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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Nebengemächern in einem mächtigen über den See ragenden Vorsprung des Felsens befunden haben soll, welcher den nüchternen Forderungen der Jetztzeit, dem Bau der neuen Straße, geopfert werden mußte und nach Angabe der Anwohner einen um Vieles imposanteren und eigenthümlicheren Eindruck machte, als die jetzt noch erhaltenen Reste.

Schon auf der Thalsohle zeigt die Felswand eine Reihe einzelner, mehr oder weniger tiefer Höhlenbildungen, bei welchen allen die menschliche Hand abrundend, glättend und erweiternd eingewirkt hat; an den Wänden finden sich noch verschiedentlich Spuren der ursprünglichen steinernen Bänke. Eine im Vordergrunde stehende isolirte Zwischenwand ist sogar zur kurzen Säule bearbeitet, mit nach oben sich ausbreitendem mächtigem, zwar kunstlosem, aber doch gleichmäßigem Capitäle. Eine defecte Kellerthür, den einen Höhlenzugang nothdürftig schließend, lehrt die neue Verwendung der alten Wohnplätze.

Nun aber steigen wir nach oben, wo die Flucht der alten, steingehauenen Gemächer in einer annähernden Horizontale sich durch das helle Molassegestein mit dunkelgähnenden Thüröffnungen und Fenstern hindurchzieht.

Die Heidenlöcher bei Ueberlingen.
Original-Zeichnung von F. Schreyer.

Ein schmaler, ausgetretener Treppenweg, der tief in den Sandstein eingeschnitten ist, ermöglicht uns den Zugang. In Stockwerkhöhe führt er vor eine glattgehauene Felswandung mit regelrecht viereckiger Nische in Form einer Thür, die der Fels in mächtiger Ausdehnung überragt, dann in steiler Wendung hinauf zum Portale des ersten der noch erhaltenen Räume. Wir sind erstaunt, vor einem rein romanischen Thorbogen zu stehen, der in exacter Weise ausgearbeitet ist mit einfacher Ornamentik und von gleicher Höhe wie das ganze, ziemlich quadratische Gemach, das, wie die anderen, nach oben die erste Anlage eines Klostergewölbes zeigt. Es ist leer; die Sitzbänke scheinen weggebrochen worden zu sein; Fenster sind nicht vorhanden; dagegen befinden sich an der Außenwand Nischen verschiedener Größe, nicht ohne Spuren ehemaligen Ladenverschlusses. Von der kleinen Plattform vor dem Thore führt ein ebenso schmaler Treppenweg an der Felswand erst ab-, dann wieder aufwärts zum zweiten Gelasse, dessen Thoröffnung schon ziemlich verfallen ist, das aber durch einige Fenster erhellt wird und im Innern Sitzbänke und Nischen, groß und klein, und allerhand Wandvorsprünge zum Hinstellen und Legen enthält – Alles aus dem Steine herausgearbeitet. Merkwürdig ist, daß die hinaufführende Treppe eine Doppeltreppe ist, da die erhalten gebliebene Steinbrüstung derselben ebenfalls in Stufen gehauen war. Die Außenwand dieses Gelasses zeigt sorgfältige Glättung und Spuren streifenartiger Verzierung, die sich über den Eingang und die Treppen hinzieht.

Ein großes, oben abgerundetes Fenster, oder eine Thür in einem schön concav ausgebuchteten Felsvorsprunge mag früher den Uebergang von dieser Wohnung zur nächsten vermittelt haben – jetzt geht eine ziemliche Kluft zwischen den beiden hindurch, welche die ganz eigenthümlich gestaltete, entgegenstehende Seite des dritten Gelasses bloßlegt. Möglich, daß hier eine Palissadenbrücke hinüberführte. Eine weitere Communication besteht aber zwischen beiden Gemächern durch einen niedrigen, engen Gang, der, durch den Fels getrieben, von hinten einmündet und nur ein gebücktes Durchgehen gestattet. Das dritte Gemach endlich ist das größte von allen; es besitzt auch einen Herd mit Rauchfang; im Uebrigen ist seine Einrichtung die gleiche wie im vorhergehenden Gemach, auch hat dasselbe ebenso seiner Eingangsthür gegenüber eine zweite; neben dieser aber hat ein Bergrutsch alle alten Culturanlagen vor langer Zeit vernichtet. Sehr interessant ist die Façade dieser dritten Felswohnung; sie macht mit ihren kleinen, fast spitzbogig zulaufenden Fenstern den Eindruck einer alten christlichen Kirche.

Nachdem wir von den Steingemächern Abschied genommen und auf demselben Wege hinabgelangt waren, wie wir hinaufgestiegen, betrachteten und bewunderten[WS 1] wir von unten aus noch lange die Heidenlöcher. Wie packend mag hier der Anblick erst in der Nacht sein, wenn der Mondschein auf den Wellen des Sees zittert und durch die Bäume hindurch sein fahles Licht über

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bewunderteten
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_049.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)