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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

in’s Leben zu rufen, wie sie in allen Nachbarstaaten in Blüthe stehen. Es wurde dabei hervorgehoben, wie verhältnißmäßig wenig in Deutschland die Heilkraft der Nordseeluft und des Nordseebades in ihrer vollen Bedeutung erkannt werde und wie doch durch die große Anzahl der Nordsee-Inseln die reichste Gelegenheit gegeben sei, diese Heilkraft zu verwerten. Der gestellte Antrag fand einstimmige Unterstützung, und es wurde sofort eine Commission gewählt, welche die Ausführung des Planes in nähere Erwägung ziehen sollte. Mitglieder dieser Commission waren die Herren Geheimer Medicinalrath Beneke, Sanitätsrath Dr. Fromm, erster Bade-Arzt auf Norderney, Professor Ewald, Professor Liebreich und Dr. Zuelzer in Berlin, sowie Professor Mosler in Greifswald. Die Commission erweiterte sich dann alsbald zu einem „Comité zur Errichtung von Kinderheilstätten an der Nordsee“, das die Namen der hervorragendsten Aerzte und akademischen Lehrer Deutschlands in sich vereinigte. Dieses Comité erweiterte sich noch im Jahre 1880 durch den Hinzutritt einer Anzahl angesehenster Männer aus den verschiedensten Berufskreisen zu einem aus fünfundsiebenzig Mitgliedern bestehenden Gründungscomité, welches am 3. April 1881 seine erste Generalversammlung in Berlin hielt.

Die Aufgabe, welche sich das Comité gestellt hatte, galt, dem ursprünglichen Antrage entsprechend, zunächst nur der Errichtung von Kinderheilstätten an den Küsten der Nordsee. Aber schon im September 1880 ging ein von einundvierzig Aerzten der baltischen Provinzen unterzeichneter Antrag bei dem Comité ein, die Ostseeküsten in den entworfenen Plan mit aufzunehmen und auch für diese die Errichtung von Kinderhospizen in’s Auge zu fassen.

Obwohl die Aufgabe des ursprünglichen Comités damit eine erheblich größere und schwierigere wurde, beschloß die Generalversammlung vom 3. April 1881 dennoch, den Antrag der baltischen Aerzte anzunehmen, und es constituirte sich nunmehr das Comité zu einem „Verein für Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten“ unter Feststellung eines Statuts und Einsetzung eines für das Jahr 1881 bis 1882 geschäftsführenden Vorstandes, bestehend aus Geheimen Medicinalrath Professor Beneke in Marburg, Professor Dr. Ewald in Berlin (Königgrätzerstraße 125) und Bankdirector Thorade in Oldenburg.

Seit fast einem Jahre ist dieser Verein nun in Thätigkeit, und in einem Aufruf hat sich derselbe zunächst an die weitesten Kreise Deutschlands mit dem Ersuchen gewandt, sein im reinsten nationalen Interesse begonnenes Unternehmen durch Geldbeiträge zu unterstützen. Der Verein will für keinen einzelnen Ort, für keine einzelne Provinz, für kein einzelnes Bundesland, sondern für das ganze Deutschland arbeiten, um alljährlich Hunderten von schwächlichen, scrophulösen oder zur Schwindsucht disponirten Kindern und jugendlichen Personen die Heilkraft der deutschen Seeküsten zu erschließen.

Freilich eine große, sehr große Aufgabe! Aber unter dem Beistande der ganzen Nation ist dieselbe dennoch bald zu lösen, und der Segen, welchen die zu gründenden Hospize über die deutsche Jugend verbreiten werden, wird dann in weiten Kreisen Anerkennung finden. Mit leuchtendem Beispiele ist in der Unterstützung der Vereinsbestrebungen die deutsche Kaiserin vorangegangen, und der deutsche Kronprinz und die Kronprinzessin haben das Protectorat über den Verein übernommen, der sich die Errichtung von Hospizen auf Norderney, in Wyck auf Föhr, in Groß-Müritz und in Zoppot als nächste Ausgabe gestellt hat; in zweiter Reihe werden Borkum und Sylt an der Nordsee und ein dritter noch nicht näher bestimmter Platz an der Ostsee folgen.

Für Norderney ist das größte aller Hospize bestimmt, weil Zugänglichkeit der Insel, Vorhandensein ärztlicher Kräfte, leichte Möglichkeit der Beschaffung aller Bedürfnisse etc. derselben den ersten Platz einräumen. Man beabsichtigt aus Norderney ein Hospiz für zweihundertundfünfzig Betten zu errichten, welches einen Kostenaufwand von circa 350,000 Mark erfordern wird. In der Voraussicht, daß diese Aufgabe erst im Laufe einiger Jahre gelöst werden kann, ist auf Norderney zunächst ein provisorisches Hospiz mit dreißig Betten eingerichtet, und dieses wird bereits gegen Ende Mai dieses Jahres zur Aufnahme von Kindern und jugendlichen Kranken bereit stehen. In Wyck auf Föhr ist nach getroffener Vereinbarung mit dem Diakonissenhause in Flensburg sofort ein Neubau in Angriff genommen worden, welcher einen Kostenaufwand von 60,000 Mark erforderlich macht. Derselbe soll Raum bieten für fünfzig bis sechszig Kinder, zehn Pensionäre und zehn bis fünfzehn Feriencolonien-Kinder. Der Bauplan ist vom Herrn Regierungsbaumeister Andersen in Flensburg entworfen, und der Bau selbst wird unter dessen Leitung noch in diesem Jahre vollendet werden.

Während auch für Groß-Müritz ein Neubau projectirt wird und die Pläne zu demselben gegenwärtig ausgearbeitet werden, ist für Zoppot durch die Zuwendung eines Legates von sechstausend Mark seitens des verstorbenen Fräuleins Louise Abegg in Wiesbaden der erste Grund für ein Hospiz gelegt. An jedem der genannten Orte ist der Verein durch ein Localcomité vertreten.

Die Generalcasse des Vereins befindet sich bei der Spar- und Leihbank in Oldenburg unter Leitung des Bankdirectors Thorade, und durch die jährliche Zahlung von zehn Mark oder einmalige Zahlung von hundert Mark wird die Mitgliedschaft des Vereins erworben. Die Zuwendung von dreitausend Mark berechtigt für Lebenszeit zur Disposition über ein Bett in einem der bestehenden Hospize, und zwar alljährlich für die Dauer von sechs Wochen, und das in dieser Weise gestiftete Bett trägt den Namen des „Stifters“.

Bereit zur Entgegennahme von Beiträgen sind außer den oben genannten derzeitigen Mitgliedern des Vorstandes die Herren Geheimer Medicinalrath Dr. Mettenheimer in Schwerin und Geheimer Sanitätsrath Dr. Abegg in Danzig für die Ostseehospize, Apotheker Ommen und Gemeindevorsteher Kuhlmann aus Norderney, Landvogt Forchhammer, Dr. Gerber und Kaufmann Martens in Wyck auf Föhr und Landvogt Hübbe in Keitum auf Sylt für die Nordseehospize.

Für geregelte ärztliche Aufsicht ist in allen Hospizen gesorgt, wie auch regelmäßige jährliche Berichte nicht nur über die Verwaltung derselben, sondern auch über die Behandlung einzelner Krankheitszustände und die bei derselben erzielten Erfolge ertheilt werden sollen; dieselben haben nicht nur als Rechnungsablage zu dienen, sondern auch einen klaren Einblick zu gewähren in den thatsächlichen Nutzen, den die Hospize schaffen, und werden in dieser Weise der medicinischen Wissenschaft selbst zu Gute kommen.

Es ist ein beklagenswerther Mangel bei vielen deutschen Wohlthätigkeitsanstalten, daß die Vorstände derselben, um die Druckkosten zu sparen, dem unterstützenden Publicum so selten genügende Berichte zugehen und dieselben namentlich nicht zu einer Quelle der Belehrung werden lassen. Der Segen, namentlich von Hospitälern, kann durch derartige wahrheitsgetreue und ungeschminkte Berichte verdoppelt werden. Auf die Herstellung dieser Berichte wird der Verein für Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten deshalb eine besondere Sorgfalt verwenden.

Möge das menschenfreundliche Unternehmen denn auch in dem großen Leserkreise der „Gartenlaube“ der teilnehmenden Förderung empfohlen sein! Die Statuten des Vereins haben die Bildung von „Bezirksvereinen“ für die Gründung von Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten vorgesehen, und wo immer Freunde der Sache geneigt sind, solche Bezirksvereine zu bilden, wird denselben von jedem Mitgliede des Vorstandes dankbar die Hand geboten und alles erforderliche Material zugestellt werden. Wenn sich die Hoffnung, daß der Verein in weitesten Kreisen Anerkennung finden möge, erfüllt, so ist die Gewißheit vorhanden, daß in wenigen Jahren die deutsche Nation gleich ihren Nachbarnationen sich im Besitze einer Reihe von Gesundheit und Leben rettenden Seehospizen befinden wird. – Die Tragweite der Wirksamkeit dieser Hospize wird eine noch beträchtlich größere werden, nachdem eben in diesem Winter auf Norderney der Beweis geliefert worden ist, daß sich die Heilkraft des Nordsee-Inselklimas weit über die Badezeit, das heißt die Zeit der sogenannten officiellen Saison, hinaus erstreckt. Bei der Einrichtung der Hospize auch für die Spätherbst- und Winterzeit werden dieselben nahezu das ganze Jahr hindurch Kranke aufzunehmen im Stande sein und einer um so größeren Anzahl von Kindern zu Nutzen kommen. Die Zugänglichkeit Norderneys wird durch die im Herbst dieses Jahres bevorstehende Eröffnung der Eisenbahn von Emden nach Norden um ein Beträchtliches erleichtert werden, und so trifft eine Anzahl von Umständen zusammen, um der Entwickelung des dortigen Hospizes ein günstiges Prognosticon zu stellen. Was der einzelnen Kraft unmöglich ist, wird der vereinten Arbeit auch hier zum Segen des Vaterlandes gelingen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_128.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)