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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

bedeutet. Sie wird es besonders in der ersten Hälfte des Kalenderjahres schätzen, wenn die Kartoffeln in ihrem Keller anfangen zu verderben oder auszugehen und neue entweder theuer zu kaufen oder ebenfalls nur in schlechter Qualität zu haben sind. Reis hingegen ist jahraus jahrein zu festem Preise in immer gleicher Güte vom nächsten Krämer (oder Consumverein) zu beziehen.

Er ist aber allerdings beim Krämer immer wohl noch ziemlich theuer. Dr. J.[WS 1] König in Münster, der „die Chemie der Nahrungs- und Genußmittel“ auf Grund sorgfältigen Studiums in zwei 1879 und 1880 erschienenen Bänden behandelt hat, setzt vierzig Pfennig für das Pfund als den Marktpreis seines Wohnortes an. Dabei behauptet die Kartoffel offenbar noch einen beträchtlichen Vorsprung; denn das Pfund wird in demselben Buche, von zeitlichen und örtlichen Preisschwankungen abgesehen, zu drei Pfennig Durchschnittspreis angesetzt. Allein ein Pfund Reis hat den vier- bis fünffachen Nährwerth eines Pfundes Kartoffeln, und im „Bremer Handelsblatte“ ist unlängst nach den Großhandelspreisen berechnet worden, daß es verzollt im Binnenlande kaum irgendwo mehr als fünfzehn oder sechszehn Pfennig zu kosten brauchte. Dann genügte schon eine geringe Erhöhung des Kartoffelpreises oder eine geringe Abnahme in dem Nährwerthe der Kartoffeln, um Reis ebenso wohlfeil zu machen.

Die Tabellen des Dr. König über den in Geld anzuschlagenden Nährwerth der verschiedenen gangbaren Lebensmittel belegen, was man sich ohnehin denken kann: daß der Preis eines Artikels im Kleinverkaufe sich seinem Preise im Groß- und Welthandel desto genauer anschmiegt, je regelmäßiger und massenhafter er gekauft wird, je mehr er zur Lebensnothdurft des Volks gehört. So lange er ein Ausnahmegericht bleibt, weicht der Preis, den die Haushaltungen zahlen müssen, oft weit von demjenigen ab, welchen der Krämer gezahlt hat, zumal wenn letzterer im Sinken ist. Das ist aber in ausgeprägter Weise beim Reis der Fall, und daher ist hier noch eine sehr umfassende Möglichkeit zu wohlfeilerer Lieferung in die Küche, sobald die Küche ihn nur erst häufiger, regelmäßiger begehrt.

Vor vierzig Jahren war Reis in Deutschland selbst noch für die wohlhabenderen Mittelklassen eine Art Luxusspeise. Man kannte kaum andere Sorten, als Carolina- und Java-Reis, die durchschnittlich fünfundzwanzig Mark der Centner kosteten.

Heute beträgt der Preis, für welchen geschälter Reis in Bremen im Großen zu kaufen ist, kaum noch zwei Drittel desjenigen Preises, der bei der ersten Einführung der billigeren Sorten Hinter-Indiens galt, nämlich rund ungefähr zehn Mark der Centner, und er ist noch fortwährend im Sinken. Die Einfuhr hat dabei gewaltig zugenommen, und was früher werthloser oder wenig werther Abfall war, wird jetzt hoch verkauft und kann kaum genug geliefert werden.

Amerika und England hatten schon geraume Zeit hindurch gelernt, aus Reis eine bessere Stärke zu gewinnen, als Weizen oder Kartoffeln geben können, ehe Deutschland ihnen darin nachfolgte. Auf der vierten Versammlung des Vereins deutscher Stärkefabrikanten, welche am 11. Februar 1870 zu Berlin stattfand, machte man sich bereits die Ueberlegenheit der Reisstärke klar: 100 Pfund derselben leisteten soviel wie 115 Pfund Weizenstärke; sie sei durch das bei ihr übliche Schlemmen sandfrei, worauf für die Appretur von Zeug außerordentlich viel ankomme; sie klebe nicht, wie Weizenstärke häufig. Nur der Preis war ihrer ausgedehnteren Benutzung damals noch im Wege; denn er betrug 11 Thaler für den Centner, während Weizenstärke 7 Thaler kostete. Die Versammlung sah indessen voraus, daß dies sich bald ändern werde, und sie hat sich darin nicht getäuscht. In Deutschland, wie in Frankreich und Belgien nehmen die großen Reisstärkefabriken seit einigen Jahren rasch zu. Ihr Bedarf an Bruchreis kann von den Reisschälmühlen kaum noch gedeckt werden, sodaß sie schon öfter zu dem werthvolleren und für sie eigentlich nicht nöthigen Stückreis gegriffen haben.

Noch eine andere Verwerthung für den Abfall der Reisschälmühlen hat sich herausgestellt in dem Futtermehl, das aus der sogenannten Silberhaut, welche unter der Hülse steckt und beim Schälen beseitigt wird, entsteht. Chemische Untersuchungen, darunter namentlich die des Dr. M. Fleischer, von der Versuchsstation der Central-Moor-Commission in Bremen, haben den Landwirthen für gewisse Sorten dieses Futterstoffes eine Bürgschaft gewährt, die sie für Vieh und Geflügel eifrig nach demselben greifen läßt.

Es ist auf diese Weise dahingekommen, daß die jüngste gewaltige Zunahme der Reiseinfuhr aus Ostindien fast mehr durch die Nachfrage nach den früher verachteten Abfällen bedingt erscheint, als nach dem zur menschlichen Nahrung dienenden Tafelreis. Nicht minder aber muß die Folge so leichter Anbringung der Abfälle zu guten Preisen, die Folge einer Steigerung der Einfuhr vornehmlich der Abfälle wegen die sein, daß der Preis von Eßreis stetig sinkt. Je mehr von den Kosten der Herüberschaffung durch die Stärkefabrikation und die Futtermehlbereitung getragen wird, desto weniger braucht der importirende Kaufmann oder der Reismüller durch den Verkauf des geschälten Reises zum menschlichen Consum zu decken. Der Fall der Preise in den letzten Jahren bestätigt diese Annahme durchaus. Mittelgesiebter Rangunreis kostet heute 91/2 bis 93/4 Mark. Rechnet man hiernach das Pfund zu 10 Pfennig, dazu 2 Pfennig Zoll, 1 Pfennig Fracht, 2 Pfennig Unkosten und Verkaufsaufschlag, so müßte es fast allenthalben für 15, höchstens 16 Pfennig im Laden zu kaufen sein. Damit kommt Reis dem Kartoffelpreise schon augenscheinlich sehr nahe.

Diese Bewegung könnte nur dann zurückgehalten werden, wenn die Hervorbringung von Reis in den Ländern, aus denen wir ihn beziehen, auf unübersteigliche Schranken stieße. Aber das ist in keiner Weise vorauszusehen. Von dem ungeheuren Verbrauch der dichtbevölkerten Gebiete Südostasiens macht die europäische Nachfrage selbst bei der denkbar stärksten Erhöhung einen so verschwindenden Bruchtheil aus, diese Nachfrage ist durch das sie vertretende Capital wirthschaftlich so stark und die bestellbare Fläche wie das verfügbare Arbeitspersonal, praktisch genommen, so grenzenlos, daß von dieser Seite gewiß kein beschränkender Einfluß kommen wird. In den letzten Jahren ist angefangen worden, den Reis auf Dampfern zu beziehen. Auch die zunehmende Verdrängung der Segelschifffahrt vom Ocean wird ihn nicht theurer machen.

Grübeleien über die Frage, was aus dem heutigen Kartoffellande werden soll, wenn der ferne Osten uns ein nahezu oder gleich billiges, in mancher Hinsicht gesunderes, seiner Güte nach unveränderliches Volksnahrungsmittel liefert, brauche wir noch nicht anzustellen. Von vier Pfund jährlichen Reisverbrauchs auf den Kopf – so stellt er sich heute bei uns – bis zu einer fühlbaren Einschränkung des so viel massenhafteren Kartoffelverbrauchs ist noch ein weiter Weg, dessen langsame Zurücklegung Allen Zeit gönnen wird, sich darauf einzurichten. Wahrscheinlich ist sogar, daß überhaupt kein empfindlicher Einfluß auf den Kartoffelbau sich ergeben wird. Wir werden fortfahren, Kartoffeln zu essen und Reis in zunehmendem Maße daneben. So machen es in unseren Seestädten gegenwärtig schon manche Familien, auf deren Tische der Reis täglich erscheint; der Eine nimmt ihn zur Suppe, der Andere zum Fleisch; für die Kinder wird mit etwas gekochtem Obst ein Nachtisch daraus, der bei weitem gesunder und ihnen selbst auf die Länge lieber ist, als ein schwerer, fetter, süßer Pudding oder Auflauf. Unsere Volksernährung ist ja, dank den im Allgemeinen ziemlich stetig steigenden Löhnen und Arbeitsverdiensten, im Aufsteigen begriffen; sie wird sich den billiger werdenden Reis mit Freuden aneignen, sobald nur die rechte Zubereitung durchgehends bekannt ist.

Hierfür aber können verschiedene Stellen allerhand thun, vorab die Volksküchen, die ja Muster von guten Speisezetteln für die Küchen des Volkes aufstellen, zumal wenn sie ihre wohlthätige Wirksamkeit auf einer neuen höheren Stufe ihrer Entwickelung dadurch erweitern, daß sie jungen Mädchen aus dem Arbeiterstande, von deren Küchen- und Haushaltsführung später das ganze Wohl der Arbeiterfamilien so wesentlich abhängt, das Kochen mit den geringsten Mitteln beizubringen suchen. Ferner die Consumvereine, wenn sie sich der Conjunctur des sinkenden Reispreises mit einer gewissen Werbung für einen so nützlichen Consumartikel bemächtigen, oder ihre Concurrenten, die Krämer, die ebenfalls durch mündliche oder gedruckte Gebrauchsanweisung leicht dem Reis mehr Absatz verschaffen könnten. Auch die Aerzte werden voraussichtlich gern mitwirken. Gegen allzu ausschließliche Kartoffelnahrung müssen sie beschränkende Ersatzmittel willkommen heißen, zumal wenn die Verdauungskraft unter jener schon gelitten hat oder die wässerigmachende Wirkung auf Blut und Muskeln eingetreten ist. Auch die beste Naturgabe kann, im Uebermaß benutzt, nachtheilig wirken, und nicht um die Kartoffel zu verdrängen, sondern um ihrem Gebrauch die dem Menschen heilsamste Grenze zu ziehen, kündigt sich der Reis jetzt immer einleuchtender als ein wahres Volksnahrungsmittel auch für Deutschland an. A. Lammers.     




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: T. Gemeint ist Joseph König
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_096.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)