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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

geheimer Instruction nach Süddalmatien entsandt, und ihm gelang es schließlich, das Land zu beruhigen. Die Form aber, in welcher der sogenannte „Friede von Knezlaz“ geschlossen wurde, war für die österreichisch-ungarische Monarchie nichts weniger als rühmlich. General Rodich bewilligte den Insurgenten vollständige Amnestie und Beibehaltung ihrer Waffen, unter der Bedingung, daß sie dieselben auf kurze Zeit niederlegen und dem Kaiser sich formell ergeben sollten. Dieser Schlußact des blutigen Dramas, welcher am 11. Januar 1870 sich abspielte, war ein lächerliches Possenspiel. Einige Hundert Crivoscianer erschienen vor dem österreichischen General, übergaben ihm ihre Gewehre und erklärten, daß sie sich dem österreichischen Kaiser unterwürfen. In väterlichem Tone hielt hierauf der General eine Strafpredigt an die Ungehorsamen und gestattete ihnen, nachdem er sie mit Geld beschenkt hatte, die Büchsen zur eigenen Sicherheit wieder mitzunehmen.

Nun knallen diese Büchsen wieder gegen die kaiserlichen Truppen, und der Grund der Auflehnung ist dieselbe Einführung der Wehrpflicht. Die Wiener Regierung hat nämlich beschlossen, die Bevölkerung von Bosnien und der Herzegowina, die bis jetzt vom Militärdienst befreit war, zu diesem Dienste heranzuziehen und zunächst die Landwehrorganisation in dem Bezirke von Cattaro durchzuführen. In den Augen der Gebirgssöhne war diese Heranziehung zu den Pflichten, die sonst jeder Staatsbürger erfüllen muß, wiederum ein schmählicher Privilegienbruch, und die Nachricht empörte sie umsomehr, als die Verheißungen, welche Oesterreich bei der Besitzergreifung des Landes gemacht hatte, noch immer auf ihre Erfüllung warten lassen. Die mohammedanische Bevölkerung weigerte sich außerdem, einem christlichen Souverain den Eid der Treue zu Wasser und zu Lande zu leisten, und schloß sich der Insurrection an. Dazu kommt es noch, daß fremde Agenten schon seit längerer Zeit das Land gegen Oesterreich aufwühlen und die Bevölkerung für panslavistische Ziele zu gewinnen suchen, um wiederum das „Bischen Herzegowina“ zum Ausgangspunkte großer kriegerischer Verwickelung zu machen.

Die Crivoscianer und ihre Brüder aus der Herzegowina ließen sich vielleicht mit Guldennoten zum zweiten Male beschwichtigen; ein südslavischer Politiker hat wenigstens an die ungarische Regierung die naive Frage gerichtet, warum man denn die Bevölkerung der Herzegowina für seine Zwecke nicht kaufen wolle. Die Rüstungen, welche Oesterreich gemacht, deuten jedoch darauf hin, daß man diesmal in Wien nicht geneigt ist, die Komödie von Knezlaz zu wiederholen, sondern beschlossen hat, den Knoten mit dem Schwerte zu lösen, wie es das Ansehen und die Würde Oesterreichs erheischt.

Auf die Andrassy’sche Occupationspolitik, vor welcher einst die deutsche liberale Partei in Oesterreich die Lenker des Staates so nachdrücklich gewarnt hat, wirft freilich der gegenwärtige Aufstand ein grelles und unheimliches Licht.




Römische Straßenjugend.

Mit Abbildungen nach Skizzen von R. Eifert auf Holz gezeichnet von A. Langhammer.


„Römische Straßenjugend!“ denkt der kritische Leser, „sonderbares Thema! Die Straßenjungen werden in Rom sein wie überall: neugierig, naseweis, lärmend, meist schlecht gewaschen, stets unartig etc.“

Allerdings lassen sich diese Eigenschaften den römischen Gassenjungen nicht ganz absprechen. Auch kann ich nicht behaupten, daß sie alle so schön sind, wie die vielen sogenannten „Knaben aus Rom“, die – mit träumerischen Augen, langen (natürlich kohlschwarzen) Locken und zugehörigem Spitzhut – bei uns in allen Kunstläden und Schaufenstern in Oel, Aquarell, Kupferstich, Holzschnitt, Stahlstich etc. ausgestellt sind.

Und doch zeichnen sie sich vor der Jugend aller andern Städte aus durch etwas Eigenartiges, das sie bald zu Lieblingen dessen machen muß, der sie auch nur eine kurze Zeit lang mit Interesse beobachtet.

Das mag zunächst seinen Grund darin haben, daß Roms classischer Hintergrund die an sich oft unbedeutendsten Dinge dem Fremden bedeutsam erscheinen läßt – also auch den Straßenjungen. Diesem Zauber des Antiken unterliegt besonders der normale Deutsche, der als Mann von classischer Schulbildung mit dem historischen „frommen Schauder“ den antiken Boden betritt; er wird leicht geneigt sein, auch die zum Theil etwas minder würdigen modernen Römer mit einigermaßen romantischen Augen anzusehen. Natürlich –! Wer in seiner Jugend Jahre lang antike Geschichte und Sprachen studirt hat, wer als Lateinschüler mit saurem Schweiß die Geographie von Rom, die sieben Hügel und die Thore der ewigen Stadt auswendig gelernt hat, der betrachtet wohl unwillkürlich mit einigem Neid die ungewaschenen Jungen, die unter diesen Hügeln aufgewachsen sind und keine Schläge und kein „Nachsitzen“ bekommen haben, um zu lernen, wo man den Triumphbogen des Constantin und den tarpejischen Felsen zu suchen hat, und wer seiner Zeit, bedroht vom pädagogischen Stab des Rectors, „aqua – das Wasser“ decliniren lernen mußte, den berührt es eigenthümlich, wenn nun hier ein barfüßiger Bengel, der gewiß nie declinirt oder conjugirt hat, mit einem Glas Eiswasser auf ihn losstürzt: „acqua, Signore, acqua fresca, acqua!“ schreiend, – als ob es nicht Zumpt’s Grammatik bedürfte, um die Sprache Cicero’s zu lernen! Ganz charakteristisch für dieses Ueberraschungsgefühl war es, wenn ein deutscher Philologe und eingefleischter Grammatikal-Pädagoge bei dieser Gelegenheit mechanisch zu antworten pflegte: „Ja, aqua, Nominativ Singularis, das Wasser – aquae, Genitiv Singularis, des Wassers!“

Allein ich kann nicht zugeben, daß alles auf Illusion beruht, was die römischen Straßentypen, insbesondere die Jugend, auszeichnet. Nein, es ist thatsächlich etwas Besonderes in ihrem Wesen: eine Verkörperung jenes eigenthümlichen Contrastes von anmuthiger Grandezza und ruheloser Lebhaftigkeit, eine komische Mischung von edler Vornehmheit und unedler Gewinnsucht, von träumerischer Sinnigkeit und ausgelassenster Fröhlichkeit, welche ja allen Südländern der niederen Stände eigen ist, aber gerade bei der römischen Straßenjugend am allerfrappantesten zu Tage tritt. Wer nur irgend ein Auge hat für den sogenannten Straßenhumor, dem springen gerade bei ihr die heitersten Scenen auf Schritt und Tritt in’s Auge, der genießt Lustspiele, wie sie in keinem Theater der Welt dramatisch lebhafter und psychologisch feiner dargestellt werden können – alles nur für einen Soldo oder eine Cigarre!

Sehen wir uns diese Schauspieler ein wenig näher an! Wir können versichert sein, sie sind nie „unpäßlich“ und stets in Action.

Wir treten Morgens aus dem Hause, im Kopf den Schlachtplan für die heute zu besichtigenden Sehenswürdigkeiten. Auf der Straße herrscht schon reges Treiben; denn die kühlere Jahreszeit will ausgenützt sein. Aber unbekümmert um den geschäftigen Menschenknäuel, der die Straße auf- und abwogt, lagern auf dem Trottoir die langhaarigen Ziegen, die der Hirt aus der Campagna früh Morgens zur Stadt treibt, um die Milch zum Frühstück zu verkaufen. Der struppige Hirt hat soeben eines der Thiere gemolken und tritt in ein Café, seine Waare auszubieten.

Jetzt fährt hinter dem nächsten Eckstein hervor – wie der Falk auf die Tauben – ein brauner, halbnackter, kleiner Kerl auf einen der nachdenklichen Wiederkäuer los, stürzt sich nieder und – saugt aus Leibeskräften am vollen Euter, daß ihm die Milch über die Wangen trieft.

Ehe der brave Campagnole herausstürzt und den langen Prügel gegen den Milchdieb schwingt, entweicht dieser mit ein paar Sprüngen – sein Frühstück hat ihn gestärkt. Hinter dem Eckstein holt er seine Zeitungen hervor, und nun nimmt er seine unterbrochene Handelsthätigkeit wieder auf, mit entsetztich unmelodischem Tonfalle sein: „ecco giornali, ecco notizie nuovissime – Fanfulla – Popolo romano – ecco gazetta!“ hinausbrüllend. Ja, „brüllend“; denn es gilt, die anderen Zeitungsverkäufer zu überschreien und die übrigen Dutzende von Verkäufern anderer Artikel zu übertäuben, die ihrerseits mit geradezu polizeiwidrigem Geschrei ihre Fächer, Zündhölzer, Zahnstocher, Stadtpläne, Heiligenbilder, Lotterieloose, Hosenträger, Pantoffeln etc. etc. anpreisen. Einzelne mit besonders schrillem Organ ausgerüstete Kerle haben ihre Waaren in Reime gebracht und singen sie nach der Melodie irgend einer bekannten Oper, deren Componist sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_178.jpg&oldid=- (Version vom 29.11.2022)