Seite:Die Gartenlaube (1882) 127.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und den ganzen Fußboden der überaus langen Louvregallerie bedeckte. Die Fabrik der Savonnnerie war stets mit Arbeiten überhäuft, da alle königlichen Gemächer, sammt den Treppen, mit reichen „türkischen“ Teppichen belegt wurden und weil ferner dieselben sich ziemlich schnell abnutzten und deshalb oft erneuert werden mußten.

So reichten denn unter Ludwig dem Vierzehnten die Producte der Savonnerie nicht mehr aus, und 1614, zwei Jahre nach Errichtung der Gobelin-Manufactur, wurde daher von Colbert eine zweite königliche Teppichweberei in Beauvais errichtet, die heute noch, wenn auch unter anderen Verhältnissen als zur Zeit ihrer Gründung, besteht und die herrlichsten Producte aller Art Weberei liefert. Die Savonnerie arbeitete bis zur Revolution fort, wo sie nur noch vegetirte. Unter Napoleon hob sie sich zwar wieder, doch Ludwig der Achtzehnte ließ sie eingehen, und 1825 wurden ihre Arbeiter denen der Gobelin-Manufactur zugesellt.

Die Gallerie der Gobelins, welche heute, nach dem Brande unter der Commune, nur 85 Nummern umfaßt, besteht genau zur Hälfte aus Erzeugnissen der Savonnerie, welche allerdings meistens aus neuerer Zeit stammen. Doch enthält das „Mobilier National“, das frühere „Garde-Meuble de la Couronne“, unter vielen anderen kostbaren kunstgewerblichen Gegenständen noch eine überaus große Anzahl von prachtvollen Teppichen und Tapeten.

Wer die Gobelin-Ausstellung besucht hat, der wird an der Hand obiger Daten sich den Genuß in’s Gedächtniß zurückrufen, den ihm der Anblick der herrlichen gewirkten Tapeten und Teppiche bereitet hat. Wer aber die Ausstellung noch nicht gesehen, der möge sich durch die hier gemachten Mittheilungen angetrieben fühlen, bei einem Besuche der Seinestadt an den Gobelins nicht vorüberzugehen; denn wenn auch heute in kleineren Verhältnissen, so gehört die Gobelin-Manufactur doch immer noch zu den anziehendsten Sehenswürdigkeiten von Paris, da ihre Tapeten und Teppiche unbedingt die künstlerisch schönsten und auch historisch interessantesten sind, welche existiren.


Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten.

Es ist in Deutschland wenig bekannt, welch hohen Werth unsere Nachbarnationen auf ihre Nordseebäder legen, mit welcher Rücksicht auf möglichsten Comfort diese Stationen gepflegt werden und einer wie großen Frequenz sich dieselben erfreuen. Die belgischen und holländischen Hauptstationen Ostende, Blankenberghe und Scheveningen haben in der begüterten deutschen Welt zahlreiche Verehrer. Aber ein Leben und Treiben, wie es sich in den Spätherbstmonaten an der englischen Küste in Brighton, Hastings und St. Leonards, Scarborough und anderen Orten entwickelt, findet man dort noch nicht, und von dem Werthe, welchen englische Familien einem Aufenthalte aus der Insel Wight, in Ryde, Sandown, Shanklin, Bonchurch, Ventnor und anderen Orten beimessen, hat man bei uns zu Lande kaum eine Ahnung.

Noch weniger ist in Deutschland bekannt, wie viel Dankenswerthes an den Seeküsten unserer Nachbarnationen für unbemittelte Kranke geschehen ist. Auf Grund der sicheren und weitverbreiteten Kenntniß von der unschätzbaren Heilkraft der Nordseeluft und des Nordseebades hat man überall an den Seeküsten Hospize geschaffen, welche alljährlich Hunderten die Gesundheit wiedergeben oder schwere Leiden erträglich machen. Mustergültig steht das schon im Jahre 1796 gegründete „National Hospital for the scrophulous poor of all England“ (Nationalhospiz für unbemittelte Scrophulöse von ganz England) in Margate da, mustergültig das Hospital für Schwindsüchtige in Ventnor. Für nicht weniger als drei Millionen Franken ist ferner an der französischen Nordküste in Berck-sur-mer ein Hospital für sechshundert Kranke errichtet, und in Scheveningen bietet die Sophia-Stiftung hundert Kranken Raum, während für Ostende eine halbe Million Franken zur Errichtung eines Kinderasyls und einer Kindercolonie disponibel geworden ist. Im Dänemark besteht ein Kinderhospiz in Refsnäes, und in Italien sind an den verschiedene Küsten gegenwärtig schon zweiundzwanzig Kinderhospize errichtet, nachdem der Segen des ersten derselben, welches im Jahre 1856 von Dr. Barellai in Viareggio gegründet wurde, zu immer neuen Nachahmungen aufforderte. Ein einziges derselben, das man in jüngster Zeit am Lido in Venedig erbaute, zählt allein hundert Betten; es wurde mit einem Kostenaufwande von 170,000 Lire hergestellt und dieser ganze Betrag fast ausschließlich von Privaten, Gemeinden, öffentlichen Instituten, Banken etc. aufgebracht.

Was bieten dagegen unsere deutsche Küsten? Kaum ein einziger Ort an der Nordseeküste hat Einrichtungen aufzuweisen, welche den Aufenthalt an demselben anziehend machen könnten, und unter den vielen deutschen Nordsee-Inseln beginnt auf Norderney, Borkum und Föhr erst eben eine Periode des Aufschwungs. Das Meer ist so reich an Schönheit, an gewaltigen Eindrücken, an heilender Kraft, daß man dafür gern einmal eine Zeit lang andere Naturschönheiten[WS 1] oder einigen häuslichen Comfort entbehrt. Die Oede der Dünen und Dünenthäler wird aufgewogen durch einen Strand, welcher uns täglich mit neuer Wonne erfüllt. Aber es ist nicht abzusehen, weshalb die Wohnungen auf unseren deutschen Inseln und an den Küsten so mangelhaft sein müssen, wie sie es der Mehrzahl nach noch sind. In dieser Beziehung wird durch eine gesunde Speculation noch Vieles besser werden müssen, und wenn die Regierungen es gleichzeitig übernehmen, durch Herstellung gemeinnütziger Einrichtungen nicht nur für die Sicherheit der Inseln selbst, sondern auch für die Annehmlichkeit des großen Verkehrs zu sorgen, so werden zahlreiche deutsche Familien nicht mehr Ostende, Blankenberghe und Scheveningen oder die englische Küste aufsuchen, sondern den deutschen Nordseegestaden zueilen und den Wohlstand dieser Inseln fördern.

Noch weniger als für die wohlhabenden Gesellschaftsclassen ist aber für die unbemittelte Welt an den Seeküsten Deutschlands geschehen. Für diese sind kaum die erste Anfänge gemacht. Auf Norderney existirt seit vier Jahren eine Diakonissen-Pflege-Anstalt für scrophulöse Kinder mit vierundzwanzig Betten, und besteht der Vorstand aus dem Grafen zu Inn- und Knyphausen, dem Ortsprediger Roedenbaek und dem Kaufmann Raß. Ein Arzt ist nicht in den Vorstand aufgenommen. Es sind bis dahin weder ärztliche, noch andere Berichte über die Anstalt erschienen, und man weiß deshalb auch nicht, welcher Art die Krankheitszustände der verpflegten Kinder und welches die Resultate des Aufenthalts derselben in der Anstalt waren.

Eine zweite Anstalt ist seit 1880 von der Flensburger Diakonissenanstalt in Wyck auf Föhr in’s Leben gerufen worden. Dieselbe wurde zunächst in einem gemietheten Locale etablirt und steht unter der ärztlichen Leitung des Comitémitgliedes Dr. Gerber in Wyck, doch auch von ihr sind bisher weder ärztliche noch andere Berichte veröffentlicht worden. In Groß-Müritz an der Ostsee sind in einem Hôtel drei Zimmer mit im Ganzen acht Betten unter ärztlicher Leitung hergestellt, und in Colberg besteht seit einem Jahre ein Institut, das sich „Christliches Curhospital und Heilanstalt für scrophulöse Kinder“ nennt und dreißig Betten für Unbemittelte aufweist; die Direktion dieser Anstalt führt der Geheimrath Dr. von Bünau.

Weitere Hospize an den deutschen Seeküsten existiren, so weit bekannt, nicht. Also: in der einen Anstalt Englands in Margate dreihundertfünfzig, in Berck-sur-mer sechshundert, in Scheveningen hundert, in den Hospizen Italiens gegen achthundert Betten für unbemittelte oder wenig bemittelte Kranke, an der ganzen Nord- und Ostseeküste Deutschlands kaum achtzig Betten!

Es ist nur zu begreiflich, daß sich angesichts dieser Verhältnisse endlich auch in Deutschland eine Bewegung entwickeln mußte, welche sich die Hebung des an den Seeküsten liegenden Heilschatzes in größerem Umfange, als es bisher geschehen ist, sowohl für Bemittelte wie für Unbemittelte zum Ziel steckt. Handelt es sich doch darum, ein Heilmittel zur vollen Anerkennung zu bringen, über dessen Wirkungen gerade in Deutschland auch die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen vorgenommen wurden, während in den benachbarten Ländern fast ausschließlich die Resultate der praktischen Erfahrung das Urtheil sprechen.

Auf der Versammlung in Berlin im April 1880 wurde zunächst vom Geheimen Medicinalrath Professor Beneke aus Marburg der Antrag gestellt, daß die Section für Kinderheilkunde es sich zur Aufgabe machen möge, an der deutschen Nordseeküste ähnliche Kinderheilstätten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Natürschönheiten
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_127.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)