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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

bekannte Berliner Virtuosen, schickten Trompetenfanfaren hinunter in die Thale und hinüber zum Hohenkrähen und bliesen uns dann schöne patriotische Weisen.

Es war Mittag, als wir uns zur Thalfahrt rüsteten, und dann ging’s nach Radolfzell, wo im neunten Jahrhundert der heilige Ratold sein clausnerisch Dasein gefristet und jetzt im neunzehnten der Dichter unseres „Ekkehard“ haust, und weiter längs des pfahlbaubesetzten Ufers, vorbei an der uralten Abtei Reichenau, wo einst der blöde Heribald als Einziger die Hunnen erwartet, nach Constanz.

In Constanz wußten anthropologische Studien und Interessen den Hohentwiel mit all seinen guten und bösen Geistern in den Hintergrund zu drängen; nahm doch dort das Museum im Rosgarten, eine Musteranstalt ersten Ranges, unsere vollste Aufmerksamkeit in Anspruch. Die reichen Schätze aus den Pfahlbauten, die seltsamen Funde aus Thayingen in der Nähe des Hohentwiel gaben uns viel zu staunen und zu denken, und wir merkten, daß wir uns doch auf einem eigenthümlichen Fleckchen Erde befanden, das mancherlei Zeiten durchgemacht hatte, deren Denkmale uns der Rosgarten aufbewahrt: aus deutscher Geschichte und Römerherrschaft, aus der Pfahlbauperiode und weiter zurück, als noch mächtige Gletscher den Bodensee deckten, aus der Renthier- und Höhlenzeit. Und lange vorher waren schon die Saurier dagewesen.

Wir suchten spät Abends noch Erholung und stilles geistiges Ausruhen auf dem lieblichen Eiland der Mainau. Und doch gab es wüste Träume in der Nacht: der Eindrücke waren zu viele und zu verschiedenartige gewesen für einen Tag, und die Meersburger Auslese, welche das Tagewerk krönte, hatte auch nicht sonderlich die erregten Geister beschwichtigt. Der brave Ekkehard war mit seinem Weltschmerz unter die Renjäger gerathen, und der stolze Hohentwiel schrumpfte sichtlich zusammen zu einem wohlgefügten Holzbau im See, gerade vor unserem Hôtel und darauf hantirten biedere Pfahljungfrauen und Hadumoth trieb die Gänse über den künstlichen Steg; da kamen die Hunnen; es gab ein böses Durcheinander – ich glaube, ich habe selbst mit gestritten – und endlich ritt er an, den sie für den Erzengel Michael gehalten, und der die Hunnenschlacht entschieden: der Alte aus der Heidenhöhle.

Thorbogen in den Heidenlöchern.
Original-Zeichnung von F. Schreyer.

Am Morgen aber stiegen wir auf den ersten Dampfer, der sich von Constanz löste, dem alten Herrn den schuldigen Besuch abzustatten, und hatten eine reizende Fahrt auf dem Ueberlinger See, der von den Touristen viel zu wenig besucht und gewürdigt wird. Zuerst hinüber nach dem romantischen Meersburg mit seinen uralten Schlössern und Thürmen, dann weiter, während drüben im Morgensonnenschein die Mainau leuchtete, an einer ganzen Reihe von Pfahlbaustationen vorbei, die alle leider hohes Wasser deckte, nach dem interessanten Städtchen Ueberlingen, das, terrassenförmig am Ufer hinaufgebaut, ebenfalls gar trutziglich mit seinen Thürmen und Zinnen sich im Wasser spiegelt.

Und hier ging’s auf die terra firma, das heißt auf den Molassesandstein, der schon längst dem Ufer seinen eigenthümlichen Charakter aufgeprägt hatte. Als mächtige freie Mauer erhebt er sich über den schmalen Saum des See-Ufers – mußten ja doch schon die Stadtgräben von Ueberlingen in ihn eingehauen werden, und immer näher drängt sich seine Wand an’s Wasser, je weiter wir nun auf der neuen Landstraße wandern, die von der Stadt nach Sipplingen und Ludwigshafen führt. Wohl liegen anfangs noch reiche Obst- und Gemüsegärten zu beiden Seiten unseres Weges mit schönen Häusern, bald aber bleibt kaum mehr Platz für ein schmales ansteigendes Aeckerchen oder einen kleinen Weinberg. Dabei ist das Gestein vielfach von Rissen durchzogen und zeigt mancherlei Höhlenbildung, mit theils natürlicher, theils künstlicher Rundung, den Feld- und Weinbauern ein geeigneter Keller oder Lagerraum, zu dem sie oft schwindelnde Steige angelegt haben. Endlich ist selbst die Straße dem Felsen abgerungen, der hier, glatt abgearbeitet, senkrecht in die Höhe strebt, ja stellenweise die Straße überdacht.

Nach kurzer Wanderung kamen wir, die plätschernden Wogen des Sees immer hart auf unserer linken Seite, zum Dörfchen Goldbach, von dem ich außer einem freundlichen Wirthshause und, irre ich mich nicht, einer kleinen Capelle – nicht viel Weiteres entdeckt habe. Die Bergwand war hier wieder ein wenig zurückgetreten; sie selbst erschien bekleidet von einer Anzahl breiter, gleichmäßig gehauener Treppenfluchten, welche die steile Wand auf und ab, hinüber und herüber führten und jedenfalls blos für Schwindelfreie gebaut waren. Sie schienen uns eine weitere Bedeutung zu haben, als blos den dürftigen Verkehr zwischen dem schmalen Küstensaum und dem rebenbedeckten Plateau zu vermitteln; auch das blondhaarige, liebliche Wirthstöchterchen vermochte uns keine genügende Auskunft zu geben, als wir in der nächsten Minute bei einem guten Markgräfler saßen, um uns für den Besuch beim Alten in der Heidenhöhle zu stärken. – Die seltsame Clause, in welche der Dichter den weltverschollenen, dicken Kaiser versetzt hat, liegt nur wenige Schritte hinter dem Wirthshause und führt den prosaischen Namen der Heidenlöcher. Der Fels, in seiner unteren Hälfte von der Straße aus zum Theil durch Bäume und Gesträuch versteckt, springt hier in einzelnen schrägen Abtheilungen vor, mannigfach zerrissen und zerklüftet, aber durchsetzt mit Gemächern und Gängen, Thüren und Fenstern, Bögen und Nischen, Façaden und Treppen – daß der Wanderer sich mit staunender Ehrfurcht gebannt fühlt. Man wird auch wohl in ganz Deutschland nichts Aehnliches wiederfinden; treten doch selbst die berühmten Zellen in der Nagelfluewand des Leichenhofes St. Peter in Salzburg vollständig gegen diese Gebilde zurück. Daß die Arbeit sehr alt ist, zeigt sich auf den ersten Blick, aber sie ist zum großen Theil nichts weniger als kunstlos, und bald glaubt das Auge hier römischen Stil, dort sogar beginnende Gothik zu erkennen. Viel schon freilich ist abgebröckelt und niedergestürzt im Laufe der Zeiten und bei der Weichheit des Gesteines; am meisten zu bedauern ist der Verlust der zweiten größeren Hälfte dieser „Heidenlöcher“, die sich in Form einer großen Capelle mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_048.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)