Seite:Die Gartenlaube (1882) 114.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

waren Teppiche ein nothwendiger Schmuck. König Dagobert, welcher 629 die Basilika von St. Denis erweitern ließ, schmückte sie mit prächtigen Teppichen aus, die er wahrscheinlich aus dem Orient hatte kommen lassen.

Die älteste französische Teppichfabrik bestand im zehnten Jahrhundert zu Poitiers[WS 1]; sie versandte sogar ihre Producte weithin, bis nach Italien. Im zwölften Jahrhundert begannen die flamändischen Fabriken haute und basse lisse (hoch- und tiefschäftige) Teppiche zu fertigen, durch welche neue und höchst effectvolle Art der Wirkerei die „saracenische“ Teppichweberei so ziemlich verdrängt wurde. Obgleich nun auch das alte Paris seine Teppich-Weber und -Wirker hatte, so überflügelten doch die flamändischen Städte, besonders Arras, dann Lille, Tournay, Audenarde und Brüssel, die französische Hauptstadt.

Erst mit dem Anfang des sechszehnten Jahrhunderts beginnt in Paris die Tapeten- und Teppichweberei sich überraschend schnell zu entwickeln, und ist dies wohl hauptsächlich dem Umstand zu verdanken, daß die französischen Könige sich dieser Kunst, welche ihnen so herrliche Ausschmückungen ihrer Paläste bot, annahmen. Der erste der Reihe war der ritterliche, pracht- und kunstliebende Franz der Erste. Er gründete im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts eine Fabrik für Tapetenwirkerei in Fontainebleau, seinem Lieblingsaufenthalt, wo er auch andere Künstler, Maler und Bildhauer, wie Benvenuto Cellini, unterhielt.

Sein Nachfolger, Heinrich der Zweite, übertrug die Leitung der Fabrik in Fontainebleau dem berühmten Architekten Philibert de l’Orme und gründete zugleich eine neue Tapetenwirkerei zu Paris im Spital de la Trinité, wo 136 Waisenkinder in verschiedenen Handwerken, von nun an hauptsächlich in der Teppichweberei unterrichtet wurden. Hier wurde unter anderen eine Tapete für die Königin Katharina von Medicis, Gemahlin Heinrich’s des Zweiten, gewirkt, die, aus mehreren Theilen bestehend, dreiundsechszig Ellen lang und vier Ellen hoch war und die Geschichte des Königs Mausolus und der Artemisia darstellte. Karl der Neunte errichtete eine ähnliche Fabrik in Tours, und Heinrich der Vierte vereinigte die verschiedenen unter Heinrich dem Dritten mehr oder minder vernachlässigten Fabriken und verlegte sie nach der Faubourg St. Antoine in das Kloster der 1594 aus Frankreich verwiesenen Jesuiten. Er versuchte, so viel er nur konnte, dieses schöne Kunstgewerbe zu neuer Blüthe zu bringen, was ihm auch theilweise gelang, und 1603, als die Jesuiten wiederkehrten, bezog die Fabrik einen noch übrig gebliebenen Theil des alten Louvre. Hier traten 1607 zwei geschickte Weber aus Flandern ein, Markus von Comans und Francis de la Planche, welche die Fabrik unter großen Vortheilen und mit einem Privilegium für die Tapetenwirkerei „nach flandrischer Art“ auf die Dauer von fünfundzwanzig Jahren selbstständig übernahmen. Sie arbeiteten wohl für den König, doch auch für das Publicum; so war die königliche Manufactur ein industrielles Etablissement geworden.

Nachdem diese flandrischen Tapetenwirker mit ihrer Fabrik aus dem alten Louvre nach dem Place Royale, dann wieder zurück nach dem Louvre gewandert waren, zogen ihre Söhne Charles de Comans und Raphael de la Planche 1630 in die ehemaligen Werkstätten der Färberei der alten Familie Gobelin, womit für unsere nur in Umrissen erfolgende Darstellung ein neuer Abschnitt beginnt.

Etwa gegen die Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts zog ein Färber aus Rheims, Johann oder Gilles Gobelin, nach Paris (die Holländer behaupten, er stamme aus Holland und habe Jan Gobeelen geheißen) und errichtete außerhalb der Stadt und der Faubourg St. Marceau am Ufer eines Flüßchens, Bièvre geheißen, eine Färberei. Da nun gut und schön gefärbte Wolle und Seide die erste Grundlage und zugleich eine Hauptbedingung zur Herstellung einer prächtigen und wirksamen Tapete bildete, da Gobelin ferner seine, wenn auch damals noch sehr unvollkommene Kunst wohl verstand und das reine Wasser des Flüßchens sich zu seinem Vorhaben als äußerst günstig erwies, seine Fabrikate sich somit vor anderen vortheilhaft auszeichneten, so mußten seine Werkstatt und Fabrik prosperiren. Doch ihren größten Glanz sollten sie durch einen seiner Nachkommen (der erste Gobelin starb 1476) unter Franz dem Ersten erhalten, und zwar mit Hülfe eines deutschen Färbers.

Dies war also gekommen. Die im Alterthum bekannte Kunst, den Scharlach und Purpur zu färben, war theils verloren gegangen, theils unmöglich geworden; dafür färbte man Roth in verschiedenen Nuancen, hauptsächlich vermittelst der Scharlachbeere. Unter den damaligen deutschen rheinischen Färbern, die man auch „Waidfärber“ – im Gegensatz zu den Schlecht- und Schwarzfärbern – nannte, weil sie aus der Waidpflanze (Isatis tinctoria), dem deutschen Indigo, nicht allein eine schöne blaue, sondern auch eine grüne Farbe herstellten, befand sich einer, bald Küster, Küffler, bald Kepfler[1] genannt , dem es gelungen war, aus der nach der Entdeckung Amerikas in Europa eingeführten Cochenille (die amerikanische Schildlaus, der Scharlachwurm), vermittelst einer Zinnsolution, eine neue überaus schöne Scharlachfarbe zu gewinnen. Zu derselben Zeit zog ein Maler mit Namen Gluck an den Rhein – die Holländer nennen ihn Kloek – der sich Jahre lang in der Türkei und im Orient herumgetrieben und auf solchen gewiß abenteuerlichen Fahrten die dortigen Färberkünste erlernt hatte. Am Rhein gelang es ihm auch, das Geheimniß der neuen Scharlachfarbe Kepfler’s sich anzueignen, und mit dieser wichtigen Errungenschaft wandte er sich nach Holland. Dort errichtete er eine Färberei, die ungemeines Glück machte. Bis an seinen im Jahre 1550 erfolgten Tod leitete er dieselbe und übertrug sie testamentarisch auf seine Nachkommen.

Nun ereignete sich Seltsames. Zu derselben Zeit, als Gluck seine neue Scharlachfarbe, die Erfindung des deutschen Färbers Kepfler, in Holland an’s Licht brachte, producirte ein Nachkomme des ersten Gobelin, Gilles geheißen, dieselbe in Paris. Er soll die Bereitung von Gluck erlernt haben, doch ist es viel wahrscheinlicher, daß Beide, Gluck und Gilles Gobelin, der sich vielleicht auf der Wanderschaft befunden haben mag, zusammen dem deutschen Erfinder sein Geheimniß ablauschten und dasselbe dann mit größtem Erfolge in Holland und Paris verwertheten.

Ein weiteres seltsames Zusammentreffen ist, daß später ein Nachkomme Glucks in einem entscheidenden Augenblicke mit dem Etablissement der Familie Gobelin sich verbindet und zu der Weltberühnttheit ihres Namens beitragen sollte, wie wir dies bald sehen werden.

Gilles Gobelin hatte sofort die ganze Tragweite der neuen Erfindung erfaßt und beschloß, sie kräftig auszubeuten. Nach Paris zurückgekehrt, kaufte er an der Bièvre ein ausgedehntes Terrain und begann neben der Werkstätte seines Vaters neue große und prächtige Bauten, zu seinem Zwecke passend, zu errichten. Die Bewohner der nahen Vorstadt St. Marceau wußten sich dies nicht zu deuten. Sie sahen mit Staunen die vielen Wohnstätten dem Boden entsteigen und nannten Gobelin einen Narren und seine Bauten „la Folie-Gobelin – die Gobelin-Thorheit“. Der Sohn dieses Gilles errichtete am Ursprung der Bièvre, in der Nähe von Versailles ein prächtiges Landhaus, das er als Antwort auf jene Spottreden nun wirklich „La Folie-Gobelin“ taufte. – Doch es sollte noch anders kommen. Gilles Gobelin gewann durch seine neue Scharlachfarbe einen solchen Ruhm und zugleich einen solchen Reichthum, daß er in kürzester Zeit ein Krösus wurde. Dies konnte das Volk von Paris erst recht nicht begreifen und schrieb die Ursache davon – dem Teufel zu. Folgende hübsche Sage aus jener Zeit hat sich erhalten.

Gilles Gobelin hatte seine Seele dem Teufel verschrieben – also erzählte man sich – als Lohn dafür, daß dieser ihm das Geheimniß der neuen Scharlachfarbe kundgethan. Da nun Gilles’ Zeit um war, ging er eines Abends mit einem Licht über den Hof, als plötzlich der Gottseibeiuns vor ihm stand, um ihn in sein höllisches Reich abzuholen. Gobelin bat demüthig nur noch um eine kurze Frist, so lange, bis sein Licht zu Ende gebrannt sei. Dies bewilligte in Gnaden der – dumme Teufel, und der kluge Gilles warf flugs sein Licht in einen nahen Brunnen, in dem es erlosch und den er dann sofort zuwerfen ließ. Mit dem obligaten Gestank entfernte sich der geprellte Teufel, und Gilles Gobelin genoß bis an das Ende seines Lebens die Frucht seiner List und Arbeit – und der des deutschen Färbers Kepfler.

Nur noch wenige Generationen der Gobelins blieben Färber: der Reichthum der Familie mehrte sich von Jahr zu Jahr, und ihre Glieder kauften sich Titel, Aemter und Würden mitsammt dem

  1. Kepfler wird wohl der richtige Name und der deutsche Färber Kepfler, welcher 1643 nach England zog und dort die Färbekunst durchaus umgestaltete, ein Nachkomme des deutschen Erfinders gewesen sein. Nannte man doch noch hundert Jahre später in England die Scharlachfarbe Bowdge, weil Kepfler seine Färberei in einem Dorfe Bow bei London errichtet hatte und betrieb.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Potier
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_114.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)