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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Glanze ihrer großen Augen wieder. Was war sie aber auch für eine glückliche Frau geworden in den jüngst verflossenen beiden Jahren, unsere Käthe! Alles, was ihr Herz erhoffen konnte, hatte sie gefunden an der Hand ihres Gatten, zu welchem sie mit derselben Liebe und Hochschätzung emporblickte, wie damals, als ihr Brief den ersten Seligkeitsrausch ihres Liebesglückes in das Vaterhaus trug.

Durch die Stille der Vorstadt erschallte jetzt das Heranrollen eines Wagens, der vor dem Hause anhielt, und bald darauf trat Robert Heine in den Garten.

„Der Großpapa!“ rief Käthe fröhlich, den Kleinen auf den Arm nehmend und mit ihm dem Vater entgegeneilend.

Heine umarmte mit stürmischer Freude zugleich Tochter und Enkel; er lachte in Herzenslust auf, als der Kleine die Händchen ihm entgegenstreckte und vernehmlich „Papa!“ rief.

„Was tausend, er kann schon Papa sagen? Das muß gleich belohnt werden, Du Prachtjunge!“ sagte er und zog eine Düte Confect hervor.

„Du bist auch recht lange nicht bei uns gewesen, Vater; da mußt Du freilich unsern Jungen verändert finden,“ meinte die junge Frau mit mütterlichem Stolz. „Ist er nicht recht gewachsen? Und wieviel hat er inzwischen gelernt! Er fängt schon an zu laufen und zu sprechen, aber so gut er ‚Papa‘ sagen kann, bringt er doch immer noch nicht ‚Mama‘ hervor, wie oft ich es ihm auch vorspreche.“

„Das lernt er schon noch – beruhige Dich darüber, Käthe!“ lachte Heine. „Er wird es Dir nur zu oft vorschreien.“

„Aber ich möchte es so gern schon jetzt hören – ‚Mama‘ müßte doch das erste Wort sein, das ein Kind sagen lernt,“ eiferte sie und nahm aus der Düte ein Biscuit. „Sage Mama, mein Herzenskind – dann bekommst Du das hier.“

Der Knabe drückte das Köpfchen an der Mutter Gesicht, langte begierig nach dem Naschwerk, stammelte aber wieder nur „Papa“ hervor.

„So geh, Robert – Du bist nicht gut,“ sagte sie und übergab den Knaben der Wärterin, und obgleich sie sich nun den Anschein gab, als sei sie erzürnt, sprach sich doch unverkennbar gekränktes Muttergefühl in ihren Mienen aus. „Lassen Sie Robert noch im Sonnenschein herumlaufen, aber seien Sie vorsichtig mit ihm. Er ist gar so ungestüm und lebhaft,“ legte sie noch dem Mädchen an’s Herz. Dann wendete sie sich mit dem Vater zum Gehen, als sie jedoch ein paar Schritte gethan hatte, kehrte sie den Kopf nach dem Knaben unwillkürlich um, und da konnte sie nicht widerstehen: es zog sie zu gewaltig wieder zu ihm zurück. Sie nahm ihn nochmals auf den Arm, herzte und küßte ihn inniglich, als gehe sie auf lange fort, und überließ ihn erst dann wieder der Wärterin.

„Nun aber komm, lieber Vater,“ sagte sie seinen Arm umschlingend. „Ich will mich gar nicht wieder umsehen; sonst komme ich nicht los, und es wird doch Zeit, daß Du Dir es bequem machst und ich Dir eine Erfrischung reiche. Du findest Max noch nicht zu Haus; er ist wie gewöhnlich im Geschäft und kommt erst zu Mittag heim.“

Sie richtete schnell im Gartensaal ein Frühstück her, und mit dem Vater Platz nehmend, fragte sie nach Allem, wie es daheim ergehe, was sie dort getrieben und wie es auf dem Gute aussehe. Heine erzählte von Constanzen und brachte Grüße von ihr; Käthe dankte, aber sie sprach von ihr nur als seiner Frau, ohne das Wort Mutter auszusprechen, wie es denn seit jenem traurigen Tage nicht wieder über ihre Lippen gekommen war.

Die dazwischen liegende Zeit mit all ihrem Glücke hatte nicht vermocht, die Herbigkeit in Katharinens Empfinden zu mildern. So groß und leidenschaftlich auch ihre Zuneigung zu dem geliebten Manne war, in Einem hatten weder Max Reinhard noch ihr Vater Macht über sie, in dem Gefühle tiefer Erbitterung gegen Constanze.

Diese trug den ungeheuren Schmerz ohne Klage, so sehr sie auch in tiefster Seele darunter litt. Ja, sie wehrte sogar Heine’s Eifer, ihr zu ihrem wohlerworbenen Mutterrechte wieder zu verhelfen, dringend ab und bat, Käthe sich hierin selbst zu überlassen.

„Ich sehe nur zu sehr nun ein, daß sie Recht hat zu sagen: was kann aus der Lüge Gutes hervorgehen?“ meinte die unglückliche Frau. „Ich habe dadurch die Tochter verloren und kann sie nicht wieder an mich ziehen, wenn nicht ihr Herz selbst sie wieder zu mir zurückführt.“

So hatte denn Heine damals um so bereitwilliger seine Zustimmung zu der Verbindung mit Reinhard gegeben, den er sehr bald schätzen gelernt. Stiefmutter und Tochter hatten sich nicht wieder gesehen. Es schnitt Heine in’s Herz, den nagenden Kummer seines Weibes zu sehen und dabei sich sagen zu müssen: Du warst der Stärkere, Du hättest hier nicht der Nachgebende sein sollen.

Auch jetzt lastete dieser innere Vorwurf auf ihm, als bei seinen Schilderungen von daheim die trauernde Gestalt Constanzens vor seine Seele trat; sie warf einen tiefen Schatten auf all’ das Glück, das er bei seinen Kindern vor Augen hatte.

„Käthe,“ sagte er da plötzlich, „Du kränkst Dich, daß Dein Bube nicht ‚Mama‘ ruft, und er kann es doch noch nicht, Du denkst aber nicht daran, wie sehr sich Eine grämt, daß Du, die es könnte, nicht ‚Mutter‘ zu ihr sagen magst, und sie liebt Dich doch nicht weniger, wie Du Deinen Buben.“

Sie sah mit feuchtem Blicke auf, als er so zu ihr sprach; denn alles, was an das Band rührte, welches ihr Kind so innig mit ihr verknüpfte, bewegte sie auf’s Tiefste. Ein Widerhall des Vorwurfs, den der Vater aussprach, wollte sich in ihr regen aber er ward übertäubt von einem ungestümen Verlangen, das sie plötzlich nach dem Kinde erfaßte. Ihre Augen wendeten sich nach dem Garten und suchten nach dem Lieblinge, von dem sie sich vorhin so widerstrebend getrennt hatte. Da aber erschrak sie; denn, das Gesicht ihr zugekehrt, kniete die Wärterin an dem Bassin und hielt den Kleinen vor sich, dem sie die Goldfischchen zu zeigen schien. Es mochte ihn das sehr belustigen, man hörte sein fröhliches Kinderstimmchen laut erschallen und seine Händchen suchten darnach hinab zu langen. Das Mutterherz aber erfüllte der Anblick mit heißer Angst.

Schnell trat sie in die offen stehende Thür.

„Gehen Sie mit dem Kinde von dem Wasser fort!“ rief sie dem Mädchen zu.

Bei dem Schall ihrer Stimme horchte der Knabe auf und sah in die Höhe; da erblickte er die Mutter, wie sie dort in dem Rahmen der Thür stand. Er hob die Aermchen verlangend nach ihr auf und heftig vorwärts strebend, als wolle er zu ihr, fand er plötzlich das so oft von ihr begehrte Wort und rief es laut und jubelnd: „Mama!“

Das war der erste entzückende Ruf, nach welchem Käthe’s Herz so lange schon sehnsüchtig gelauscht und der sie nun vor Freude erbeben machte – dann aber mit der Schnelle des Blitzes ein Schrei, ein Fall – und der Knabe war in das Wasser hinabgestürzt.

War es, daß seine Bewegung, wie er jäh und plötzlich vorwärts strebte, zu ungestüm gewesen und daß er sich dadurch aus den Händen der Wärterin riß – war diese durch den Anruf erschreckt und hielt ihn in Folge dessen nicht fest genug – wie dem auch sei, das Kind war ihren Händen entglitten.

Die arme Mutter vermochte keinen Schrei über ihre Lippen zu bringen. Sie flog an die Unglücksstätte, wo die bestürzte Dienerin vergeblich sich mühte. das Kind wieder zu erlangen. Sie warf sich neben dem Mädchen nieder, tauchte die Arme hinab, bis sie das Kleidchen erfaßte und das Kind wieder zu sich emporzuziehen vermochte. Doch so schnell das geschah, der Knabe war starr – die Augen geschlossen, lag er leblos in der Mutter Armen.

Sie drückte ihn krampfhaft an sich, als müßte sie ihn an ihrem Herzen wieder zum Leben erwärmen. Es war ja nicht anders möglich, diese Augen mußten sich doch wieder öffnen und die Mutter ansehen; dieser kleine Mund, der sie noch eben gerufen hatte, konnte doch nicht für immer verstummt sein. Aber umsonst, was sie auch thaten, alle Belebungsversuche, welche sie mit Hülfe des sofort herbeigeholten Arztes anwendeten – umsonst, umsonst – das Kind war todt.

Es war ein gräßlicher Wechsel, ein furchtbar unvermittelter Schritt vom süßesten Glück zu ungeheuerstem Jammer. Und dennoch – während Reinhard und Heine schluchzend auf den bleichen Liebling niedersahen, hielt ihn Katharina fest umschlungen, ohne daß eine Thräne ihre blasse Wange netzte. Sie jammerte nicht, sie klagte nicht – es war eine Erstarrung in ihrem Schmerz, als habe die Hand des Todes sich auch auf sie gelegt und alles Blut und alle Thränen seien darunter zu Eis geworden.

Sie wich nicht von dem Kinde; als müsse sie die Augenblicke nutzen, in denen sie es noch besitzen konnte, hielt sie bei ihm Wache, thränenlos, wortlos, eine Niobe im unendlichen Schmerze. Nur

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