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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zehnmal im Jahre das Leben Victor Hugo’s, Gambetta’s, Zola’s und Sarah Bernhardt’s zu schildern, thäten wir wahrlich besser daran, wir zögen die Verdienste der Unsrigen an’s Licht; statt dem Nichtigen und Unbedeutenden aus dem Leben großer Todten nachzujagen, sollten wir lieber die Aufstrebenden unter unseren Zeitgenossen zu muthigen Geistesflügen ermuntern. In dem Streben nach Vollkommenheit soll eine Nation von der andern lernen, und wir wollen und müssen auch von Frankreich lernen, das darf aber nicht auf Kosten unserer eigenen Kunst, unserer eigenen Literatur, unserer eigenen Wissenschaft geschehen; wir dürfen mit Frankreich als ebenbürtige Rivalen in die Schranken treten und müssen alle Kräfte anspannen, um auf dem geistigen Gebiete von keiner Nation überflügelt zu werden.

R. Elcho.     




„Die Lerche des deutschen Frühlings“.
Von Fr. Helbig.

Es war eine sinnige That, als baierische Kammerdeputirte ihrem einstigen Collegen, dem am 22. Januar dieses Jahres verstorbenen Joseph Völk in Augsburg, einen Kranz auf den Sarg legten, der neben Lorbeeren, den Blättern des Ruhmes, auch Schneeglöckchen, die Blumen des Frühlings, enthielt. „Es will Frühling werden in Deutschland,“ hatte er, den sie hier in ein frühes Grab senkten, im Wonnemonat des Jahres 1868 vorahnend ausgerufen – ein Wort, das ihm später den sinnreichen Ehrennamen, „die Lerche des deutschen Frühlings“ eintrug. Und in den Lenz- und Honigmond des neuerstandenen Reichs hinein fallen auch die Tage von Völk’s Ruhm und seiner unbeirrten Größe. Als aber der Sommer gekommen, als die heiteren Flitterwochen der jungen Einheit und Freiheit vorüber und die herben Tage des ehelichen Zwistes, der Streit zwischen Haupt und Gliedern, erschienen waren, da fing der feste Mann an zu wanken und zu schwanken, und der energische Kopf verlor das sichere Fühlen.

Völk war wie so Viele, deren politische Thätigkeit sich zurückdatirt bis vor die achtundvierziger Jahre, bis in die Zeiten des Harrens und Sehnens, ein Idealpolitiker. Er trieb die Politik nicht blos mit dem Verstande, er trieb sie noch weit mehr mit dem Herzen, und solchen Politikern geschieht es nur zu oft, daß die ewig rollende Woge der Zeit ihnen einen Conflict vor die Füße wirft, dem wohl ihr Kopf, nicht aber ihr Herz gewachsen ist; sie können von den alten Idealen nicht loskommen und opfern lieber ihre eigene politische Existenz, als auch nur ein Theilchen jener Ideale. Es liegt eine herbe Tragik in dem Schicksal dieser Märtyrer, eine Größe, der wir, wie allem echt Tragischen, unsere Theilnahme nicht versagen können.

In der That breitet sich denn auch Völk’s politisches Leben vor uns aus wie ein Drama. Es hat seinen Aufstieg zur Höhe, seine Umkehr und seine Katastrophe, aber die letztere ist, da das rein menschliche Ende nicht als solche erscheint, noch nicht eingetroffen, nein, sie bereitet sich erst für die nächste Zeit vor. Der Held des Einzeldramas hat den Eintritt der politischen Katastrophe nicht mit erlebt, und wie im ernsten Drama die aufsteigenden Acte immer die wohlthuendsten sind, da sie den Helden noch in seiner Reinheit und der Freiheit von Irrthum und Fehler zeigen, so sind sie es auch in dem Drama, das wir hier zu entwickeln gedenken, im Lebensdrama: „Völk“. Sie vor Allen machen uns den Mann lieb und werth und legen uns die Pflicht auf, an seinem frischen Grabe nicht wort- und theilnahmlos vorbeizugehen.

Joseph Völk war – um hier nur einige Daten aus seinem vielbewegten äußeren Leben kurz zu berühren – am 9. Mai 1819 in Mittelstetten bei Augsburg geboren und hatte in den Jahren 1838 bis 1842 in München Jura studirt und mit einer Preisschrift über die „Handlöhne“ den juristischen Doctorgrad erworben. Drei Jahre später beginnt mit seiner selbstständigen Praxis als Rechtsanwalt auch schon sein Eintritt in’s politische Leben. Der sechsundzwanzigjährige Advocat wurde als Vertreter des Kreises Günzburg in den baierischen Landtag gewählt. Er hat seinen Sitz dort innebehalten durch die Stürme der kommenden Zeit hindurch und vom Anfange bis zum Ende alles Reaktionäre in Staat und Kirche, alle die vielfachen antinationalen Bestrebungen im Schooße der Ministerien und der in Baiern allzeit besonders mächtigen Ultramontanen mit siegreichem Worte bekämpft.

Zu der Zeit als die deutsche nationale Bewegung in Fluß kam, Ende der fünfziger Jahre, gründete er als Pendant zu dem in Norddeutschland gestifteten „Nationalvereine“ mit seinen baierischen Collegen Marquardt, Barth und Brater eine „deutsche Partei“ und suchte in der baierischen Kammer durch seinen auf die Reform der Bundesverfassung gerichteten Antrag vom 14. August 1859 den Bestrebungen jener Partei ein reales Ziel zu stecken – damals freilich ohne Erfolg.

Aber auch unmittelbar im Volke suchte er den nationalen Gedanken wach zu halten und vor der feindlichen Gegenströmung zu schützen. Auf den Festen und in den Volksversammlungen, an denen jene Zeit so überreich war, warf er die zündenden Feuerströme seiner Worte in die Massen hinein; war er doch durch die Gewalt seines Organs, durch das Imponirende seiner Erscheinung, durch die Volksthümlichkeit seines Wesens, die Energie seines Vortrags und die Wärme seiner Empfindung ein Volksredner im besten Sinne des Wortes.

Die deutschen Abgeordnetentage fanden in ihm einen regen Theilnehmer. Seine Rede auf dem Frankfurter Tage am 20. Mai 1866 als Referent über die Frage der Neutralität der deutschen Mittelstaaten steigerte sich zur Bedeutung eines geschichtlichen Moments. Mit kühner Initiative, mit männlicher Unerschrockenheit und zugleich als geschickter Anwalt für seine Sache suchte er in jener Rede die damals mächtig angefachte mißtrauische Antipathie des deutschen Südens gegen das aufstrebende Preußen zu erdrücken.

Als dann das baierisch-österreichische Bündniß durch den Majoritätsbeschluß der Kammern dennoch zur Thatsache geworden war, strebte er dem damaligen Minister von der Pfordten als Resultat desselben wenigstens die Aufstellung eines deutschen Reformprojects abzugewinnen. Auch hier vergebens. Und als nun durch den Ausgang des sechsundsechsziger Krieges die Bahn des Anschlusses an Norddeutschland geebneter erschien, da war die Zahl der Feinde eher noch gewachsen als gemindert; denn es war nicht blos die sogenannte patriotische Partei, besser gesagt die des Adels und der Ultramontanen, sondern auch die Partei der Radikalen, welche sich dem Anschlusse Baierns an die norddeutschen Staaten feindlich entgegenstellten.

Mit gewaltiger Hand erdrückte Völk die letztere noch in ihrem Werdeprocesse, ehe sie bis zu der Macht emporstieg, welche sie in dem benachbarten Württemberg errang. Dann gelang es dem vereinten Mühen Völk’s und seiner Freunde, die Majorität der Abgeordnetenkammer für den Zollvereinsantrag und das Schutz- und Trutzbündniß mit dem norddeutschen Bunde zu gewinnen. Dieser Beschluß, den ein damaliges baierisches Volksblatt in einer die Zeitströmung kennzeichnenden Weise als den „Begräbnißact des baierischen Selbststands und Lebenswohls“ bezeichnete, wurde zugleich ausschlaggebend für das zögernde Schwabenland, und es war besonders Völk’s Kammerrede vom 27. October 1867, welche den entscheidenden Erfolg herbeiführte.

Der Wahlkreis Immenstadt-Kempten sandte Völk in’s deutsche Zollparlament. Dort hielt er am 28. Mai 1868 die Eingangs erwähnte Frühlingsrede, in welcher er die Ueberbrückung der Mainlinie nur als eine Frage der Zeit, als eine halb und halb schon vollzogene Thatsache bezeichnete. Völk’s warmes Eintreten für die nationale Einigung von Süd und Nord blieb, wie man bestimmt behaupten kann, nicht ohne Einfluß auf die rasche Entschließung Baierns in dem kritischen Momente des Jahres 1870.

Die Ränke der Jesuiten und Ultramontanen hatten es indeß zuwegs gebracht, daß Völk in seinem alten Wahlkreise nicht wieder gewählt wurde. Dafür wählte ihn sein heimisches Augsburg. Aber schon bei der ersten Wahl in’s deutsche Reichsparlament fiel ihm sein alter Allgäuer Wahlkreis, den er scherzend als den „höchsten im Reiche“ bezeichnete, wieder zu.

Im deutschen Parlamente gründete Völk in Verbindung mit seinen süddeutschen Genossen Marquardt, Fischer, Barth und Fürst Hohenlohe die „liberale Reichspartei“. Als indeß die alten Freunde bei den Neuwahlen im Jahre 1874 sich nicht wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_134.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)