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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zu behaupten vermocht. Auch andere Vorschriften des Propheten verloren mit der Zeit ihre Geltung. So hat er z. B. die Möncherei ganz ausdrücklich verworfen, allein dieselbe hat sich dennoch in den Islâm einzuschleichen gewußt. Endlich muß hier noch daran erinnert werden, daß der Korân zugleich Dogmatik, Ritualgesetz, Sitten- und Rechtslehre ist. Die mohammedische Bibel enthält also die kanonische Norm nicht allein für das religiöse, sondern auch und ebensosehr für das sociale und politische Dasein der Muslim: sie ist das Civil- und Strafgesetzbuch der gesammten islamischen Welt, in allem die letzte und höchste Instanz. An diesem Felsen ist die Zukunft des Mohammedanismus gescheitert. Denn wie wäre gegenüber der Elasticität und Entwickelungsfähigkeit des Christenthums, welches den verschiedenartigsten Klimaten, Rassen, Völkern und Staatseinrichtungen bieg- und schmiegsam sich anzupassen wußte, eine Fortbildung oder auch nur eine Erhaltung der mohammedanischen Macht in die Länge möglich gewesen bei dieser Unfähigkeit, die intellektuelle und die praktische Seite des Lebens auseinanderzuhalten, bei dieser trägen Gewöhnung, auf Anschauungen und Satzungen zu beharren, welche dem Araberthum des 7. Jahrhunderts auf den Leib geschnitten waren?




6.


Von der Skizzirung seiner Lehre wenden wir uns wieder zu der Person des Propheten zurück.

Er galt, wie sprichwörtlich alle Propheten, in seinem Heimatlande lange soviel wie nichts. Dann begann er etwas zu gelten, als Gegenstand der Sorge, der Furcht und des Hasses seiner Stammesgenossen, der Männer vom Stamme Koraysch. Die Ausbrüche dieses Hasses haben ihn genöthigt, längere Zeit hindurch ein abenteuerlich-unstätes Dasein zu führen. Mehrmals mußte er vor den Nachstellungen seiner Feinde aus Mekka entweichen, um sich in der Wüste, in Schluchten und Höhlen zu bergen. Immer wieder in seine Vaterstadt zurückkehrend, suchte er sich bis zum Aeußersten darin zu behaupten, dieweil er gar wohl wußte, von welcher Wichtigkeit es wäre, von diesem anerkannten Vororte Arabiens aus seine Lehre zu verbreiten. Nun aber verschritten die Korayschiten zur Ausführung des Anschlags, mittels Mordes dem lästigen Neuerer den Mund zu schließen. Dieser Gefahr mußte Mohammed weichen, und er entkam derselben durch Anwendung einer echtbeduinischen Kriegslist. Aus Mekka entflohen, gelangte er unter vielen Fährlichkeiten nach der Stadt Medyna, allwo ihm eine Zuflucht bereitet war durch Anhänger, welche als Wallfahrer den Islâm in Mekka kennen gelernt, angenommen und nach Medyna gebracht hatten. Auch waren dem Propheten seine sämmtlichen Anhänger, seine beiden Fluchtgenossen Abu Bakr und Aly abgerechnet, aus Mekka nach Medyna vorangeflohen. Die Korayschiten setzten erfolglos einen Preis von 100 Kameelen auf den Kopf des ihrem Mordanschlag entgangenen Propheten.

Am 14. September des Jahres 622 langte der Flüchtling in dem vor den Thoren Medyna’s gelegenen Dorfe Koba an. Von dieser Flucht („Hidjrah“) Mohammeds datirt bekanntlich die Zeitrechnung der mohammedanischen Welt. Nicht ohne Grund. Denn die Hidjrah markirt in der Laufbahn des Propheten den ausschlaggebenden Wendepunkt. Jetzt erst wurde seine Stellung eine öffentliche und seine Rolle eine geschichtliche; jetzt erst wich das Dunkel und die Stille seines Privatlebens dem Glanz und Geräusch eines Daseins, auf welches die Augen und Gedanken von Tausenden und bald von Myriaden von Menschen als auf ihren Mittelpunkt sich richteten. Denn mit dem Amt eines Predigers und Propheten, eines durchweg nur auf die friedlichen Mittel der Unterweisung angewiesenen Lehrers verband von jetzt ab Mohammed die Arbeit, das Wesen, Walten und Wirken eines Staatsmannes, Feldherrn und Fürsten.

In Medyna nämlich entwickelte sich die islamische Sekte binnen kurzem zu einer großen religiösen und politischen Partei, welche der Prophet auch als solche zu lenken und zu leiten, zu mehren und zu meistern hatte. Hierbei nun ist der ihm eingeborene Genius des Mannes, die ganze Macht seines Ich und Selbst, die Fülle und Vielseitigkeit seiner Begabung, die von ihm ausstralende Souveränität seines Wollens und Thuns so recht kundgeworden. Wie alle auserwählten Geister besaß auch er in vollem Maße das Geheimniß der Machtübung über Menschen. Mit der Fürstlichkeit Mohammeds freilich ist es noch sehr ärmlich und kärglich bestellt gewesen, wie beispielsweise die wahrhaft beduinische Einfachheit zeigt, womit in Medyna die Hochzeit seiner Lieblingstochter Fatima mit dem treuen Aly gefeiert wurde. Der ganze Hochzeitschmaus bestand aus einer mit Datteln und Oliven gefüllten Schüssel, und die Ausstattung des jungen Paares war eine geradezu bettelhafte. Aber trotz der Armsäligkeit seines Haushalts war er doch bald nach seiner Ankunft in Medyna in der Verfassung, der Verkündigung seiner Lehre die Ueberredungskraft seines Schwertes beizufügen. Es erwies sich eben auch beim Aufkommen des Islâm die leider durch den ganzen Verlauf der Geschichte bestätigte Wahrheit, daß keineswegs nur aus dem sehr wünschenswerthen Wege ruhiger Bildung und mit den friedlichen Mitteln der Belehrung und Ueberzeugung die großen Wandlungen in der menschlichen Gesellschaft sich bewerkstelligen und vollziehen. Der kindische Traum vom ewigen Frieden mag in Kinderfibeln paradiren, um Kinder zu ergötzen. Das Buch der Geschichte ist aber keine Kinderfibel, sondern lehrt denkende und wissende Menschen, daß es bei den großen Umwälzungen in der Menschheit niemals ohne Gewaltsamkeit abgegangen sei. Das Christenthum hat übrigens in dieser Beziehung dem Islâm bekanntlich gar nichts vorzuwerfen. Denn keine Religion hat so viel Blut und so viele Thränen gekostet wie die christliche.

Sobald der Prophet in Medyna festen Sitz gewonnen, fasste er als nothwendiges Ziel die Bewältigung von Mekka ins Auge, ganz richtig rechnend, daß mit Mekka ganz Arabien binnen kurzem ihm zufallen müßte. Er begann also von Medyna aus an der Spitze seiner Anhänger den Krieg gegen die vom Stamme Koraysch, nachdem er den „Djihad“ gegen die Ungläubigen als ein förmliches Gebot Allah’s proklamirt hatte. Selbstverständlich wurde dieser Krieg zunächst im Stil echt arabischer Razzia’s geführt. Einen ersten wirklichen Sieg über die Korayschiten gewann Mohammed im Treffen bei Bedr. Zwar schwankte die Entscheidung noch lange und eine erste Berennung Mekka’s misslang sogar; allein der Islâm gewann doch allmälig Boden; der Anhang des Propheten wuchs im Lande, und das konnte nicht ohne Rückwirkung auf seine Gegner bleiben. Ein Stammeshäuptling in den Dörfern und Städten, ein Beduinenschech der Steppe nach dem andern stellte sich unter das Banner Allah’s, und der neue Glaube wurde nachgerade zu einer nationalen Macht, welche alle Hindernisse überwältigte. Zu Ausgang des Jahres 629 vermochte Mohammed mit 10,000 Streitern vor Mekka zu rücken und schon im Januar von 630 zog er als Sieger in die bezwungene Stadt ein. Er übte Mäßigung und Milde. Arabischem Kriegsrechte zufolge, waren sämmtliche Bewohner der besiegten Stadt dem Untergange verfallen. Der Prophet begnügte sich jedoch, etliche der verstocktesten Korayschiten zum Tode zu schicken.

In der Kaabah wurden die Götzenbilder feierlich zerschlagen und verbrannt, das also gereinigte Haus aber zum Haupttempel des Islâm erklärt. Im folgenden Monat zog Mohammed von Mekka aus, um den letzten Widerstand, welchen seine Lehre und sein Herrscheramt noch in Arabien zu befahren hatten, niederzuschlagen. Er that dies mittels seines großen Sieges im Thale von Honayn, und jetzt reichte sein Machtgebot über die ganze Halbinsel, ja er konnte seine Waffen bereits nach Syrien hinaustragen und den Kaiser von Byzanz bekriegen. Verständigerweise verfolgte er jedoch die kriegerische Laufbahn nicht weiter, sondern wandte den Rest seines Lebens auf die Durchbildung und Festigung seines Werkes, indem er auf der Basis des Islâm Arabien neu organisirte. Sein Lieblingsaufenthalt war Medyna, und da wollte er auch begraben sein. Im 10. Jahre der Hidjrah wallfuhr er zum letztenmal nach Mekka, diesmal ganz im Stil eines anerkannten und hochverehrten Fürsten der Gläubigen. Der Einzug in die Kaabah war der Triumphalpomp seiner Prophetenschaft. Nach Medyna zurückgekehrt, erkrankte er und auf dem Krankenlager wies er wiederum, wie er schon oft zuvor gethan, die Versuche seiner Jünger, ihn zu vergotten, ihn für Gottes Sohn zu erklären, fest und bestimmt zurück. „Gott hat keinen Sohn, und ich bin nur ein Mensch wie ihr alle“, sagte er. Seine Vertrautesten versammelte er zu einer letzten feierlichen Ansprache, welche der Ueberlieferung zufolge lautete: „Ich höre, der Tod eures Propheten erfülle euch mit Schrecken. Aber hat denn je einer der vor mir gekommenen Propheten ewig gelebt? Ihr mußtet also wissen, daß ein Tag käme, wo ich von euch getrennt werde. Ich wandere jetzt zum Allah, meinem Herrn, euch aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_051.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)