Seite:Die Gartenlaube (1882) 164.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

allerlei Legenden aus dem glorreichen Leben und von den glänzenden Alliancen der einstigen Rittergläser erzählt.

„Und Sie sind der Letzte Ihres Stammes?“ fragte Frau Meier gerührt.

„Ja, meine Gnädige, mit mir erlischt das Haus.“

„Wie traurig!“ seufzte sie.

„Ja,“ fuhr ich fort; „an meinem Sarge wird das alte Wappenschild gebrochen; das Schwert meiner Väter sinkt mit mir in’s Grab, und der Ruhm ihrer Thaten lebt dann nur noch in den Annalen der Geschichte fort.“ Frau Meier war nahe daran zu weinen, und so setzte ich tröstend hinzu: „Das heißt, meine Gnädige, wenn ich nicht ein paar Buben hinterlasse.“

Wenn sie wüßte, die gute Frau, daß ich gar nicht so aristokratisch gesinnt bin, und daß es mein höchster Ehrgeiz ist, nicht meinen Namen in Schlachtenchroniken und in den genealogischen Bäumen anderer erlauchter Häuser zu lesen, sondern einst im Conversationslexikon folgenden Passus nachschlagen zu können:

„Ritterglas, Emil Freiherr von, Philosoph, geboren den 15. October 1849. Verfasser von dem umfangreichen Werke ,Theorie der Verkettungen‘, welches den Grund zu einer neuen Schule legte. Biographien und Literatur siehe: Johannes Scherr, ,Kritik der neuesten Philosophie‘, L. Büchner, ,Vorlesungen über den Ritterglasismus‘. Leipzig 1885 etc.“

„Was bringst Du, Bohuslav?“

„Herr Oberlieutenant, die Post!“

Richtig, es ist die Post. Das ist immer ein angenehmes Gefühl, besonders wenn so Vielerlei da ist. Sehen wir eins nach dem andern an; die Zeitungen: „Leipziger Illustrirte“, „Schaarschmidt’s philosophische Monatshefte“, „Gartenlaube“, „Landwirthschaftliche Zeitung“! Eine wahre Wonne! – Und jetzt die Briefe: dieser ist wirklich von meinem Schneider; ein anderer von meiner alten Tante, der ich zum Namenstage gratulirt habe, Beides nicht interessant. Und dieses Paket? O Entzücken – von Gottlieb Müller’s „Annoncenexpedition“ – lauter Briefe, ein, zwei, drei – – siebenundzwanzig! Sämmtlich mit der Aufschrift: „Cela n’engage à rien.

Lebe einstweilen wohl, Philosophie! Ich habe wahrhaftig nicht Muße, weiter zu arbeiten. Jetzt stürze ich mich in die Lesefluth.

*  *  *

Von all den siebenundzwanzig Briefen hat nur einer Eindruck auf mich gemacht, und ich übertrage dessen Inhalt auf meine Notizblätter, weil von Ketten und Verkettungen darin die Rede ist. In eleganter amerikanischer Handschrift, correct und kühn hebt sich dieses Schreiben von seinen meist unorthographischen, fliegenfüßigen, nichtssagenden Gefährten ab.

„Abseits von der staubigen, einförmigen Lebensstraße,“ so lautet es, „die vor und hinter mir liegt, sehe ich einen geheimnißvollen Laubgang, der Gott weiß wohin führt – ob zu Abgründen, ob zu Rosenhainen, wie soll man’s sagen, da die Inschrift des Weisers einfach ‚Zufallsscheibe‘ lautet, und die ‚Verkettungen des Zufalls‘ bekanntlich in’s Unendliche gehen. In diesen Laubgang thue ich einen Schritt, vielleicht zwei – weit werde ich mich gewiß nicht wagen, aber es ist ein eigener Zauber um alles Ungewöhnliche, Undefinirte und – darüber sind wir ja von vornherein einig: cela n’engage à rien. Was den Reiz dieses Schrittes erhöht, ist, daß ich das Gefühl eines Gefangenen habe, der auf eine Stunde seine Ketten abwirft und frei umherläuft; denn ich bin rings von unzähligen Fesseln der Convenienz, der Erziehung, der Stellung festgehalten. Ich bin nicht frei, in keinerlei Bedeutung dieses Wortes, und darum freut mich der unerhörte Ausflug doppelt. Ich bin auch nicht glücklich. Aber ich will ja hier nichts von meiner Lebensgeschichte erzählen. Da ich den Schritt vom Wege wage, so hülle ich mich dabei in dichte Schleier. Der Empfänger dieser Zeilen soll ja jetzt nicht – und hoffentlich nie – erfahren, wer die Schreiberin sei. Das soll nur so eine flüchtige Begegnung von Seele zu Seele werden. Aus der Antwort auf diesen Brief werde ich überhaupt erst sehen, ob ich es mit einer Seele zu thun habe. – Adresse: A. Z. poste rasante, Wien.“

Der Brief entzückt mich. Er macht mir einen Eindruck, wie eine schwarzseidene Maske, hinter welcher Feueraugen und Perlenzähne blitzen. Aus diesen Augen blitzt der seltene Funke „Geist“. Meine Phantasie ist gleich Feuer und Flamme. In den Laubgang, wo meine Unbekannte nur einen Schritt vom Wege machen will, folge ich ihr gerne, und sie sagt es selbst: die Verkettungen führen bis in’s Unendliche; vielleicht führen sie uns beide bis – wie nannte sie’s – bis zu Rosenhainen oder weiter noch, zu Liebeshimmeln.

„Bohuslav!“

„Herr Baron?“

„Ein Glas kaltes Wasser!“

So – und jetzt ist es Zeit, wieder ernstlich zu arbeiten. Lassen wir die ganze Annoncenschreiberei bei Seite!

(Fortsetzung folgt.)




Die deutsche Doppelwacht.[1]
(Als Antwort auf Skobeleff’s Brandrede.)
Motto: 

Oesterreich und deutsches Reich,0 0
Zwei Seelen und Ein Gedanke! 
Deutsches Reich und Oesterreich,     
Zwei Herzen und Ein Schlag!  0


Vom Kölner Dom zum Stephans-Thurm
Welch feierliches Rauschen!
Sind’s Geisterstimmen, die im Sturm
Heilige Eide tauschen?
Vorüber ist der alte Zwist;
Geeint sind wir auf’s Neue;
Es scheitert fremde Macht und List
An uns’rer Brudertreue.
  Treu halten wir im Vereine,
  Die Schwerter bereit zur Schlacht,
  Wir an dem grünen Rheine,
  Ihr an der blauen Donau Wacht!

Wir sind entsprossen Einem Blut,
Und Einer Sitte Fahnen
Sind anvertrauet uns’rer Hut
Von unsern deutschen Ahnen.
Vier Augen weih’n mit ihrem Blitz
Die Schwerter uns zum Streite:
Es lebe hoch der alte Fritz
Und Joseph hoch der Zweite!
  Treu halten wir im Vereine,
  Die Schwerter bereit zur Schlacht,
  Wir an dem grünen Rheine,
  Ihr an der blauen Donau Wacht!

Ob es auch wanderlustig rinnt
Zuletzt durch fremde Lande,
Gesprungen kommt das Donaukind
Vom deutschen Vaterlande.
Es bleibt die Donau treu dem Rhein,
Dem Bruder treu die Schwester:
So soll auch uns’re Liebe sein,
Uns binden fest und fester.
  Treu halten wir im Vereine,
  Die Schwerter bereit zur Schlacht,
  Wir an dem grünen Rheine,
  Ihr an der blauen Donau Wacht!

Im Pulverdampf, im Arbeitsschweiß,
Im Kriege wie im Frieden,
Wir ringen nach dem Siegespreis,
Der uns’rer Treu beschieden.
Und droht’ uns Ost und West zugleich,
Fest stehen wir zusammen,
Das deutsche Reich und Oesterreich,
In Einer Liebe Flammen.
  Treu halten wir im Vereine,
  Die Schwerter bereit zur Schlacht,
  Wir an dem grünen Rheine,
  Ihr an der blauen Donau Wacht!

Leipzig.   Herman Semmig.


  1. Geschrieben 1880 zur hundertjährigen Feier der Thronbesteigung Joseph’s des Zweiten.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_164.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)