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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Von Velletri aus, wohin die römische Südbahn den Reisenden nach kurzer Fahrt über die grüne Campagna-Ebene bringt, fuhren wir zu Zweien in einer etwas schwunghaft construirten Vettura dem blauen Gebirge zu, das in scharfen Umrissen, trotz der mehr als fünfstündigen Entfernung scheinbar ganz nahe gerückt, hinter den nächsten Hügeln sich erhob. Aber es war eine lange Fahrt; auf stets primitiver werdender Straße, in einer fortwährenden Staubwolke und einem ebenso beharrlichen Schwarm von Stechmücken, ging’s stundenlang bergauf und bergab zwischen früchtestrotzenden Weinbergen und Feldern dahin, durch eine anfangs freundliche, später aber mehr und mehr vereinsamte, melancholische Landschaft, welche gegen das Ende der Fahrt sogar einen fast düsteren Eindruck machte. Nicht ohne volskischen Localstolz wies der junge sonnverbrannte Rosselenker, der unseren einsamen Einspänner regierte, je und je nach einem dunklen Kastanienhain abseits der Straße, auch wohl nach einer tiefen Schlucht oder grauen, halbzerfallenen Castellruine neben dem Wege hin und trug uns dabei mit Wohlgefallen die scheinbar rein statistische Notiz vor, daß hier die Briganten mit Vorliebe ihren Unterschlupf suchen und sich häuslich einrichten, wenn sie sonst überall vor den Carabinieri nicht mehr sicher sind.

Wir hielten diese Andeutungen zunächst für bloße Speculationen auf unsere Geldbeutel, da wir meinten, der hoffnungsvolle Bursch erwarte darauf hin eine Aufforderung zu schnellerem Fahren, das ihm ein Trinkgeld einbringen werde. Später wurden uns aber von „unterrichteter Seite“ jene Behauptungen bestätigt.

Nach mehrstündiger schwüler Fahrt, nachdem unsere Vettura noch um eine letzte Waldesecke gebogen und an einem letzten Bergvorsprung hinaufgeschlichen war, befanden wir uns am Eingange von Cori, der alten, einsamen Volskerstadt. Wir stiegen aus, entließen unseren Einspänner und traten in das Städtchen ein. Einen sonderbaren Eindruck macht Cori auf den Fremdling. Auf halber Höhe des steil ansteigenden Felsbergs über und neben einer tiefen Thalschlucht steht oder vielmehr hängt die Stadt wie ein Schwalbennest, so raumgeizig als möglich zusammengedrängt. Terrassenförmig erheben sich die Reihen von grauen Häusern, die wie bloße massive Steinwürfel erscheinen, übereinander. Wie ein bienenstockartiges Conglomerat sieht das Ganze aus; grau in grau scheint alles gearbeitet, einem jener „Felsenmeere“ nicht unähnlich, wie sie als Resultate einer fortdauernden Auswaschung und Abschwemmung an kalkreichen Gebirgen vorkommen, wo dann der Fels in zahllosen gehäuften Brocken bloß gelegt ist.

Die Häuserreihen, die sich wie Würfelschichten dicht gedrängt übereinanderschieben, zeigen nur seltene Lücken zwischen den platten, flachen Dächern, so daß man fast meint, „außen“, wie über eine schlechte Treppe, von Dach zu Dach hinaufklettern zu können bis zur höchsten Spitze der Bergstadt, wo auf vorspringendem Fels einige moderne Kirchen und andere Monumentalbauten sowie antike Tempelruinen das Ganze krönen.

Cori macht den Eindruck hochgradiger und trutzlicher Abschließung gegen fremden Einfluß und Angriff.

In der That ist es ein exclusives Volk, das hier haust; sein Wesen hebt sich deutlich ab gegen die mildere Natur der Albaner und Sabiner. Wo jene den Fremden geschäftig empfangen und eifrig, ja trinkgeldlüstern bedienen, da würdigt der Bewohner von Cori den Eindringling keines freundlichen Blickes; man findet nicht jenes oft widerliche, immer aber heitere Entgegenkommen wie sonst in und um Rom, sondern schroffes, trotziges Benehmen, das darauf schließen laßt, daß dem Volsker jeder Fremde mindestens als unbequem, ja sogar als verdächtig und gelegentlich auch als Spion der sehr unpopulären Carabinieri erscheint, mit welchen der Bewohner von Cori viel weniger gern liebäugelt als mit den Briganten.

Diese Letzteren gelten ja in manchen Gebirgsgegenden Italiens noch recht eigentlich für eine Art von gerechter Vehme, deren Mitglieder mit lobenswerthem nationalökonomischem Scharfblick da und dort einzelne allzu reiche Gutsbesitzer oder auch Fremde aufspüren, um ihnen zu gleichmäßigerer Vertheilung des Gesammtvolksvermögens etwas von ihrem strafbaren Ueberfluß abzunehmen. An einer solchen zwangsweisen Ausgleichung des Nationalwohlstandes findet insbesondere der Volsker nichts Ungerechtes, und selbst der von Aengstlichkeit sonst ganz freie Reisende fühlt manchmal nicht ohne jene „Wärme-Anwandlung“ , welche die Voraussicht kritischer Momente mit sich zu bringen pflegt, prüfende „taxirende“ Blicke von Seiten einiger struppiger Männer auf sich gerichtet, deren lange eisenbeschlagene Knüttel auch zu eventuellem anderem Gebrauch verwendbar erscheinen, als nur zum Spazierengehen auf der Campagnastraße.

Auch im Innern zeigt sich die Stadt so eng und winklig zusammengebaut wie nur möglich. Schlechte, schmale Gassen mit holprigem, stets schlüpfrigem Pflaster ziehen sich zwischen kunstlos gemauerten Häuserwänden am steilen Berg hinauf. Die ungefügen grauen Steinhütten rechts und links starren den Wanderer so ungastlich an, daß er keinerlei Lust zum Eintreten verspürte, auch wenn der penetrante Maulthier- und Eselstallgeruch nicht wäre, der aus allen Lücken hervordringt.

Nur durch eines der da und dort ihm begegnenden Lastthiere genöthigt, tritt der Wanderer geschwind unter eine dunkle Hausthür, um nicht von dem Maulthier oder seiner die ganze Breite der Gasse einnehmenden Last an die Wand gedrückt zu werden. Wo man an den Gruppen schwatzender Männer oder Weiber vorbeikommt, erwartet man umsonst einen Gruß; höchstens ein paar schlechte Witze werden über den unberufenen Gast gemacht, der als civilisirter Mensch einen Gruß bieten zu sollen meint. Mehrmals erhielten wir, als wir nach dem Wege fragten, die äußerst unwahrscheinliche Antwort: „non so!“ (weiß nicht!)

Nur einige halbnackte Jungen, denen der trotzige Volskerstolz noch nicht so ganz in Fleisch und Blut übergegangen ist, vergessen sich so weit, uns des Anbettelns zu würdigen, aber auch sie vermeiden das sonst überall gehörte flehende: „o Signore!“ und befehlen kurzweg im strammen Unterofficierston: „eh forestiero! un’ soldo!“ („Heda, Fremder, einen Soldo!“)

Eigenthümlich fremd ist das Gesammtbild. Alles macht den Eindruck des Harten, Abgeschlossenen – Steinernen. Steinern und kahl ist der Berg, an dem die Stadt hängt; steinern sind die Häuser und Hütten, die Gassen und Steige; steinern ist das Wesen der Bewohner. Aber eben dieses Fremde – die harte Abgeschlossenheit der Natur, der ernste Charakter der Landschaft, die trotzigen Formen der Felsberge, die spärlichen Haine von uralten Oliven und knorrigen Stechpalmen-Eichen, die sich jäh zwischen dem Felsengeröll hervorzwängen, die tief eingerissenen Schluchten mit ihrem meist trockenen, doch glattgewaschenen Bachbett – dann wieder die Stadt mit den grotesken Resten urältester Baukunst mitten unter den primitiven Häusern der jetzigen Bewohner – das alles hat für den Empfänglichen einen Reiz, der weit tieferen Eindruck hinterläßt, als selbst der wundervolle Anblick von Tivolis Schönheiten.

Mühsam und nicht ganz unbedenklich ist ein Besuch in der weiteren Umgebung von Cori, aber interessant wie kaum eine zweite Tour in der römischen Campagna.

Nach kurzem Aufenthalt in der einzigen, nicht allzu gastlichen Locanda von Cori wanderten wir auf steilem Bergpfad in mehrstündigem Marsch über unzählige Bergvorsprünge und ebenso viele Einschnitte am Hang des Gebirges hinauf. Auf dem Plateau oben gingen wir über öde Weiden und durch die Ausläufer des großen Waldes, der sich von hier in viele Stunden langer Ausdehnung gegen den östlichen Theil des Gebirges hin erstreckt.

Antike Mauerreste und mittelalterliche Castellruinen finden sich auf der hügeligen Haide und zeigen Spuren von nothdürftiger Einrichtung als Unterschlupf und Feuerstätten für die Hirten, die hier ihre Schaf- und Ziegenheerden weiden – wohl auch für andere, weniger harmlose Gewerbetreibende, die sich in dieser Einsamkeit behaglicher fühlen, als in der Nähe menschenreicher Orte.

Einige Stunden südwestlich von Cori – von diesem getrennt durch den mächtigen Gebirgsvorsprung, den wir überschritten – liegen am Westrande des Hochplateaus die hochthronenden Städte Norma und Norba. Steil fällt der Rand des Gebirgs dort ab in die Ebene der pontinischen Sümpfe, hinter der das Meer herüberglänzt; tief, tief unten, dicht am Fuße der fast senkrechten Bergwand liegt Ninfa, jene alte geheimnißvolle, epheuumsponnene Stadtruine, das „mittelalterliche Pompeji“. In modellartiger Verkleinerung liegen die Häuser und Gassen unter uns, und in den See, der zwischen den dunkeln Ruinen heraufleuchtet, glauben wir leicht mit einem Steine werfen zu können – so jäh ist der Felsabsturz, der das Plateau hier abschneidet.

Es war unvorsichtig von uns, daß wir nicht an dieser Aussicht genug hatten und nicht einfach wieder oben über das Gebirge hin sogleich nach Cori zurückkehrten.

Während die Sonne sich schon zum Untergange neigte, glaubten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_084.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)