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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

geistigen und sittlichen Lebens, hingegeben an den Cultus des Schönen.

Mit solchem Wunsch und Streben ehren wir am besten den großen Dichter an seinem Gedenktage, der uns an die Fülle des Herrlichen mahnt, das wir seinem Genius verdanken.

„Mehr Licht!“ rief der sterbende Dichter. Das sei und bleibe die Losung unseres Volkes! Mehr Licht der Wahrheit und Schönheit und nimmer die Nacht der Barbarei! Das walte Goethe’s schützender Genius!

Rudolf von Gottschall.     




Der Aufstand in der Crivoscie und der Herzegowina.

Als im Jahre 1814 die politische Karte von Europa nach dem Gutdünken der Diplomaten wieder einmal „für ewige Zeiten“ umgestaltet wurde, gelangte Oesterreich in den dauernden Besitz der Lande, welche heute den südlichen Theil Dalmatiens bilden und deren Bevölkerung sich im Laufe dieses Jahrhunderts jetzt bereits zum dritten Male gegen die österreichische Regierung auflehnt. Einst waren die Städte dieses Küstenstriches nicht unbedeutende Handelsplätze und Pflegestätten der Künste und Wissenschaften, welche sowohl der Uebermacht Venedigs zu trotzen wie auch den Einfällen der türkischen Horden bald mit Waffen, bald mit Goldmünzen erfolgreich zu begegnen wußten. Im Anfange dieses Jahrhunderts aber war ihr Wohlstand bereits untergraben, und selbst der Freistaat Ragusa hat in den Napoleonischen Kriegen seine Macht vollständig eingebüßt, da von den 360 Schiffen, über welche diese Handelsrepublik verfügte, 300 theils von den Engländern und Russen gekapert wurden, theils im Hafen verfaulten.

Auch unter Oesterreichs Herrschaft hat sich die Bedeutung dieses Küstenlandes nicht merklich gehoben, und man schrieb die geringe Entwickelungsfähigkeit des dortigen Handels und Wandels der ungünstigen politischen Lage Dalmatiens zu, welches, einen schmalen Streifen bildend, durch die Nachbarschaft der in volle Anarchie zerfallenden Türkei stark beeinträchtigt war. Darum wurde unter den Gründen, die Oesterreich zur Occupation von Bosnien und der Herzegowina veranlaßten, auch der Umstand angeführt, man müsse für Dalmatien ein Hinterland schaffen. Und in der That wird die Neubelebung des dalmatinischen Handels einen nicht zu unterschätzenden Erfolg des Vordringens von Oesterreich-Ungarn auf der Balkanhalbinsel bilden – vorausgesetzt, daß es der österreichischen Regierung gelingt, die verwilderten Stämme der occupirten Provinzen für die culturelle Arbeit zu gewinnen. Bis jetzt ist freilich von derartigen Erfolgen noch nichts zu spüren; Bosnien und die Herzegowina haben vielmehr Oesterreich gegen 300 Millionen Gulden gekostet, und die von dem Türkenjoche befreiten Südslaven danken Oesterreich für den ihnen gewährten Schutz mit Meuterei und Aufruhr.

Während wir diese Zeilen niederschreiben, soll von den österreichischen Regimentern auf den unwirthlichen Höhenzügen der Crivoscie und der Herzegowina ein Hauptschlag gegen die Insurgenten geführt werden, und mit pochenden Herzen sehen Tausende von deutschen Familien dem Ausgange des Kampfes entgegen; denn Tausende aus dem deutschen Volke setzen dort ihr Leben ein, auf gefahrvollen Gebirgspfaden von wildtobenden Schneestürmen nicht minder bedroht als von feindlichen Kugeln.

Eine kurze Beschreibung des Kriegsschauplatzes wird daher vielerorts den Lesern der „Gartenlaube“ ohne Zweifel willkommen sein, ebenso wie die beigefügte Karte, auf welcher die Betheiligten den gefahrvollen Wegen ihrer Söhne und Väter unschwer zu folgen vermögen, welche für Oesterreichs Ansehen und den Frieden Europas tapfer einstehen.

Am südlichen Ende der dalmatinischen Küste bildet das Meer eine vielzackige, von hohen Bergen umrahmte Bucht, die Bocche di Cattaro, welche den Schiffern als ein vortrefflicher Hafen wohlbekannt ist und den Touristen durch seltene Naturschönheit entzückt. Bald fallen hier steil und kahl die Felsenwände gegen den dunklen Wogengrund ab; bald prangt das Gestade im reichen Schmucke der Vegetation, der das Auge des Fremden um so mehr fesselt, als hier, neben den nordischen Bäumen, die Orangen und Citronen, die Dattelpalmen und die Cypressen, sowie Aloe und Granatbüsche gedeihen. In dem nordwestlichen Winkel dieser Bucht liegt der kleine Handelsplatz Risano, von dem aus man am leichtesten in das Insurrectionsgebiet gelangt. Fast unmittelbar hinter Risano verändert sich der Charakter von Land und Leuten wie mit einem Schlage. Die Weingärten und Obstpflanzungen werden, je mehr man gegen das Gebirge vordringt, immer seltener, und auch der Baumwuchs verschwindet bald, bis die Gegend ein karstartiges Hochplateau, die Crivoscie, bildet, welches, mit spärlichem Grase bedeckt, nur als Weideplatz benutzt werden kann.

Nach dieser Ebene, auf welcher im Jahre 1836 das Fort Dragali erbaut wurde, führt von der Küste nur ein elender Saumweg, der sich durch zahlreiche Engpässe und an gefährlichen Schluchten vorbei schlangenartig hinaufwindet. Von Straßen im europäischen Sinne des Wortes findet man in der Crivoscie nicht die geringste Spur. Dabei zeigt hier das Gebirge all die öden und trostlosen Eigenschaften des Karstes in so hohem Maße, daß eine wildere und rauhere Gebirgsgegend schwerlich irgendwo in Europa nachzuweisen wäre.

Während man ferner an der Küste auf Ueberreste alter Cultur stößt und einem lebhaften Handel und Wandel begegnet, findet man auf der Hochebene der Crivoscie einen Hirtenstamm, der, noch in halbwildem Zustande lebend, kein geschriebenes Gesetz anerkennt und an seinen alten überlieferten Vorrechten mit Zähigkeit festhält. Als die Türken die Völker der Balkanhalbinsel unter ihr Joch beugten, wußten die Crivoscianer, gleich ihren Brüdern in den Schwarzen Bergen, sich einen gewissen Grad von Unabhängigkeit zu sichern, da ihr Widerstand in der unwirthlichen Natur ihrer Heimath einen nicht zu unterschätzenden Bundesgenossen fand. Aber gerade durch diese unaufhörlichen Kämpfe mit ihren Grenznachbarn verwildert, haben diese Hirten bis auf den heutigen Tag die barbarischen Kriegsgebräuche ihrer Vorfahren beibehalten und pflegen, wie man erzählt, den gefallenen Feinden die Nasen abzuschneiden, um nach der Art der scalpirenden Indianer Siegestrophäen zu sammeln. Wie die Montenegriner es für eine Schande halten, ohne Waffen zu erscheinen, so betrachten auch die Crivoscianer Handschar und Flinte als unentbehrliche Costümstücke, und man sieht diese Söhne der Berge wohl darum verhältnißmäßig so selten in den nahen Küstenstädten Dalmatiens, weil sie vor dem Eintritt in dieselben ihre Waffen ablegen müssen. Ein erfahrener Kenner dieses Volksstammes beschließt eine Charakteristik desselben mit folgenden vielsagenden Worten:

„Wenn ein Schriftsteller die Crivoscie den ‚österreichischen Kaukasus‘ genannt hat, so können wir ihm bedingungsweise beipflichten, wenn aber Andere die Bewohner jenes Districtes mit den Rothhäuten des amerikanischen Westens verglichen haben, so müssen wir ihnen ohne allen Vorbehalt beistimmen.“

Auf sich allein angewiesen, würden die Crivoscianer schwerlich in der Lage sein, der österreichischen Regierung ernstere Verwickelungen zu bereiten; denn alle ihre Gemeinden zusammen zählen höchstens viertausend Seelen. Sobald aber in ihren Bergen die Schüsse knallen, werden durch ihr Echo die Stammesbrüder aus Montenegro und der Herzegowina aus dem dolce far niente aufgerüttelt, und sie erscheinen sofort schaarenweise, um an dem „Kriege“ theilzunehmen. Werden die Crivoscianer dagegen von den österreichischen Truppen zersprengt, so können sie ihrerseits sicher sein, daß sie in den benachbarten Schwarzen Bergen, in dem souverainen Fürstenthum Montenegro, allezeit die gastlichste Aufnahme und den Schutz vor „fremden Bajonetten“ finden.

Die Crivoscie bildete jedoch nur den Ausgangspunkt des gegenwärtigen Aufstandes, welcher sich in kurzer Zeit auch auf den südlichen Theil der im Jahre 1878 occupirten Länder, auf die Herzegowina, erstreckte.

Im Großen und Ganzen herrscht auch hier der Karstcharakter in der Bildung des Gebirges vor; auch in der Herzegowina finden wir überall Armuth an Wasser und Lebensmitteln, sowie zerklüfteten, unwegsamen Felsboden. Das ganze Land besitzt nur eine einzige leidliche Straße, die in dem Narentathale von Mostar nach Serajewo führt, während sonst nur elende Saumwege die Communication zwischen den einzelnen Ortschaften vermitteln. Unter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_175.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)