Seite:Die Gartenlaube (1882) 110.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Das „Internationale Eislaufen in Wien“.
(Am 21., 22. und 23. Januar 1882.)

Als ich am Ende der Jahre 1867 und 1868 in der „Gartenlaube“ zum ersten Male öffentlich auf die neuere Entwickelung des Eislaufs aufmerksam machte und zugleich Warnungen und Rathschläge einflocht, unter deren Beachtung die vielfach befürchteten Unfälle auf dem Eise verhütet werden können, da war der Wiener Eislaufverein noch in den Kinderschuhen. Eine Anzahl günstiger Umstände wirkte indessen zusammen, um diesem Vereine unter allen Gesellschaften dieser Art auf dem Continente den höchsten Aufschwung zu verleihen. Die für die Größe der Stadt sehr centrale Lage des der Gesellschaft eingeräumten Platzes, der durch eine eigene Dampfmaschine sowie durch die Hochquellenleitung mit dem nöthigen Wasser zum Füllen des Bassins und zum Bespritzen der Eisfläche versehen ist und außerdem die erforderlichen Gebäude und Tribünen, sowie sieben große elektrische Lampen in der Gesammtstärke von ungefähr 6000 Kerzen besitzt, macht diesen Eisplatz zu einem Lieblingsaufenthalte der gebildeten Wiener. Solange der Frost dauert, wird die Eisdecke in jeder Nacht vollständig gereinigt und mittelst einer an langen, von den Hochquellen gespeisten Kautschukschläuchen befestigten Brause bespritzt, sodaß die Mitglieder jeden Morgen frisches Spiegeleis befahren. Dieser sorgsamen Pflege, die bei milderem Wetter durch Hobelmaschinen ergänzt wird, steht das mehr continentale Klima Wiens zur Seite, das der Eisbildung günstiger ist, als in den Städten des Westens, ohne durch so große Kälte abzuschrecken, wie sie an der Ostsee herrscht.

Man kann daher auf dem Platze des Wiener Eislaufvereins im Winter durchschnittlich auf fünfzig Schleiftage rechnen. Der Ausfall milderer Winter wird durch die höhere Ziffer strengerer Jahre ausgeglichen, wie wir es denn im verflossenen Winter bis auf zweiundsechszig und im Winter 1879 auf 1880 auf vierundsiebenzig Schleiftage gebracht haben. Hält man diese günstige Conjunctur mit der elektrischen Beleuchtung zusammen, durch welche der Eislaufplatz Abends von fünf bis neun Uhr so hell erleuchtet wird, daß man beim Laufen lesen kann, so erscheint es begreiflich, daß man in Wien fast ebenso lange Kunstübungen auf dem Eise vornehmen kann, wie in New-York oder Montreal.

Einzig in der Welt stehen wohl die costümirten Eisfeste da, welche alljährlich ein- bis zweimal auf dem Platze des Wiener Eislaufvereins abgehalten werden. Wien ist durch seine Carnevalslust, durch seine costümirten Bälle und hinreißenden Walzer berühmt. Aber nirgends entfaltet sich diese Lust phantastischer und decenter, fröhlicher und bezaubernder, als bei diesen Eiscostümfesten, wo sechs- bis achthundert costümirte Schlittschuhläufer, Damen und Herren, Alt und Jung beim Scheine von sieben elektrischen Sonnen unter einander wirbeln, während in Gestalt von bengalischen, auf künstlich errichteten Schneegebirgen leuchtenden Flammen die Mitternachtssonne das bunte Treiben zu beleuchten scheint. Unter den Klängen rauschender Militärmusik pflegen dann häufig Massentänze und Cotillons ausgeführt zu werden, bei welchen historische Trachten zur Geltung kommen oder lustige Scenen, unter denen besonders der „lernende Schlittschuhläufer“ sehr beliebt ist, dargestellt werdet; die letzterwähnte Scene namentlich pflegt viel Vergnügen zu bereiten, und als vor zwei Jahren bei der fünfzigjährigen Jubiläumsfeier am Traunsee einer unserer Eisläufer den Gmundern unter anderen Eiskünsten das Spiel des Anfängers in einem echten Bauerngewande vorführte, da schütteten sich neben mir stehende Bauerndirnen vor Lachen aus über die Ungeschicklichkeit ihres vermeintlichen Landsmannes, der jeden Augenblick hinfiel und dabei seinen Hut zerknüllte; sie drückten aber dann laut ihr Erstaunen aus über die unglaublich schnellen Fortschritte, die der Mann im Lernen machte, da er in einer Viertelstunde vom Purzeln bis zum Purzelbaum vorrückte und in weiteren fünfzehn Minuten Figuren machte, zu deren Erlernung Viele fünfzehn Jahre brauchen. Ein anderes Costümfest führte uns das Schiff „Tegetthoff“ vor, wie es mit seiner Mannschaft vom Nordpole angefahren kommt; ein drittes Mal erschien ein kolossaler Triumphwagen im Stile des Cinque Cento, von zwölf Pagen mit bengalischen rothen Fackeln geleitet, welche einen so unglaublichen Glanz auf die Scene warfen, daß fast das elektrische Licht erblaßte und grün schimmerte. Wieder ein anderes Mal kam der chinesische Riese auf Schlittschuhen in täuschender Aehnlichkeit, über zwölf Fuß hoch, in gewandtem Bogenlaufe daher. Auch sahen wir auf unserer Eisbahn ein spanisches Stiergefecht, wobei 4000 amphitheatralisch gruppirte Zuschauer ihre Befriedigung in lautem Jubel kundgaben.

Der hohe Reiz, welcher sich demnach auf dem Platze des „Wiener Eislaufvereins“ concentrirt, sowie dessen völlige Gefahrlosigkeit machen es begreiflich, daß das Kunstlaufen mit Vorliebe betrieben wird, obgleich auch für das Schnelllaufen Schauplätze sich darbieten, welche sich mit den schönsten Eisflächen Hollands oder des Ostseegebietes messen können. Wir haben in der nächsten Nähe sowohl das alte Donaubett und den Neustädter Canal, wie große Seen, von denen einer in zweistündiger Eisenbahnfahrt und andere in einer Nachtfahrt erreicht werden können.

Dabei gefrieren einige der Seen des Salzkammerguts – wie der Grundlsee – und Kärntens, wie der Wörther, Ossiacher und Millstädter See – fast in jedem Jahre. Besonders die Kärntner Seen genießen eines eigenthümlichen Klimas. Im Sommer erwärmen sie sich sehr bald bis zu + 21 bis 23 R. Im Winter herrscht hier sibirische Kälte, sodaß diese Seen meist drei Monate zugefroren sind, und ihre Eisdecke oft bis Mitte April tragen. Für den Eisläufer werden aber alle diese Seen in Schatten gestellt durch den Neusiedlersee in Ungarn, welcher, obgleich er vor drei Lustren mehrere Jahre völlig ausgetrocknet war, heute fast noch den Umfang des Bodensees hat, gegen 340 Quadratkilometer umfaßt, 50 Kilometer lang, 10 bis 15 Kilometer breit und einige Kilometer vom Ufer ab auf allen Seiten nicht mehr als ½ Meter tief ist. Nur in der Mitte wird eine Tiefe von 2 bis 4 Meter erreicht, welche indessen ebenfalls gefahrlos ist, weil hier das Eis, den Winden mehr ausgesetzt, schon früher die erforderliche Dicke und Festigkeit erhält als am Ufer.

Mit der Seichtigkeit und der völligen Gefahrlosigkeit hängt der Umstand zusammen, daß dieses ungeheure Wasserbecken in jedem Jahre zufriert, daß sogar in diesem milden Winter seine Eisdecke den Schauplatz mehrerer Ausflüge des Oedenburger Eislaufvereins am 1. und 15. Januar gebildet hat und daß noch am 17. Januar die Fischer, denen die „Windsbraut“, das Eissegelboot des Wiener Eislaufvereins, in Verwahrung gegeben worden, eine Schnellfahrt auf der Spiegelfläche des Sees gemacht haben. Trotz dieser vom Standpunkt des Eissports seltenen Eigenschaften ist der Neusiedlersee bis vor zwei Jahren von Seiten der Wiener Eisläufer nie benutzt worden, obwohl die Hinfahrt nur drei Stunden erfordert. Einerseits die Bequemlichkeit der Wiener Eisplätze, andererseits die geringe Bekanntschaft mit dem hohen Reize der Weit- und Schnellfahrten auf großen Flächen mag daran schuld gewesen sein. Deshalb wurde dieser Theil des Eissports in Wien weniger gepflegt, als das Kunst- oder Figurenlaufen.

Ich habe hier die Entwickelung und den gegenwärtigen Stand des Wiener Eissportes in seinen Hauptumrissen geschildert, um die Berechtigung des Eislaufvereins der österreichischen Kaiserstadt zur Ausschreibung eines internationalen Eislaufwettkampfes zu zeigen.

Schon das erste internationale Eisfest vor zehn Jahren war von unserm Eislaufverein veranstaltet worden, bei welchem Wiener die Preise im Figurenlaufen gewannen und der beste Schlittschuhläufer Norddeutschlands, Graf Schlippenbach, den Preis im Schnelllauf davontrug; er führte mit ihm zugleich eine reiche schöne Wienerin heim. Heute galt es zu prüfen, welche Fortschritte in der Kunst seit einem Jahrzehnt gemacht worden waren, und ich kann sofort vorausschicken, daß nicht blos unsere, sondern auch der Fremden Erwartungen bei Weitem übertroffen wurden.

Das Fest war schon seit Jahr und Tag mit jener Gründlichkeit vorbereitet worden, welche die Wiener bei Angelegenheiten des Vergnügens mit besonderer Liebe anzuwenden pflegen.

Dem Collegium der Preisrichter für das Figurenlaufen standen als Präsident Fürst Alexander Schönburg, als Vicepräsidenten Baron Albert Rothschild und der Präsident des Wiener Eislaufvereins Dr. von Korper vor. Der Präsident der Preisrichter des Wettlaufens war Landgraf Kneenz zu Fürstenberg und Vicepräsidenten Graf V. Latour und Dr. Schachner, Vicepräsident des Wiener Eislaufvereins. Der Werth der ausgesetzten Preise belief sich auf über 8500 Franken Gold, und dieselben bestanden für die Nichtberufskünstler theils aus plastischen Figuren, Kannen, Bechern

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_110.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)