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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Man sollte denken, eine solche Sprache sei deutlich. Und doch fand Sallet, daß es noch einer bündigeren Auseinandersetzung mit seiner Zeit bedürfe. „Wenn die Leute Verse lesen, meinen sie immer, es sei blos Spaß, wenn sie aber Prosa sehen, da merken sie, daß sie es mit vollem trockenem Ernste zu thun haben.“ So entstand das letzte größere Vermächtniß Sallet’s, „Die Atheisten“, eine Abhandlung, in der die Gedanken der „Ernsthaften Gedichte“ und des „Laienevangeliums“ in zusammenhängender Prosa erörtert werden. Es handelt sich darum nachzuweisen, wie verschieden sich die hauptsächlichsten sittlichen Erscheinungen, die Ehe, die Familie, der Staat und die Geschichte, gestalten, je nachdem Gott als außerhalb der Welt oder als der Welt innewohnend gedacht wird. Die erstere Denkweise führt zur eigentlichen praktischen Gottlosigkeit. Sie läßt Gott nicht zur Bethätigung seines Geistes im echten sittlichen Wollen kommen. Despotische Staaten, Ehen und Familien ohne volle, ganze Liebe sind deshalb recht eigentliche Erzeugnisse des Atheismus.

Wenn Sallet heute lebte, wie viel von dieser Art „Atheismus“ würde sich seinem Auge wieder darbieten, gerade von Seiten derer, welche aus der Gottseligkeit nur ein Gewerbe gemacht haben und so leicht bereit sind, das Streben nach wahrhaft geisterfülltem, freiem Dasein als gottlos zu brandmarken! Unsere Zeit hat ja eine erschreckende Aehnlichkeit mit derjenigen Sallet’s. Es ist ein Geschlecht herangewachsen, welches sich wieder „für das Schlechte in Begeisterung zu setzen versteht“, das, in eklem Krämersinn der Ideale spottend, die Parole ausgiebt: „Wer euch bezahlen kann, sei euer Meister! Brod haben ist die heiligste der Pflichten!“ Und doch zeigt die Erscheinung Sallet’s, daß die dunkelsten und verworrensten Zeiten die reinsten und größten Charaktere hervorzubringen vermögen. Möchte Sallet’s Geist auch in unserem Geschlechte lebendig werden!




Zur Bedeutung Stralsunds im Dreißigjährigen Kriege.

Von Dr. Georg Winter.


Mit Recht betrachten wir den Dreißigjährigen Krieg als eine der trübsten und traurigsten Epochen unserer vaterländischen Geschichte. Und doch werden nicht nur die großen Ideen, um welche er entbrannt war, für alle Zukunft ein hohes Interesse bei der Nachwelt in Anspruch nehmen, sondern der Kampf selbst ist auch reich an erhebenden und großartigen Momenten, an Ereignissen, welche einen dauernden Platz in den Annalen der Weltgeschichte verdienen.

An zwei ganz verschiedenen Stellen des europäischen Staatensystems und mit ganz verschiedenem Erfolge ist im Jahre 1628 um die Existenz des Protestantismus gekämpft worden. In Frankreich gelang es dem Cardinal Richelieu, die Hugenotten in ihrer letzten Burg La Rochelle mit solcher Energie und Umsicht einzuschließen, daß sie die Stadt trotz der tapfersten Gegenwehr übergeben mußten, in Deutschland aber mißlang dem allgewaltigen Generalissimus des Kaisers, Wallenstein, sein Angriff auf Stralsund, welches er herunterzureißen gedacht hatte, und wenn es mit Ketten am Himmel befestigt wäre, vollkommen. Es schien, als ob sich die gesammte Widerstandskraft des in seiner Existenz bedrohten Protestantismus in den Mauern dieser kriegsmuthigen Stadt concentrirt hätte, die mit mannhafter Ausdauer den Angriffen eines der größten Kriegshelden des Dreißigjährigen Krieges widerstand. Man kann recht eigentlich sagen, daß dieser mißglückte Angriff den Punkt bezeichnet, an welchem das bisherige Glück der kaiserlichen Waffen in Deutschland sich seinem Niedergange zuneigte.

Noch im Jahre 1627 konnte es scheinen, als wenn dem Kaiser durch die Hülfe Wallenstein’s der lange gehegte Plan einer vollkommenen Niederwerfung des Protestantismus glücken würde. Der König Christian von Dänemark, an dem die norddeutschen Protestanten einen mächtigen Beschützer zu finden gehofft hatten, war den vereinigten Anstrengungen des Feldherrn der Liga, Tilly, und des kaiserlichen Generalissimus Wallenstein erlegen und hatte sich in sein Stammland zurückgezogen.

Mit ihm war anscheinend der letzte Hort, an den sich die bedrängten protestantischen Fürsten anschließen konnten, dahin. Und noch schienen die Pläne des Kaisers mit der Besiegung des Dänenkönigs nicht erschöpft zu sein.

Wer wollte wissen, welche Gedanken der räthselhafte und geheimnißvolle Mann, dem der Kaiser damals sein volles Vertrauen schenkte, hinter seiner verschlossenen Stirn hegte? Schon war er vom einfachen Edelmanne zum Herzog von Friedland emporgestiegen. Der Kaiser hatte ihm das Recht, welches sonst nur geborenen Fürsten zustand, eingeräumt, sein Haupt in der Gegenwart des Kaisers zu bedecken. Und eben jetzt hatte er ihm durch die Uebertragung der mecklenburger Herzogthümer ein neues Zeichen seiner Gnade gegeben. Man sprach davon, daß er ihn sogar zum Könige von Dänemark zu erheben gedenke. In der That hatte sich eben Wallenstein die wesentlichsten Verdienste um den Kaiser erworben; ja er schien in seinen Gedanken über die Wiederherstellung der kaiserlichen Autorität noch weiter zu gehen; als der Inhaber derselben. Man ersieht aus seinen damaligen Correspondenzen, daß er es auf nichts Geringeres abgesehen hatte, als auf die Einführung einer absoluten Monarchie in Deutschland, deren Träger der Kaiser sein sollte, während der Einfluß der Fürsten und Stände des Reiches auf ein Minimum zu reduciren wäre.

Neben diesen Ideen, welche nur auf die Vergrößerung der Macht und des Ansehens der kaiserlichen Gewalt hinausgingen, vergaß aber Wallenstein auch seine eigenen Interessen nicht. Und eben diese territorialen Beziehungen, welche ihm aus dem Erwerbe des Herzogthums Mecklenburg erwuchsen, brachten ihn in Conflict mit dem benachbarten Herzog von Pommern. Wollte er des Besitzes seiner nordischen Herzogthümer dem dänischen Königreiche gegenüber sicher sein, so mußte er sich in Besitz wenigstens eines Theiles der Ostseeküste setzen, und eben hierauf war auch der Gedanke des Kaisers gerichtet. Dieser nahm die schon von einem seiner Vorfahren gehegten Pläne der Gründung einer deutschen Seemacht wieder auf, zu deren Admiral er Wallenstein zu ernennen gedachte. Eben die pommersche Küste schien als Grundlage für eine solche am geeignetsten zu sein.

Man war zur Verwirklichung dieses Gedankens mit den Hansestädten der Ostseeküste in Unterhandlung getreten, fand aber bei diesen eine ablehnende Haltung. In Folge dessen suchte nun Wallenstein seinen Plan auf anderem Wege zu erreichen. Nach Wismar war bereits eine kaiserliche Besatzung gelegt worden, und gegen Ausgang des Jahres 1627 trat er an den Herzog von Pommern mit dem Ansinnen heran, eine Einquartierung in sein Land aufzunehmen, welche er dann in eine ständige Besatzung der Plätze an der Ostseeküste zu verwandeln gedachte. Der Herzog, welcher dem Uebermächtigen fast wehrlos gegenüberstand, mußte sich in das Unabänderliche fügen. Da aber fanden er selbst und Wallenstein einen unerwartet heftigen Widerstand bei der Stadt, auf deren Besetzung es dem Letzteren vor Allem ankam, bei Stralsund. Die Stadt weigerte sich, auf ihre alten Privilegien gestützt, eine kaiserliche Besatzung aufzunehmen, und schloß mit ihrem Landesherrn, dem Herzoge von Pommern, welchem die Vertheilung der Einquartierung von dem Unterbefehlshaber Wallenstein’s, von Arnim, überlassen worden war, einen Vergleich, laut welchem sie gegen Zahlung einer bestimmten Summe von der Einquartierung befreit sein sollte. Gleichwohl besetzten die kaiserlichen Obersten, Arnim, Sparre und Götze, das kleine Eiland, welches den Hafen der Stadt beherrschte, den Dänholm, und forderten auch ihrerseits eine bedeutende Summe (150,000 Thaler), wenn die Stadt selbst von Einquartierung frei bleiben sollte.

In der That verstand sich die Stadt zur Zahlung eines Theiles der geforderten Summe (30,000 Thaler), keinesfalls aber wollte sie die Besetzung des Dänholms gestatten, vielmehr schloß sie die auf die Insel gelegte Besatzung mit ihren Schiffen ein, schnitt ihr jede Zufuhr ab und nöthigte sie so im Anfange des März zu capituliren. Schon hatte aber Arnim am 27. Februar ein Schreiben von Wallenstein erhalten, in welchem er angewiesen wurde, Stralsund anzugreifen und nicht wegzuziehen, bis die Stadt eine starke Garnison in ihre Mauern aufgenommen hätte. Noch einmal versuchte Arnim die Stadt durch Verhandlungen hierzu zu bewegen. War aber Wallenstein fest gewillt, die Stadt seinem Machtgebote zu unterwerfen, so war doch auch die Bürgerschaft nicht geneigt nachzugeben. Sie traf mit mannhafter Umsicht die Vorbereitungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_100.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)