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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

wenn sie wie der Bär im Winterschlafe das Fett aus den eigenen Pfoten saugte.

Dafür, daß jede neue Regung auf dem geistigen Gebiete recht deutlich bemerkt werde, sorgt die französische Presse. Uns in Deutschland würde es befremden, wenn ein berühmter Bühnendichter oder Romancier in der Tagespresse das Leben und Wirken eines minder bedeutenden Collegen schilderte. Alphonse Daudet aber schreibt ein hübsches Feuilleton über den Possendichter Goudinet; er schildert einem Wiener Journale den Lebensgang und die Bedeutung Edmond de Goncourt’s und nimmt sich anderer Collegen im Auslande an. Zola rühmt seine Nachahmer und fördert sie in Paris wie im Auslande. In einem Petersburger Journale kritisirte er die französischen Romantiker in nicht eben freundlicher Weise, aber er weckte damit doch das Interesse der dortigen Gesellschaft für französisches Geistesleben. Der Einwand, daß die weite Verbreitung ihrer Sprache den Franzosen einen mächtigen Vorschub leiste, ist hinfällig; denn auch das deutsche Sprachgebiet ist ein sehr weites. Deutsche Journale sind außer in Deutschland und Oesterreich bekanntlich auch in der Schweiz, in Rußland, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, ja in Australien in reicher Zahl zu finden, und wir könnten weithin wirken für deutsche Capacitäten auf dem künstlerischen, dem wissenschaftlichen und industriellen Gebiete, wenn wir ernstlich wollten. Nur zu oft aber helfen wir, statt zunächst an uns selbst zu denken, den Einfluß der Franzosen fördern.

Auf der Eselsbank. 0Nach dem Oelgemälde von Gustav Igler.

Deutsche Schriftsteller fühlen sich weit eher veranlaßt, amerikanischen Journalen über Daudet und Zola, über Gambetta und Grévy, als über Spielhagen und Schweichel oder über Eugen Richter und Bismarck zu berichten. Sind wir denn so arm an neuen Kunstwerken, sinnreichen Erfindungen, Forschern und Politikern, daß wir nach den großen Städten Amerikas, nach Zürich und Petersburg unsere Anschauungen über „Nana“ berichten müssen? Fort und fort wird deutsche Tinte verspritzt, um uns Victor Hugo, George Sand, Gambetta, Alphonse Daudet, Gréwy, Labiche und Zola in einer neuen Beleuchtung zu zeigen.

Thäten wir nicht besser, die geistigen Beziehungen mit dem uns so eng verwandten Oesterreich nach allen Kräften zu verstärken? Jeder Berliner hat ein dutzend Mal Victor Hugo schildern hören, aber wie Viele vermögen uns zu sagen ob Robert Hamerling noch lebt oder schon todt ist? Ein Wiener Kunstmäcen, welcher über Meissonier vortrefflich unterrichtet war, erklärte jüngst einem französischen Gaste, welcher Aquarelle des berühmten Berliner Malers Adolf Menzel bewunderte, mit großer Zuversicht, Menzel sei ein ganz talentvoller junger Mann und gehöre der Düsseldorfer Schule an. Wer heute die Wiener Journale liest, muß zu der wenig tröstlichen Ansicht kommen, daß die Kluft zwischen den Deutschen im Norden und jenen Oesterreichs sich mehr und mehr erweitere, und das ist namentlich deshalb der Fall, weil starke französische Einflüsse sich allerorts geltend machen. In den Privattheatern Wiens werden fast alle Pariser Lustspiel- und Possennovitäten vorgeführt, und Sarah Bernhardt’s Gastspiel verfolgt man bis Jassy und Odessa hin mit derselben Sorgfalt, als handle es sich um eine Kaiserreise; sogar ihre Cassenrapporte läßt man sich telegraphisch melden.

Ein Wunder ist es freilich nicht, daß man in Deutschland und Oesterreich französische Schriftsteller so gern bei sich einkehren

sieht; denn jene prunken niemals mit Gelehrsamkeit, sondern machen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_132.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)