Er weiß noch nicht, wie sehr er in Rom als „Pittore“ mit Modellanerbietungen geplagt sein wird. Schon ist er von einem Bengel attakirt, der ihm mit lautem: „Hier bin ich ja, mein Herr!“ selbstbewußt entgegeneilt.

Der Herr mit der Mappe scheint sich zwar nicht zu erinnern, ihn bestellt zu haben, besieht sich vielmehr den schwarzen Burschen mit Befremden. Der aber läßt sich nicht beirren:

Stiefelputzer.

„Ja, ja, mein Herr, Sie suchen mich; gewiß, mein Herr! Ja, Sie wollen mich malen. Vabbene! Wie wollen Sie mich malen? So – oder so?“

Dabei nimmt er, weiß Gott welche, malerische Stellung an, wie er sie den Statuen oder den Gemälden in den Fenstern der Kunsthandlungen abgelauscht hat. Aber keine dieser „Posen“ will dem Maler imponiren; ungeduldig sagt der Kleine, der fortwährend neben ihm her eilt: „Aber so werden Sie mich doch malen?!“

So anmuthig wie möglich beugt er seinen kurzhaarigen Kopf vorwärts; die eine Hand wird stramm vorgestreckt, die andere legt sich mit gekrümmtem Zeigefinger an die Wange; tänzelnd hüpft er in die Höhe, die Beine graziös balancirend – o ja, man sieht klar, was er als Trumpf vorführt: es ist Amor, der auf den Wolken leichtbeschwingt einherschwebt und eben den sichertreffenden Pfeil auf sein Opfer entsendet hat! Daß Amor in diesem Falle nicht allzu sauber gewaschen dem Olymp entronnen zu sein scheint, stört ja die Illusion in keiner Weise.

Allein der Herr Maler ist ganz unempfindlich gegen die Gliederverrenkungen Amor’s – er hat offenbar gar keinen „Blick“ für Schönheit. Verzweifelt giebt Amor sein Spiel auf.

„Dann geben Sie mir wenigstens einen Soldo oder eine Cigarre.“

Ein Amor-Modell.

Unser Tag geht zu Ende. Aber noch ehe das Tageslicht ganz verschwunden ist, erleuchten Tausende von Laternen die Plätze und Straßen, auf deren Trottoiren sich Stuhl an Stuhl, Bank an Bank in endloser Kette an einander reihen; Kaffeetrinker und Sorbettoschlürfer haben sich in dichten Gruppen plaudernd und lachend darauf niedergelassen: sie freuen sich der nächtlichen Kühle, froh, daß wieder ein heißer Junitag überstanden ist. Aber unter den eleganten Kaffeetischchen, zwischen dem Gewimmel der Menschen- und Stuhlbeine hindurch winden sich in schlangenartiger Geräuschlosigkeit die unvermeidlichen Gassenjungen, die geschmeidig von einer Gruppe zur andern krabbeln, um nach Cigarrenstummeln zu fahnden. Kaum wirft einer der rauchenden Kaffeeschlürfer einen Cigarettenrest weg, so fahren blitzschnell zwei, drei nackte braune Arme unter jedem Tisch und Stuhl hervor – eine kurze Balgerei, ein leidenschaftliches „va via!“ („weg da!“),

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_181.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2022)