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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Officier vor Augen. Stelle Dir einmal ein anderes Bild vor, einen kranken, gebrochenen Menschen, muthlos und dem Elend verfallen! Wenn sich des Unglücklichen Niemand annimmt – fühlst Du auch da noch kein Erbarmen?“

„So, das ist also das Gemälde Deiner Phantasie? Die meine malt ganz anders. Da sitzt Einer bei der Champagnerflasche und läßt die schwesterliche Einfalt leben, welche sie ihm bezahlt.“

„O Franz, Du irrst – ich werde Dich davon überzeugen.“

„Du kannst Dir die Mühe sparen.“

„Ein einziges Wort –“

„Ich will’s nicht hören. Verstehst Du? Ein für allemal: ich will nicht.“

„Aber Du kannst mich doch nicht hindern –“

„Thorheiten zu begehen. Nein, thu’ was Du willst! Mich aber laß’ aus dem Spiel.“

„Es ist sehr bequem, sich das Ohr zuzustopfen, wenn der Hülferuf der Noth daran schlägt, sehr bequem, die Bande der Natur, die ewig unzerreißbaren, einfach für durchschnitten zu erklären –“

„Wenn Du mich nicht ernstlich erzürnen willst, so schweigst Du,“ fiel er ihr diesmal mit einem Tone in die Rede, der es außer Zweifel setzte, daß die in bedrohliche Aussicht gestellte Grenze bereits überschritten sei.

Doch auch Hilda war nicht bei der sanften Bitte stehen geblieben. Der Wunsch, zu überreden, hatte schon zu scharfer Beweisführung geführt, und ihr gesteigerter Unmuth griff nun zu noch einschneidenderer Waffe.

„Du sprichst nur von Deiner eigenen Reizbarkeit, die geschont werden soll,“ sagte sie, „aber das scheint Dir nicht der Erwägung werth, daß auch ich über Dein Verhalten erzürnt werden –“

„Das wäre in der That merkwürdig.“

„Und dann Schritte thun könnte, die –“

„Nun, was könntest Du dann thun?“

„Ich könnte Dich daran erinnern,“ erwiderte sie, durch seinen Spott immer weiter getrieben, „daß Du mir wohl das versagen kannst, um was ich mich an Dein Herz wende, nicht aber den materiellen Beistand, den ich begehre. Ich könnte Dich erinnern, daß ich in dieser Beziehung von Dir nicht abhängig bin und unter gewissen zwingenden Verhältnissen auf meinem Rechte freier Verfügung bestehen müßte.“

„Ueber Dein Vermögen?“ fragte er recht barsch, aber eigentlich nicht zornig, sondern mehr mit einer Beimischung von Ironie. „Da bedarf’s keiner Drohung. Darüber kannst Du, wenn Dir’s beliebt, disponiren. Es ist mir sogar ganz recht, wenn Du es heranziehst; ich habe schon mit meiner Frau darüber gesprochen. Du wirst wohl so viel Geduld haben, bis alles im Gange ist, dann kannst Du nach Gutdünken verschleudern – ich werde Dir nicht im Wege stehen.“

„Hast Du während der Zeit unseres Zusammenlebens so viel Anlage zum Verschleudern an mir entdeckt? Ich denke, man darf ohne Sorge auch eine größere Summe in meine Hand legen.“

„Hm! Meiner Ansicht nach thätest Du doch klüger, Du suchtest Dir freiwillig einen Curator. Es findet sich wohl ein braver Mann dafür, aber freilich weiß ich nicht, ob Du Lust hast, meinem Rathe und meinem – Beispiele zu folgen, was allerdings das Gescheidteste wäre.“

„Will man mich denn mit Gewalt aus dem Hause haben?“ fragte sie, aus dem Tone des Trotzes in den der Klage übergehend.

„Märchen! Wer drängt Dich denn fort? Es fällt Niemandem ein, und Du bist“ – seine Stimme nahm einen weicheren Klang an – „auch das erste Mädel, das es übel nimmt, wenn man ihm vorschlägt, zu heirathen.“

„Hätt’ ich es gewollt, ich hätt’ es längst thun können – das weißt Du.“

„Just so hab’ auch ich geredet, bis es doch anders gekommen ist. Siehst Du, Hilda, es hat mir schwer genug auf der Seele gelegen, daß Du Dein Leben so einsam zu Ende führen solltest, aber nach dem schweren Schicksalsschlage, der mich betroffen, meinte ich: besser, nie etwas lieb gehabt haben – so recht lieb – als es einmal verlieren. Und dann – was wollt’ ich sagen? – wenn Du hier und dort einen Korb austheiltest? Wir sind am Ende alle Egoisten, wir Männer, und wehren uns nicht gegen die Opfer, die man uns bringt. Jetzt aber liegen die Dinge doch anders. Na, ich brauch’ Dir’s nicht erst zu sagen. Du hattest ja ein ganzes Schock Vernunftgründe für mich, als Du mir zuredetest; ich kann sie Dir nur alle zurück geben. – Ich meine, Du denkst darüber nach. Adieu, Hilda!“

Er wendete sich, um noch einen Gang nach den Oekonomiegebäuden zu machen.

„Ueberflüssig!“ sagte Hilda, als sie allein war.

Ja, es war so; Meinhard hatte das rechte Wort gefunden.

„Ueberflüssig – überflüssig Allen!“ wiederholte sie mit der schmerzlich brennenden Bitterkeit, die ihr das Herz verzehrte. Allen? Nein, da war doch noch Einer, der ihrer bedurfte. Wilhelm! Nicht Allen in der Welt war sie überflüssig.




7.

Nicht Allen!

Sie dachte es lange nicht mehr, als sie zwei Tage nach der Unterredung mit ihrem Bruder hastig über den Marktplatz schritt, der den älteren Theil der Stadt von den neuen Straßenzügen trennte.

Für den Armen auf dem dürftigen Krankenlager im Jägerhause war sie jetzt auf einem doppelten Gange. Bei ihrem Morgenbesuche hatte sie ihn leidender angetroffen; die schwere Nebelluft sei schuld, hatte er gemeint, daß es mit ihm so langsam vorwärts gehe, aber eine Wiederholung jenes ohnmachtähnlichen Anfalles hatte Hilda überzeugt, daß es sich hier nicht blos – wie sie das erste Mal geglaubt – um eine durch Ueberanstrengung und Entbehrung hervorgerufene augenblickliche Erschöpfung der Kräfte handle, die durch Pflege gehoben werden konnte. Geängstigt durch die ihr fremden Symptome, vertrauete sie nicht mehr ihren eigenen Hülfsmitteln und faßte den schweren Entschluß, ihre Zuflucht zu ärztlicher Hülfe zu nehmen. Sie verkannte die Gefahr nicht, die in einem solchen Schritte lag; denn nun sollte es noch einen weiteren Mitwisser des Geheimnisses geben, und seine Besuche, wenn auch durch die Abgelegenheit des Jägerhauses möglichst der Beobachtung entzogen, vermehrten doch immerhin die Unsicherheit des Versteckes. Aber alle Bedenken mußten schließlich der Nothwendigkeit weichen; es war eben unvermeidlich, den Arzt in’s Vertrauen zu ziehen, und Eines tröstete sie bei dem gefahrvollen Schritte: der ehrwürdige alte Doctor war seit langen Jahren schon der Rathgeber und Freund ihres ganzen Hauses, und so konnte sie wohl auf seine Verschwiegenheit zählen; dennoch trat sie an diesem Morgen nicht ohne Zagen bei ihm ein, aber nachdem Befangenheit von ihrer, Erstaunen von seiner Seite überwunden war, führte die Unterhaltung zu dem erwünschten Resultate: er versprach ihr sorgsamste Beobachtung des Kranken und peinliche Wahrung des Geheimnisses.

So verließ Hilda erleichtert das Haus des würdigen Mannes. Aber nun galt es noch einen zweiten schweren Gang im Interesse ihres unglücklichen Bruders.

Die alte Trine hatte ihr am Morgen einen Zettel übergeben, der von der ungeübten Hand des Herrn Louis Schöpf die entschiedene Erklärung enthielt, dringende Gründe nöthigten ihn, an seine Abreise zu denken. Mit einem Worte: der Vertrag müsse zum Abschluß gebracht und die Angelegenheit unbedingt bis zum nächsten Morgen erledigt werden.

Hilda hielt es daher für gerathen, die Dinge nicht bis zum Aeußersten kommen zu lassen. An ihren Bruder Franz sich zu wenden, wagte sie nicht mehr. Allzu entschieden hatte er sie abgewiesen. Einen Augenblick hatte sie an eine Anleihe gedacht, aber wie sollte sie sich die Verschwiegenheit ihres Gläubigers sichern? Ja, wenn ein Freund ihr seine Vermittelung oder nur seinen Rath geliehen hätte, aber wen sollte sie darum ansprechen? Der Einzige, dem sie vertrauen konnte, durfte nicht in’s Geheimniß gezogen werden. So blieb ihr nichts Anderes übrig, als das kleine Capital flüssig zu machen, das ihr noch geblieben war. Die ganze Forderung Schöpf’s konnte freilich nicht gedeckt werden, aber sie neigte sich der Meinung zu, daß sich der freche Anspruch wohl auf die Hälfte herabstimmen lassen werde. Sechstausend Gulden waren es, die sie vor Jahren geerbt und die seither von Meinhard für sie verwaltet wurden.

Und um diese sechstausend Gulden sich auszahlen zu lassen, war sie nun auf dem Wege zum Amtsgebäude. O, es war ein schwerer Gang. Hilda’s Schritte wurden kürzer und kürzer, je mehr sie sich dem düstern alten Gebäude näherte. Wie ein befestigtes Schloß stand es neben dem verwitterten Thore, das man beim Abbruch der Stadtmauer hatte stehen lassen, und gewann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_107.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)