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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Sie gehen fort?“ rief sie verwirrt und erhob sich plötzlich mit einer so heftigen Bewegung, daß das Paket von ihrem Schooße zur Erde fiel.

War sie schon weicher geworden bei den ersten Worten seiner Abbitte, so hatte sie jetzt über den einen Gedanken: er verläßt uns! alles vergessen, was zwischen ihr und ihm lag. Er, der alte treue Freund, der Gespiele ihrer Jugend, er war da, um Abschied von ihr zu nehmen. So unvorbereitet, so plötzlich! War es denn möglich? Und es stürmte in ihr – sie kannte sich selbst nicht mehr.

„Heute noch,“ beantwortete er ihre Frage, indem er das Paket aufhob und auf den Tisch legte. „Ich habe mich nach reiflicher Ueberlegung denn doch für den Antrag des Ministers entschlossen. Er drängt, und so habe ich die telegraphisch geführten Verhandlungen mit der Zusage abgeschlossen, noch diesen Abend zu reisen. Meine Geschäfte sind bereits übergeben, und mein kleines Hauswesen kann später leicht aufgelöst werden. Die Raschheit erleichtert mir den Abschied.“

„Wann haben Sie denn diesen Entschluß gefaßt, so schnell, so ganz unvermuthet?“

„Gestern. Und es war, wie ich sagen muß, ein guter Genius, der mir ihn eingab.“

„Ein guter Genius?“ fragte sie. Sie verstand, daß sie es war, welche ihn forttrieb, und eine schwere Last fiel ihr auf’s Herz. „Aber Sie sagten doch, nur ein Wunder könne –“

Doch da stockte sie schon wieder.

„Ein Wunder!“ wiederholte er mit eigenthümlicher Betonung. „Ja, ein Wunder,“ und wehmüthig lächelnd sah er vor sich hin. Er nickte und seufzte in sich hinein.

„Nur unter gewissen Verhältnissen konnte mir mein Verbleiben wünschenswerth erscheinen – aber man ändert oft schnell seine Entschlüsse. Nehmen Sie an, ich sei plötzlich ehrgeizig geworden – das ist ja die letzte Leidenschaft, welche sich bei dem alternden Manne einstellt.“

„Sie können uns verlassen?“ fragte sie vorwurfsvoll.

„Gehen Sie denn nicht auch?“ fragte er zurück.

Hülflos sah sie ihn an.

Das Schmerzliche der Situation trat lebhaft vor ihre Seele. Jetzt wußte sie wieder, was geschehen war, und wie es sich Ring an Ring gefügt. Der Schreck krampfte ihr die Brust zusammen; sie glaubte vergehen oder bei Meinhard Zuflucht suchen zu müssen.

Zitternd faltete sie die Hände und preßte sie gegen die Brust.

„O, was hab’ ich Ihnen gethan!“ stammelte sie. „Und Sie sind so gut – so gut, und lassen es mich nicht mit einem einzigen Worte empfinden. Sie hätten ein Recht, mich zu verachten, mich bis in den Staub zu demüthigen, daß ich Sie wie eine Wahnsinnige beleidigte. Ich weiß, daß Sie mir niemals verzeihen können –“

„Hilda, machen Sie mir den Abschied nicht schwer!“ unterbrach er sie. „Hätte ich einen Groll gegen Sie gehegt, so würde ich hier nicht eingetreten sein und nicht so gesprochen haben, wie ich es that. Noch einmal alles Gute Ihnen – –“

Er hielt inne.

Er vermochte nicht länger in die thränenerfüllten, flehend auf ihn gerichteten Augen zu blicken, vor denen er seine ganze gewaltsame Fassung schwinden fühlte.

„Sagen Sie mir ein kurzes herzliches Lebewohl!“ bat er, und als sie schwieg, da ergriff er ihre immer noch gefalteten Hände – sein Gefühl übermannte ihn; er schlang den Arm um sie, zog sie an sich und küßte ihre Stirn.

„So viel wird ja dem Freunde nicht verwehrt sein,“ flüsterte er mit bebender Stimme. „Lebe wohl, Hilda!“

(Fortsetzung folgt.)




Allerlei Hochzeitsgebräuche.

Nr. 1.0 Verlobung und Trauung in Steiermark.


Die deutsche Sprachgrenze Steiermarks zieht sich durch jenen Theil des Landes, den man gewöhnlich Mittelsteiermark nennt, nach Kärnten einerseits und nach Kroatien andererseits. Nördlich von dieser Linie finden wir überall unverfälschtes, kerndeutsches Volksthum, kräftig und stark entwickelt. Hier hat sich die Sitte der Väter seit vielen Jahrhunderten erhalten und macht sich heutzutage noch vielfach bemerkbar, besonders aber in alten Wortformen, Sprüchwörtern, Wendungen und Ausdrücken.

Die Bewohner von Deutsch-Steiermark bedienen sich der baierisch-österreichischen Mundart, und nur an der erwähnten Grenze des deutschen Elementes zeigt sich in der Modulation der Stimme und im Gebrauche einzelner Worte ein verschwindender Einfluß der slovenischen Nachbarn. Dasselbe gilt von den verschiedenen volkstümlichen Gebräuchen, deren sich noch immer eine reiche Zahl im Landvolke – dies ist ja allein Bewahrer des Altherkömmlichen – erhalten haben.

Ganz eigenartige Volksgebräuche leben besonders in dem oben angedeuteten Grenzgebiete des deutschen Stammes, und es dürfte von Interesse sein, hier einiger Hochzeitsbräuche zu gedenken, die, wie so manche andere, noch auf den Ursprung aus längst vergangener Zeit hinweisen.

Die Gegend von Wildon, Stainz, Leibnitz, Eibiswald und Mureck ist hier vor Allem in’s Auge zu fassen, wie auch Gleisdorf, Fürstenfeld , Radegund fast dieselben Gebräuche aufweisen, welche übrigens selbst mit denen im hochgebirgigen Norden der Mark Vieles gemein haben.

Wir leben in einer nüchternen, klugen Zeit, und so sind es, wie überall, so auch in der schönen Steiermark meistens praktische, pecuniäre Interessen, welche heute die Brautleute zusammenführen. Von der künftigen Hauswirthin, welche die bald umfangreiche, bald kleinere Bauernwirthschaft zu führen hat, wird verlangt, daß sie diese Führung versteht, wohl auch einiges Vermögen besitzt. Die Romantik einer Heirath aus Liebe findet sich bei den steierischen Landleuten immer seltener. Niemals geht der junge Mann selbst werben, sondern, wie in vielen anderen Gebieten Deutschlands, besorgt dies der Brautwerber, in ganz Steiermark „Bittelmann“ genannt. Oefter kommen auch zwei „Bittelleute“ vor. Es sind gewöhnlich ältere Freunde des Hauses, die sich zu den Eltern des Mädchens begeben und oft mit scheinbar großer Verwunderung von diesen empfangen werden. Die Angelegenheit zwischen dem Bittelmann, den Eltern und dem Mädchen findet jedoch zumeist ihren gewünschten günstigen Abschluß.

Hat der Bittelmann die Zusage empfangen, so wird ein Tag verabredet, an welchem die Braut mit ihren Eltern und etwa noch einigen Freunden des Hauses zum Hause des Bräutigams auf die „Bschau“ geht, das heißt sich den Stand seiner Wirthschaft, der Gebäude, seines Kellers und Stalles beschaut. Natürlich wird der Bräutigam für diesen Fall Alles auf’s Glänzendste herausputzen, und es kommt sogar vor, daß er bei Nachbarn sich besonders schöne Stücke leiht, um sie als die seinen auszustellen. Hier werden nun die besonderen Punkte wegen der Mitgift ganz in Ordnung gebracht, und dann erfolgt das „Versprechen“, die eigentliche Verlobung. Sowohl bei der „Bschau“ wie auch beim „Versprechen“ geht es natürlich ohne ein Mahl nicht ab, an dem „Versprechmahl“ nehmen jedoch nur die Brautleute, die zwei „Beistände“ – meist sind dies die Bittelleute – und die beiderseitigen Eltern Theil.

Alsdann werden beim Pfarramte die nötigen Schritte eingeleitet, und das Brautpaar begiebt sich einige Male zum Geistlichen, um über die religiöse Bedeutung der Ehe, welche nach katholischem Glauben ein Sacrament ist, genau unterrichtet und geprüft zu werden. Nachdem dies geschehen, erfolgt die Einladung zur Hochzeit durch den „Hochzeitlader“. Dieser ist eine wichtige Person; in festlichem Gewande, einen Haselstock in der Hand, am Rocke und Hute einen gewaltigen Blumenstrauß mit flatternden rothen Seidenbändern, begiebt er sich zu denjenigen Personen, welche eingeladen werden sollen, und da diese oft stundenweit aus einander wohnen, so muß er häufig schon vierzehn Tage vor der Hochzeit mit den Einladungen beginnen. In jedem Hause, in das er entsandt wird, spricht er seinen Ladungsspruch, welcher seine bestimmte Formel hat. In Obersteier ist er nicht selten in Reimen abgefaßt, im Mittellande, von dem hier vorzugsweise die Rede ist, aber lautet er etwa:

„Grüaß Gott, meine liebn Leut! I kimm (komme) mit aner schian (schönen) Bitt. Seids denna so guat, thuats den Brautleute

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_156.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)