Seite:Die Gartenlaube (1882) 174.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und ich glaubte zu bemerken, mein Verleger finde den Absatz nicht nach seinen Wünschen.“

Jene dunkle Epoche wird überfluthet von dem vollen Lichte, das jetzt über Goethe’s Leben ausgebreitet ist, doch man versetze sich zurück in jene Zeit; man höre den Buchhändler klagen über den Mangel an Absatz, über die unwillkommene Häufung der unverkauften Exemplare, über welche einige zierliche Lobreden der Literaturblätter nicht zu trösten vermochten. Vielleicht beneidete er den Erfolg der Cramer’schen Romane, welche im großen Publicum eine rasche Verbreitung fanden, und ein wie gebildeter Buchhändler Herr Göschen auch war, mußte er nicht irre werden an der Unsterblichkeit seines berühmten Goethe, von dem die Mitwelt so wenig wissen wollte? Konnte er damals die hunderttausend Exemplare Goethe’scher Werke ahnen, mit denen einst die Cotta’sche Buchhandlung alle Bibliotheken der Erde bevölkern würde? Und dem mißvergnügten Buchhändler trat der durch seine ersten Erfolge verwöhnte Dichter gewiß sehr zaghaft gegenüber: waren es nicht dunkle Tage und Jahre in seinem Leben, in denen er erkannte, daß der Kranz des Ruhmes, wie Tasso sagt, auch für ihn hoch und höher und unerreichbar schwebe? Mußte sich da der Dichter nicht unglücklich fühlen?

Zu jener Einsicht, die er im Jahre 1828 im Vollgenuß seines Ruhmes zu Eckermann aussprach, war er wohl in jener Epoche der Werdelust noch nicht gelangt:

„Meine Sachen können nie populär werden; wer daran denkt und dafür strebt, ist in einem Irrthum. Sie sind nicht für die Masse geschrieben, sondern für einzelne Menschen, die etwas Aehnliches wollen und suchen und in ähnlichen Richtungen begriffen sind.“

Doch auch sonst finden sich bei näherem Hinblick Schatten genug in Goethe’s sonnenhellem Glücke: schwere Erkrankungen, Aerger über die kleinen Nadelstiche, mit denen die Weimarische Gesellschaft ihn Jahre lang verfolgte, besonders wegen seines Verhältnisses zu Fräulein Vulpius, der kleinen munteren, runden Schwester des Rinaldini-Dichters, Aerger über die Intriguen seiner Feinde, wie sie besonders Kotzebue in nächster aufdringlicher Nähe gegen ihn anzettelte. Diese Summe des erregten Mißmuthes warf ihre Schlagschatten gewiß auf tausend sonst sonnige Tage im Leben des Dichters, dem überhaupt die wechselnden Stimmungen und Launen seines „Tasso“ nicht fremd waren. Hierzu kam ein schwerer Unglücksfall, der sein höheres Alter trübte, der Tod seines einzigen Sohnes, sicherlich einer jener Schicksalsschläge, die sich am schwersten verwinden lassen. So mochte er selbst, der Vielbeneidete, ausrufen, daß unser Leben nur eitel Müh’ und Arbeit sei.

Doch des Dichters Freude ist die Dichtung; er lebt in seinen Gestalten und lebt fort in ihnen:

„Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte;
Ich weiß es, sie sind ewig; denn sie sind.“

Hier freilich eröffnete sich dem großen Dichter ein Quell der edelsten Freuden, die unvergänglich auch seinem Volke zugute kommen sollten.

Goethe als Denker und Dichter war der Natur zugewendet; das Geheimniß des Pflanzenlebens erkannte er mit tiefsinnigem Blick; was das eigentliche Wesen der Farbe sei, suchte er aus einer Fülle eigener Erfahrungen zu erkennen, im Widerspruch mit den herrschenden Anschauungen, die freilich seine Polemik überlebten; auch für Steine und Sterne, für den Knochenbau und die Anatomie der Thiere hatte er ein wissenschaftliches Interesse, aber er trat an die Natur heran mit großem Minne, nicht mit der Genügsamkeit der Spezialisten, mit glühendem, unbefriedigtem Wissensdrang, dem er in seinem „Faust“ ein unsterbliches Denkmal gesetzt hat.

Ein inniges Naturempfinden athmet in seinen „Liedern“. Kein Dichter hat so wie er das Weiche, Zarte, Wonnige und Wohlige der elementarischen Gewalten und den Zauber stimmungsvoller Beleuchtungen in seinen Versen wiedergegeben: wir brauchen blos an die Ballade „Der Fischer“ und die Lieder „An den Mond“ und „Auf dem See“ zu erinnern. Mit seinem Faust durfte der Dichter sagen, daß ihm die herrliche Natur zum Königreich gegeben sei und die Kraft, sie zu fühlen, zu genießen.

So war auch die echte, unverfälschte Natur im Menschenleben seiner Muse vor allem erschlossen, und da das ewig Weibliche der Natur am nächsten steht, so wußte er ihren unvergänglichen Zauber seinen Frauen einzuhauchen. Sein Gretchen, sein Clärchen und im höheren Stil seine Iphigenie, seine Leonore nebst zahlreichen weiblichen Gestalten aus seinen Romanen gehören in der Bildergallerie der Weltliteratur zu den unerreichten dichterischen Schöpfungen. Was seine Männer betrifft, so hat er dem Leben zu oft schwächliche und schwankende Charaktere nachgezeichnet, wie sein Clavigo, Werther, Weislingen, oder er hat sie zu Trägern jener wechselnden Stimmungen gemacht, die seine eigene Brust bewegten, wie Tasso und Faust.

Und wie haben die folgenden Geschlechter dieses Naturevangelium, das Vermächtniß Goethe’s fortgebildet? Nur unsere Lyrik athmet in Naturempfindung und Stimmung oft den Goethe’schen Hauch und auf seinem westöstlichen Divan ruhten viele Sänger nach ihm; doch der moderne Realismus, der an Goethe anzuknüpfen scheint, besonders in Erzählung und Roman, verleugnet sein großes Muster wieder dadurch, daß er die nackte Trivialität und Prosa des Lebens hervorkehrt und daß über seinen Alltagsbildern nichts von dem feinen geistigen Duft schwebt, der alle Werke Goethe’s verklärt. Gegen diese Natürlichkeit hat sich der Dichter selbst in seinen „Musen und Grazien in der Mark“ mit berechtigtem Spotte gewendet, und doch ist sie später Jahrzehnte hindurch in unserer Literatur zur herrschenden Mode geworden. Was aber würde der Weimarische Dichterfürst zu dem brüsken Naturalismus der Neufranzosen gesagt haben, dessen wüster Hereinbruch in unsere deutsche Dichtung eine von Tag zu Tag wachsende Drohung ist?

Die Tendenz Goethe’s ging auf die Schönheit, und der Adel dieser Schönheit beseelte bei ihm das dichterische Wort. Niemals ist die deutsche Sprache zu solcher entzückenden Grazie aufgeblüht wie in „Tasso“ und „Iphigenie“, und nur in Schiller’s Werken findet sich gleiche unnachahmliche Prägnanz wie im „Faust“. Es kam eine Zeit, wo man es für ein Zeichen des wahren Genius ausgab, von solchen Schönheiten gering zu denken; arm an ihnen zu sein, sollte für wahren Reichthum gelten. Verschuldet hatten solche Einseitigkeit die schwächlichen Nachahmer der großen Dichter; die schöne Sprache war eine beliebte Floskel des Lobes bei den geistig Armen geworden; deshalb wandten sich dagegen die Stürmer und Dränger, die das Mark titanischer Kraft in sich zu fühlen glaubten. Die schöne Sprache gerieth in Verruf, und noch heute erregt sie in dramatischen Dichtungen das Achselzucken der Bühnenlenker und den Spott der sich so überlegen dünkenden Feuilletonkritik. Das heißt aber das Kind mit dem Bade ausschütten. Man darf die wahrhaft schöne Sprache, in welcher sich des Dichters Schwung, Eigenart und Bedeutung zeigt, nicht gering schätzen, weil matte Copien durch einen oberflächlichen Firniß von Schönrednerei zu glänzen suchen. Was wären Schiller’s und Goethe’s Dichtungen ohne ihre „schöne Sprache“? Ihre Unvergänglichkeit beruht auf dem „einmal Gesagten“, auf dem Zauber des von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkenden Wortes, das mit dem Gedanken unlöslich verschmolzen ist. Wer freilich für den feinen Aether der Begeisterung, der über echten Dichtwerken und jedem echten Dichterwort zittert, keinen Instinct hat, der wird niemals in der Literatur Gold von Messing unterscheiden lernen.

An Goethe’s Vorbild lehnen sich aber auch die Dichter an, welche alles Gewicht legen auf die bloße Schönheit der Form und denen der geistige Inhalt ein gleichgültiger ist. Das sind die akademischen Modellzeichner, die ihre poetische Studienmappe zur Schau stellen; das sind die kleinen Goethe’s, die mit falscher Vornehmheit von ihrem Miniaturolymp herab auf die rastlos Strebenden sehen, auf diejenigen, die im Kampfe der Geister ringen und das Siegel des geistig Bedeutenden ihren Werken aufzuprägen suchen. Mit Unrecht berufen sich diese Pygmäen auf Goethe, der, wie sein „Faust“ beweist, die Löwenhaut besaß, um ganze Heere derselben wie Hercules darin einzuwickeln. Goethe’s Dichtungen wie sein Leben zeigen uns das gleiche Ideal, die Harmonie der Existenz, das resolute Leben im Wahren, Guten und Schönen. Dies Ideal sollte weder unserer Poesie, noch unserer Nation je verloren gehen. Hat sie mit der Energie sittlicher Thatkraft, welche Schiller’s Erbtheil ist, sich in großen Kämpfen ein eigenes Reich begründet, so sollte sie es ausbauen im Goethe’schen Geiste, mit Ruhe und Klarheit, mit edler Harmonie, frei von allen Verzerrungen des

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_174.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)