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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

daß die so gewonnenen Samen völlig normal seien, pflanzte man sie zwei Tage nach der Ernte wiederum ein; sie gingen gut auf. Erdbeerpflanzen, die der Gärtner am 16. December[WS 1] in das Haus genommen hatte, trugen am 14. Februar, also schon nach sechszig Tagen reife Früchte von schöner Farbe und ausgezeichnetem Geschmack. An demselben Tage aus dem Freien in’s Haus genommene Himbeersträucher brachten zum 1. März Früchte von ebenfalls vorzüglicher Beschaffenheit. Weinreben, die erst am zweiten Weihnachtsfeiertage in das Glashaus versetzt worden waren, reiften schon zum 10. März Trauben, welche ein stärkeres Aroma hatten, als die im Sommer im Freien gezogenen.

Weizen, Gerste und Hafer schossen unter dem Einflusse des ununterbrochenen Lichtes mit außerordentlicher Schnelligkeit empor, aber sie kamen nicht zur Reife, weil sie eben im Verhältniß zu der Kraft ihrer Halme wohl zu hastig gewachsen waren; sie legten sich, nachdem sie eine Höhe von ungefähr zwölf Zoll erreicht hatten, um. Dieselben Getreidearten wuchsen jedoch unter dem Einfluß der im Freien befindlichen elektrischen Lampe, nachdem sie am 6. Januar 1881 in Furchen ausgesät und unter Schnee und Frost langsam gekeimt waren, sobald mildes Wecker eintrat, mit großer Schnelligkeit, und brachten bereits Ende Juni reife Aehren, obwohl das elektrische Licht ihr Wachsthum nur bis in den Beginn des Mai unterstützt hatte.

Die hierbei auftauchende und öfter erörterte Frage, ob die Pflanzen nicht auch einer nächtlichen Ruhepause für ihr Gedeihen bedürfen, ist schon früher mit Hinweis auf die Getreidearten und wildwachsenden Pflanzen der dem Pole näherliegenden Länder widerlegt worden, und wir haben darauf hingewiesen, daß das Getreide, die Gartengemüse, gewisse Beeren, die bei geringerer Wärme gedeihen, im Scheine der ununterbrochenen Polarsonne nicht nur unglaublich schnell reifen, sondern auch an Aroma alle anderen übertreffen (vergl. „Gartenlaube“ 1880, S. 528), während die Blumen lebhaftere Farben zeigen. Dieses stärkere Aroma zeigte sich, wie erwähnt, auch bei den in den Siemens’schen Glashäusern bei fortwährendem Lichte gereiften Früchten, aber gleichzeitig hatten sie nicht die aus dem Wärmemangel folgende Zuckerarmuth der nordischen Früchte, da ihnen ja jede erforderliche Wärme geboten wurde. Die mit Unterstützung des elektrischen Lichtes gezogenen Früchte übertrafen somit die im Freien gezogenen Früchte an Aroma, was schon an sich ein Grund wäre, die elektrische Obstzucht zu empfehlen. Dieser Vorzug bewährt sich besonders an Südfrüchten, die zum großen Theil den in gemäßigten Zonen gezogenen Früchten gegenüber bedeutenden Zuckerreichthum auf Kosten des Aromas entwickeln, wie z. B. die am Rheine so aromatischen Trauben im Süden viel ärmer an Aroma gefunden werden.

Ein entsprechender Vortheil der immerwährenden elektrischen Beleuchtung wurde in den Siemens’schen Gewächshäusern bei einer Banane beobachtet, die in zwei Wachsthumsperioden, nämlich bei ihrer ersten Entwickelung und dann wieder, als sie Früchte reifte (Februar und März 1880 und 1881), den Strahlen einer etwa sechs Fuß entfernten und durch eine Glasscheibe getrennten elektrischen Lampe ausgesetzt worden war. Das Ergebniß bildete eine fünfundsiebenzig Pfund schwere Fruchtähre, an der jede einzelne Banane von ungewöhnlicher Größe war und durch competente Richter von unvergleichlichem aromatischem Wohlgeschmack befunden wurde. Die Bananen haben bekanntlich den Geschmack einer feinen Birne, aber sie zeigen sonst in der Regel nicht viel Aroma. Ebenso wurden im Frühjahr 1880 und 1881 bei dem Scheine des beständigen Lichtes Melonen von außergewöhnlicher Größe und sehr reichem Aroma erzielt, sodaß kaum daran zu zweifeln ist, daß man bei richtiger Regelung der Temperaturen in dieser Richtung bedeutende Erfolge in der Obstcultur erzielen könnte. „Ich bin geneigt, zu glauben,“ sagt W. Siemens am Schlusse der Schilderung seiner Erfolge, „daß die Zeit nicht mehr sehr fern ist, in welcher das elektrische Licht von dem Pflanzenzüchter als ein sehr werthvoller Gehülfe für seine Zwecke angesehen werden wird, indem es ihn von Klima und Jahreszeit unabhängig macht und ihm die Macht verleiht, neue Varietäten hervorzubringen“

Um diese Hoffnung zu verwirklichen, dürfen die Kosten der elektrischen Pflanzenbeleuchtung nicht allzu groß sein, und in dieser Beziehung ist die Berechnung von Interesse, welche Siemens über seine Ausgaben angestellt hat. Wer Wasserkraft zu seiner Verfügung hat, würde das elektrische Licht zu einem äußerst mäßigen Preise haben können, da dann außer den Zinsen der Anlage nur der alle sechs bis sieben Stunden nöthige Ersatz der Kohlenstäbe und die Abnutzung in Rechnung käme, wobei ein Licht von fünftausend Kerzen Helligkeit für die Stunde auf nicht mehr als fünfzig Pfennig zu stehen kommen würde. Aber auch bei Dampfbetrieb, wie er in den Siemens’schen Gärten stattfindet, steigen unter gewissen Voraussetzungen die Kosten nicht höher als auf circa sechszig Pfennig pro Stunde, sofern nämlich die Kosten für die zur Heizung der angewendeten Hochdruckdampfmaschine von sechs Pferdekraft angewendeten Kohlen zu zwei Drittel dadurch aufgewogen werden, daß der condensirte Wasserdampf zur Heizung der Gewächshäuser verwendet wird.

Diese Berechnung ist indessen nur dann richtig, wenn die zum Betriebe der beiden elektrodynamischen Maschinen thätige Hochdruckdampfmaschine ununterbrochen Tag und Nacht thätig sein kann, weil bei Unterbrechung der Kesselheizung alltäglich ein großer Wärmeverlust stattfinden würde. Da nun die Heizung Tag und Nacht, aber das Licht nur in der Nacht gebraucht wird, so müssen die elektrischen Maschinen bei Tage anderweitig beschäftigt werden, wenn die Kosten mit dem Nutzen im Verhältniß stehen sollen, und dazu ist auf einem Grundstücke, wenigstens wenn es mit Landwirthschaft verbunden ist, stets vollauf Gelegenheit, da sich die Kraft durch Kupferdrahtkabel leicht nach jedem beliebigen, wenn nicht allzu entfernten Ort hinleiten und dort zum Wasserpumpen, Dreschen, Häckselschneiden, Holzsägen, Pflügen etc. verwenden läßt. (Vergleiche „Gartenlaube“ 1881, Seite 352.) Die Kupferdrahtleitung von der neben der Dampfmaschine aufgestellten Elektricität erzeugenden Maschine bis zu der transportabeln Maschine, welche den elektrischen Strom in Arbeitskraft zurückverwandelt, bedarf, wenn die Entfernungen nicht über eine halbe englische Meile betragen, keiner besonderen Isolation und kann über Holzpfähle, Baumäste etc. gelegt werden, namentlich, wenn die Rückleitung durch einen sehr guten Leiter, z. B. eine metallene Einzäunung des Gehöftes oder Gartens geschehen kann. Es gehen dabei unter Umständen vielleicht dreißig bis vierzig Procent der Kraft unterwegs verloren, aber dies kommt kaum in Betracht, wenn man die Bequemlichkeit der Arbeitsmaschine in Rechnung zieht.

Schließlich ist dieselbe unendlich leichter transportabel, als eine Locomobile, welche bei gleicher Leistungsfähigkeit das sechs- bis siebenfache Gewicht hat und außerdem Wasser zu ihrem Betriebe braucht, während die elektrische Maschine, ohne Wasser mitzunehmen, an jeder beliebigen Stelle im Umkreise des Gehöftes arbeiten kann. Sie empfängt eben alle ihre Kraft durch das Drahtkabel von der stehenden Maschine her, und es wird sich mithin empfehlen, diese möglichst mit den Gewächshäusern im Centrum der Besitzung anzulegen, um nach allen Seiten die Kraft mit gleichem Vortheil übertragen zu können.

Giebt es für die elektrischen Maschinen den Tag über vollauf Arbeit, so wird die nächtliche Erleuchtung der Gewächshäuser und des Wohnhauses selbst nur einen sehr geringen Mehrkostenpreis bedingen, da ein continuirlicher Dampfbetrieb im Verhältniß immer billiger ist, als ein allnächtlich unterbrochener. Für den elektrischen Betrieb einer Landwirthschaft bei Tage würde somit die nächtliche Pflanzenzucht eine Art von natürlicher Ergänzung bilden, zumal die letztere außer dem Maschinenbetrieb keine weitere Arbeit verursacht, als die je einmalige Erneuerung der Kohlenstäbe erfordert. Rechnet man dazu noch die Annehmlichkeit, den Park an jedem beliebigen Sommer- oder Winterabende mit einem Lichte erleuchten zu können, welches, auf Baumwipfel und Fontainen geworfen, feenhafte Wirkungen hervorbringt und den Wasserstrahl in Verbindung mit farbigen Gläsern bald in geschmolzenes Silber oder Gold, bald in Azur- oder Purpurfluth verwandelt, so dürfte die Einführung des elektrischen Betriebes für wohlsituirte Grundbesitzer schon heute sehr verlockend sein, zumal derselbe keine besonderen Maschinistenkenntnisse erfordert. Auf dem Siemens’schen Landgute wird der ganze Betrieb von dem Obergärtner geleitet und mit Hülfe des gewöhnlichen Stabes von Untergärtnern, Feld- und Gartenarbeitern, die wahrscheinlich niemals vorher von der gewaltigen Macht der Elektricität etwas vernommen hatten, besorgt.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Deeember
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_055.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)